Im türkisen Nirwana am Wolfgangsee
Im vergangenen Frühjahr sollte ein längst wieder verglühtes Sternchen am ÖVP-Himmel hier ihren ersten großen Live-Auftritt vor einer breiten Funktionärs-Öffentlichkeit haben. ÖVP-Obmann Karl Nehammer hatte erst wenige Woche davor die 27-jährige Laura Sachslehner zur neuen ÖVP-Generalsekretärin bestellt. Eine Personalentscheidung, die Nehammer - selten einmal - gegen den Rat eines seiner engsten Vertrauen und Weggefährten, ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, durchdrückte.
ÖVP-Schatten-Generalsekretär Sobotka
Offenbar hatte auch Nehammer inzwischen Zweifel an seiner obersten Parteimanagerin überkommen. Die ÖVP-Abgeordneten-Klausur im Frühjahr 2022 in St. Wolfgang machte intern dadurch von sich reden, dass nicht die Partei-Generalsekretärin, sondern der ÖVP-Nationalratspräsident einmal mehr den Ober-Generalsekretär gab und Wolfgang Sobotka in Sachen Lage-Analyse und künftige ÖVP-Strategie das große Wort führte.
Für diese Woche bat ÖVP-Klubchef August "Gust" Wöginger neuerlich zur Klausur ins Event-Hotel Scalaria an den Wolfgangsee. Diesmal sind nicht nur der ÖVP-Parlamentsklub, sondern auch alle ÖVP-Landtags-Mandatare geladen.
Die von Affären und Skandalen zerschlissene Partei will Geschlossenheit und Aufbruchstimmung demonstrieren.
ÖVP-Neuwahl-Gerüchte als Dosko-Turbo
Die Partei-Klausur im Event-Hotel musste heuer im Vorfeld freilich auch als schlagendes Indiz für nun fix anstehende Neuwahlen herhalten. Gestreut wurde das Latrinengerücht von ÖVP-internen Grün-Gegnern, die es nicht erwarten können, wieder gemeinsam mit den Blauen zu regieren.
Postwendend benutzt wurde es von Doskozil-Prätorianern, um bei den SPÖ-Parteitags-Delegierten last minute noch die Angst zu schüren, die SPÖ würde angesichts einer nun fix drohenden Neuwahl mit einem Parteichef Andreas Babler ihr Dasein auf der Oppositionsbank in Stein meißeln.
Das einzige, was die dieswöchige Abgeordneten-Konferenz tatsächlich mit Neuwahlen zu tun hat: Die ÖVP fühlt sich dafür alles andere als gerüstet. Denn nach der "Zukunftsrede" von Karl Nehammer ist vor dem "Zukunftsprogramm 2030" – und das ist noch ein Torso.
Kaputte ÖVP, letzte Hoffnung Nehammer
Der waghalsige Plan der Partei-Strategen bleibt nach wie vor vage: Angesichts der verspielten Glaubwürdigkeit der ÖVP als Partei muss nun die Person Karl Nehammer retten, was noch zu retten ist. Der von den Korruptions-Skandalen bislang weitgehend unbefleckte Parteichef soll mit markigen Parolen wie "Autoland Österreich" zu einer Projektionsfläche für Wähler rechts der Mitte aufgepimpt werden.
Mit einem "Zukunftsprogramm 2030" soll Karl Nehammer noch heuer breit signalisieren, dass er bis dahin nicht nur Kanzler bleiben will, sondern auch weiß, wohin die Reise geht.
Klausur-Sesselkreis statt breite Debatte
Wie schlecht Kanzleramt und Partei derzeit personell und politisch dafür ausgestellt sind, zeigt sich auch daran: Die Ausarbeitung des Zukunftsprogramms wurde an die Politische Akademie der ÖVP ausgelagert, die an sich für Aus- und Weiterbildung von Mandataren und Funktionären da ist.
Wie unausgegoren die Pläne in Sachen Zukunft noch sind, belegt das Setting der Abgeordneten-Konferenz. Dienstagnachmittag waren für dreieinhalb Stunden allein rund ein Dutzend Workshops zu diversen Themen im klassischen Sesselkreis-Format angesetzt.
CDU-Erneuerungs-Manager als Eröffnungs-Redner
Als Impuls-Geber hatte sich die Konferenz-Regie jenen Mann aus dem benachbarten Deutschland eingeladen, der die CDU programmatisch wieder auf Vordermann bringen soll. CDU-Parteivize Carsten Linnemann ist seit dem Vorjahr dabei, für die nach dem Machtverlust orientierungslosen Christdemokraten ein neues Parteiprogramm zu erarbeiten.
Titel seiner Keynote-Speech vor den Schwarz-Türkisen: "Der Erneuerungsprozess der CDU - was ist grundsätzlich CDU?"
Person alles, Programm nichts
Die Parallelen zwischen den beiden Schwesterparteien sind politisch frappant, personell aber diametral. Die CDU hatte sich eineinhalb Jahrzehnte auf Angela Merkel als einziges und stärkstes Argument an der Wählerfront verlassen. Das letzte CDU-Programm wurde vor sechzehn Jahren geschrieben und schubladisiert. Die ÖVP hatte sich knapp fünf Jahre auf die Strahlkraft von Sebastian Kurz verlassen. Das letzte Grundsatzprogramm der ÖVP trägt noch den Stempel Schwarz statt Türkis.
In der CDU wird seit dem Vorjahr unter breiter öffentlicher Anteilnahme über ein neues Programm diskutiert. CDU-Programm-Manager Linnemann lädt laufend zu Regionalkonferenzen. Auf diesen "Miniparteitagen" (Der Spiegel) soll die Parteibasis ihre Wünsche und Anliegen an die Parteispitze artikulieren können. Dazu kommen Umfragen, Live-Debatten und elf parteiinterne Fach-Kommissionen.
In der ÖVP ist man seit der "Zukunftsrede" Nehammers Anfang März über ein paar Schlagworte und Parolen bis dato nicht hinausgekommen.
Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater (www.linkedin.com/in/josef-votzi)
Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at
Zusammenfassung
- Abgeordneten-Klausur der Türkisen inside: Auf der Suche nach einer neuen Identität holt sich die ÖVP Rat von der CDU.
- Die Parallelen des Niedergangs der Schwesterparteien sind verblüffend. Die türkise Angst vor offener Aufarbeitung bleibt einmalig.