Geheimpapiere: Wie die ÖVP mit FPÖ und Grünen Posten aufteilt(e)
Es soll eine Art geheimes türkis-blaues Regierungsprogramm abseits des offiziellen Programms sein. Es hat fünf Seiten - jede davon wurde 2017 von Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (damals FPÖ) unterzeichnet. Am Freitagabend wurde das Papier vom Nachrichtenmagazin "Profil" veröffentlicht und dort als "ein kostbares Stück Zeitgeschichte, ein in dieser Form einzigartiger Beleg für politischen Postenschacher in seiner reinsten Form" bezeichnet.
Der Inhalt ist brisant: So haben sich ÖVP und FPÖ scheinbar schon im Jahr 2017 Posten und Positionen im Verfassungsgerichtshof, im Verwaltungsgerichtshof, im ORF, in der Österreichischen Nationalbank, den ÖBB, der Asfinag, der Staatsholding, den Gerichtshöfen der Europäischen Union, der EU-Kommission, dem EU-Rechnungshof und der Europäischen Investitionsbank versprochen.
Bei den Staatsbeteiligungen erfolgte die Vorgangsweise in etwa so: Zwei Vertreter der ÖVP für jeweils einen Vertreter der FPÖ. Wo die Blauen das Sagen hatten - also im Infrastrukturministerium - war der Schlüssel umgekehrt.
Zusätzlich wurde auch noch der ORF-Umbau ausgemacht: Kurz und Strache hatten sich einerseits auf eine Abschaffung der ORF-Gebühren und auf neues Führungspersonal verständigt. Die neuen Machtverhältnisse im Stiftungsrat wurden ebenso schriftlich festgehalten, wie der Führungsanspruch der ÖVP in der Geschäftsführung und die Namen leitender Redakteure.
Gemeinsamer Bundespräsidenten-Kandidat geplant
Doch von Anfang an: Zunächst wollten ÖVP und FPÖ auf einen gemeinsamen Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl hinarbeiten. "Die Koalitionsparteien stimmen überein, dass sie bis zum 1.12.2021 eine Abstimmung zur allfällig gemeinsamen Vorgangsweise bzgl. der Nominierung eines Kandidaten für die Wahl der Bundespräsidenten vornehmen", hieß es da etwa.
Personalia in den höchsten Gerichten
Brisanter wird es dann, wenn es um die höchsten Gerichte im Land geht. 2018 mussten am Verfassungsgerichtshof (VfGH) drei Mitglieder gehen, weil sie die Altersobergrenze erreicht hatten. Wer ihnen nachfolgt, wurde schon 2017 im Papier festgehalten, berichtet das "Profil".
Brigitte Bierlein wurde von Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf Vorschlag der Bundesregierung zur Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs ernannt, das VfGH-Mitglied Christoph Grabenwarter rückte zum Vizepräsidenten auf – und Grabenwarters Platz nahm der vormalige ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter ein. "Präsident: bis zum 31.12.2019 Brigitte Bierlein (FPÖ) – ab 1.1.2020 Christoph Grabenwarter (ÖVP) [...] Nachfolge Grabenwarter: Brandstetter (ÖVP)", hieß es im im bis dato geheimen Papier.
Ebenso wurden die anderen frei werdenden Mitglieder des VfGH festgelegt, auch wenn deren Nominierungsrecht nicht der Bundesregierung, sondern dem Nationalrat zusteht, wie im Fall des VfGH-Richters Andreas Hauer, für den im Papier "(FPÖ)" neben dem Namen vermerkt wurde.
Im Dezember 2017, als Kurz und Strache die Koalition verhandelten, war Wolfgang Brandstetter ÖVP-Justizminister und – nach dem Rücktritt von Reinhold Mitterlehner (ÖVP) – auch Vizekanzler. Das Geheimpapier sieht für Brandstetter bereits zu diesem Zeitpunkt den Posten als Mitglied des Gerichtshofes vor. Auch der "Krone"-Kolumnist und Anwalt Tassilo Wallentin wird als Richter vorgesehen. Als einziger wird bei ihm "(unabhängig)" vermerkt. Wallentin rückte später nicht auf, statt ihm wurde der Wiener Rechtsanwalt Michael Rami Höchstrichter, der früher für die FPÖ tätig war.
Nationalbankpräsident von ÖVP besetzt
Auch andere Posten in der Justiz wurden aufgeteilt: Vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, "Nominierung durch ÖVP") über den Verwaltungsgerichtshof (VwGH), wo die ÖVP den Präsidenten stellen sollte und die FPÖ einen Vizepräsidentenposten, wenn eine Funktion frei werden sollte, bis zum Europäischen Rechnungshof, den die FPÖ hätte beschicken sollen - wie der "ORF" berichtet.
Bei der Nationalbank (OeNB) durfte sich die ÖVP schließlich aussuchen, ob sie Gouverneur oder Präsident besetzt, die FPÖ bekam den anderen Posten. Am 1. September 2018 wurde dann Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer von der ÖVP Präsident der Nationalbank. Als Gouverneur wurde von der FPÖ Robert Holzmann nominiert.
