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So prägte Prigoschin den Ukraine-Krieg

Der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin soll tot sein. Er und neun weitere Personen kamen offenbar bei einem Flugzeugabsturz nahe Moskau ums Leben. Vor dem gescheiterten Wagner-Putsch im Juli galt Prigoschin als Vertrauter Putins. Im Ukraine-Krieg war er dessen wichtigster Mann an der Front.

Mittwochabend erreicht die Welt die Nachricht, dass Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sein soll. Eine offizielle Bestätigung steht bisher noch aus, der offizielle Wagner-Telegram-Kanal sowie der Prigoschin-nahe Telegram-Kanal "Grey Zone" sprechen jedoch vom Tod des 61-Jährigen.

Neben Prigoschin sollen noch neun weitere Personen gestorben sein, darunter Prigoschins rechte Hand Dmitri Utkin. Der Russland-Experte Gerhard Mangott geht davon aus, dass Kreml-Chef Wladimir Putin "mit größter Wahrscheinlichkeit" für den Tod Prigoschins verantwortlich ist.

Bevor der Oligarch und Söldnerführer bei Wladimir Putin in Ungnade fiel, war er im Ukraine-Krieg lange dessen verlässlichster Mann.

1. Erster Auftritt als Söldner-Chef

Lange war Prigoschin als "Putins Koch" nur Insidern bekannt. Der Oligarch war für das Catering bei Putins Staatsempfängen zuständig. 2014 gründete er seine private Söldnerarmee, die Gruppe Wagner. Die Wagner-Söldner traten erstmals in Syrien offen in Erscheinung, dass Prigoschin als Finanzier dahintersteckte, wurde damals zwar von manchen Experten vermutet, gesichert war es aber nicht.

Nachdem Wagner-Söldner 2022 vermehrt auch in der Ukraine kämpften und dabei zum Teil hohe Verluste erlitten, trat Prigoschin erstmals offen als deren Chef in Erscheinung und ließ sich dabei filmen, wie er Häftlinge aus russischen Gefängnissen für die Front anwarb. Prigoschin bot ihnen einen Deal an: Sechs Monate für die Gruppe Wagner in der Ukraine kämpfen, dann Freiheit. Doch dieser Vereinbarungen kam mit Bedingungen: Kein Alkohol, keine Drogen und Sex mit "Frauen, Flora und Fauna" seien strikt verboten. Wer zu fliehen versucht, wird hingerichtet.

Dies offenbarte damals, dass das russische Militär aufgrund hoher Verluste zu wenige Soldaten hatte. Die Einberufung von Wehrpflichtigen stockte, da Putin einerseits die Bevölkerung nicht gegen sich aufbringen wollte und es andererseits vielerorts Gewaltausbrüche gegen Rekrutierungbüros der Armee gab.

2. Erste Siege in Bachmut

Das Einsatzgebiet der Wagner-Truppe befand sich hauptsächlich in der ostukrainischen Stadt Bachmut. Obwohl die Stadt strategisch nicht von allzu großer Bedeutung war, wurde sie zum Schauplatz blutiger Kämpfe und erlangte einen hohen symbolischen Wert. Während die Ukraine versuchte, die Stadt zu halten, gewannen die Wagner-Kämpfer immer mehr an Oberhand. Zunächst wurde der Vorort Soledar eingenommen, Anfang März der östliche Teil Bachmuts.

Ein Foto von Prigoschin vor einem Panzerdenkmal sollte diesen Sieg unterstreichen. Gleich mehrmals verkündete Prigoschin die vollständige Einnahme der Stadt, was aber von ukrainischer Seite immer wieder bestritten wurde. Erst nach Monaten und mehreren voreiligen Ankündigungen war die Stadt dann letztlich wirklich unter der Kontrolle von Prigoschins Kämpfern.

3. Wut-Video gegen Militärführung

Nach rund zwei Monaten blutiger Kämpfe, am 2. Mai 2023, platzte Prigoschin der Kragen. Er veröffentlichte ein Wut-Video, in dem er vor toten Wagner-Soldaten stand und die russische Armeeführung der Inkompetenz und Korruption beschuldigte: "Sie sind als Freiwillige hierhergekommen und gestorben, damit ihr in euren Mahagoni-Büros leben könnt", brüllte er in die Kamera.

Immer wieder behauptete er, dass der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu und der Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow die Wagner-Gruppe sabotieren würden, indem sie ihnen benötige Munition verweigern. "Ihr Schwuchteln! Uns fehlen 70 Prozent der Munition. Schoigu, Gerassimov, wo ist die Scheissmunition?" Grund: Sie seien neidisch auf den Wagner-Erfolg in Bachmut.

4. Einnahme von Bachmut

20 Tage nach seiner Wutrede und nach 224 Kampftagen verkündete Prigoschin über den Wagner-Telegram-Kanal die vollständige Einnahme von Bachmut. Wieder schoss er gegen die Armeeführung. Man habe nicht nur gegen die ukrainische Armee gekämpft, sondern auch gegen Schoigu und Gerassimow. Kurz darauf gab er bekannt, dass sich er und seine Soldaten zurückziehen und der Stadt der russischen Armee überlassen werden.

Um die Armee zu unterstützen, werde er zwei seiner Soldaten zurücklassen, die sein volles Vertrauen haben. In einem Video sagte er zu den Soldaten mit den Kampfnamen "Dolik" und "Biber" noch scherzhaft, sie sollen die Armee nicht zu sehr schikanieren.

5. Fehlgeschlagener Wagner-Putsch

Am 23. Juni eskalierte der Streit zwischen Prigoschin und der russischen Armee. Er beschuldigte das Verteidigungsministerium einen Helikopter von Wagner abgeschossen und dadurch seine Leute angegriffen und getötet zu haben. Über Social Media kündigte er seinen "Marsch auf Moskau" mit 250.000 Beteiligten an. Zudem rief er die Bevölkerung dazu auf, Widerstand gegen die Armee zu leisten.

Er behauptete, der Krieg sei begonnen worden, "damit Schoigu den Titel eines Marschalls erhält. […] Und nicht, um die Ukraine zu demilitarisieren und zu denazifizieren". Mit dieser Aussage widersprach er dem offiziellen Narrativ des russischen Regimes.

Am nächsten Tag machte er seine Drohung wahr: An zwei Stellen überschritt er die ukrainisch-russische Grenze und bewegt sich in Richtung Moskau. In Rostow am Don nahm er das Hauptquartier der regionalen Militärführung ein. Dann machte sich ein Militärkonvoi in Richtung Moskau auf. Lange herrschte Ungewissheit, was passieren würde und ob sich der Putsch nur gegen die Armeeführung oder auch gegen Putin richten würde.

200 Kilometer vor der Moskau gab Prigoschin dann überraschend den Rückzugsbefehl. Er habe damit ein "Blutbad verhindern" wollen. Er und Putin hätten sich unter Vermittlung des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko auf das weitere Vorgehen geeinigt. Als Konsequenz seiner gescheiterten Meuterei mussten er und seine Wagner-Truppe ins Exil nach Belarus.

6. Exil in Belarus

Prigoschin kam damals noch mit dem Leben davon. In Belarus wurden er und seine Soldaten in einem Zeltlager auf einem Armeegelände untergebracht. Von dort soll auch das Bild von ihm in Unterwäsche stammen. In den folgenden Monaten sorgten die Wagner-Söldner in Belarus nicht nur in der benachbarten Ukraine, sondern auch in Polen und Litauen für Besorgnis. Alle drei Nachbarstaaten befürchteten, dass die Söldner an der jeweiligen Grenze für Eskalationen sorgen könnten.

7. Rückkehr nach Russland

Trotz Verbannung kehrte Prigoschin nach Russland zurück, wie zuletzt auch Lukaschenko bestätigte. Nur wenige Tage nach Prigoschins Putschversuch traf er sich demnach mit Putin. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax: "In der Tat hatte der Präsident ein solches Treffen, er hat dazu 35 Leute eingeladen - alle Kommandanten von Einheiten und die Führung des Unternehmens, darunter Prigoschin selbst."

Bei Putins Afrika-Gipfel Ende Juli in Moskau wurde Prigoschin dabei gesehen, wie er sich mit dem Vertreter der Zentralafrikanischen Republik getroffen hat. Ein Foto davon wurde vom Leiter des russischen Hauses in der Zentralafrikanischen Republik, Dmitri Syty, veröffentlichte. Russische Medien spekulierten, ob Prigoschin wieder "hoffähig" sei.

8. Letztes öffentliche Lebenszeichen

Neben dem Einsatz in der Ukraine ist die Wagner-Gruppe vor allem stark in Afrika vertreten. Der Söldner-Chef gab im Juli bekannt, nicht mehr in der Ukraine zu kämpfen. "Sie haben sehr viel für Russland getan. Was an der Front vor sich geht, ist eine Schande, an der wir uns nicht beteiligen müssen", sagte er. Man wolle in Belarus Kräfte für neue Einsätze in Afrika sammeln.

Dies hat man anscheinend auch getan. Das letzte öffentliche Lebenszeichen von Prigoschin gibt es am 22. August in Form einer Videobotschaft, die ihn scheinbar in Afrika zeigt. Man sei für Aufklärungseinsätze dort, "um Afrika freier zu machen und den Afrikanern Gerechtigkeit und Glück zu bringen". "Wir arbeiten. Die Temperatur ist 50+. Genau so, wie wir es mögen. [...] Wir werden hier zum Alptraum für Al-Kaida, ISIS und andere Gangs", so der Söldner-Chef. 

Laut Experten ist das Ziel der Wagner-Gruppe autoritäre Regime in Afrika an der Macht zu halten, um die dortigen Bodenschätze zu plündern.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin soll tot sein. Er und neun weitere Personen sollen bei einem Flugzeugabsturz nahe Moskau ums Leben gekommen sein.
  • Vor dem gescheiterten Wagner-Putsch im Juli galt Prigoschin als Vertrauter Putins. Im Ukraine-Krieg war er sein wichtigster Mann an der Front.
  • Wie sehr er den Ukraine-Krieg geprägt hat, hier zum Nachlesen.