ÖBAG: Vorstand ohne Aufsichtsrat
Besonders interessant in dem Geheimpapier ist der Punkt "Beteiligungen". Es geht um die Österreichische Beteiligungsgesellschaft, heute ÖBAG, an der Staatsbeteiligungen wie an der Post, der OMV und der Telekom hängen. "Der Vorstand der Beteiligungsgesellschaft wird durch die ÖVP nominiert. Der Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft wird durch die ÖVP nominiert. Die FPÖ erhält eine Person bis zu 1/3 der Aufsichtsratsmandate in den Unternehmensbeteiligungen", wurde im Papier 2017 festgehalten. Das Aktiengesetz besagt aber, dass der Aufsichtsrat den Vorstand einer Aktiengesellschaft bestimmt - nicht die Regierung, schreibt das "Profil".
Ermittlungen gegen Kurz
Im Ibiza-Untersuchungsausschuss hatte Sebastian Kurz ausgesagt, er hätte keinen Einfluss auf auf die Zusammensetzung des neuen ÖBAG-Aufsichtsrats oder gar die Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Alleinvorstand genommen. Dafür sei das Finanzministerium unter der Leitung von Minister Hartwig Löger (ÖVP) zuständig gewesen, so Kurz. Den Vorstand habe der Aufsichtsrat beschlossen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft scheint ihm das nicht zu glauben - sie ermittelt wegen Falschaussage. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Abschaffung der ORF-Gebühren
"Es gibt Einvernehmen darüber, dass die ORF-Gebühren unter Voraussetzung budgetärer Machbarkeit in das Budget des Bundeshaushalts übergeführt werden. Den Zeitpunkt vereinbaren die beiden Koalitionspartner gemeinsam", unterzeichneten Strache und Kurz 2017. Umgesetzt wurde das nie. Im offiziellen Regierungsprogramm war nur von einer "Erarbeitung von Leitlinien für ein ORF-Gesetz NEU" die Rede. Dafür wurde das damals nicht unmittelbar zur Disposition stehende ORF-Direktorium im Voraus geplant – zumindest, was die Verteilung der Macht betrifft. Und die lag laut Papier bei der ÖVP, wie das "Profil" berichtet: "Geschäftsführung bei gesamter Neubestellung: 3:2 (GD + 2 VP, 2 FP)."
In einer allfälligen neuen ORF-Struktur wollte man mit vier Direktoren auskommen, zwei von der ÖVP und zwei von der FPÖ. Zudem sollten die Landesstudios "aufgewertet" werden.
Laut "Profil" gibt es eine Liste mit Namen von ORF-Leuten, allesamt nur mit Kürzeln erfasst. Unter "kurzfristige Maßnahmen" waren gleich neun ORF-Leitungsfunktionen abgesprochen worden: Zwei Chefredakteure, zwei Channel Manager, die Leiter von Rechts- und Personalabteilung, zwei Hauptabteilungsleiter und ein Sendungsverantwortlicher. Nicht alle Posten wurden besetzt, wie 2017 festgehalten, schreibt das "Profil".
Kopftuch, CETA, Landtagswahlen
Abgesprochen haben sich Kurz und Strache scheinbar auch zu politisch heiklen Vorhaben. Sie sollten jeweils immer etwa vor oder nach Landtagswahlen eingefädelt werden. Das Kopftuchverbot an Kindergärten und Schulen sollte demnach "im Einvernehmen zwischen den Regierungsparteien" bis spätestens 2020 eingeführt werden – "oder in Abstimmung im Hinblick auf die Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen". Tatsächlich trat das Kopftuchverbot im Herbst 2019 in Kraft, knapp ein Jahr vor der Wien-Wahl.
Andersrum lief es beim vieldiskutierten transatlantischen Freihandelsabkommen CETA. Hier sollte Österreichs Ratifikation erst nach der Salzburger Landtagswahl am 22. April 2018 erfolgen.
"Das türkis-blaue Projekt war nach kaum mehr als 500 Tagen an seinem Ende. Dafür wurde erstaunlich viel aus dem Geheimpapier umgesetzt, was vor allem die ÖVP für sich zu nutzen wusste", fasst das "Profil" die Recherchen zusammen.
Woher kommt das Geheimpapier?
Es wurde laut "Profil" und "ORF" vom FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft vorgelegt. Er sagt dort als Zeuge in den Ermittlungen gegen Kurz wegen mutmaßlicher Falschaussage aus. Die Recherchen von "Profil" und "ORF" fußen auf "Grundlage einer legalen Akteneinsicht durch verfahrensbeteiligte Personen außerhalb der Justiz und der Exekutive", teilt das Nachrichtenmagazin mit.
Und die Grünen?
Erst am Freitagabend soll den Medien schließlich auch ein Papier zugespielt worden sein, bei dem es sich um eine Vereinbarung von ÖVP und Grünen handeln dürfte. Es gibt nur ein Kapitel - das Kapitel "Personalia" und ähnelt dem Papier, das zwischen ÖVP und FPÖ verhandelt worden war. Darin finden sich aber keine Namen sondern nur Nominierungsrechte - die meisten für die ÖVP.
Im Jahr 2023 will sich die Regierung demnach die beiden Vorstandsjobs bei der Finanzmarktaufsicht teilen. "Vorbehaltlich möglicher Änderungen aufgrund von Reformen", heißt es im Papier. Geregelt ist auch die Zukunft der Österreichischen Nationalbank. Sollten dort Direktoren ausscheiden, wurde ein "abwechselndes Nominierungsrecht beginnend bei der ÖVP" vereinbart. Wie zuvor bei Türkis-Blau kam die ÖVP auch mit den Grünen überein, Aufsichtsratsmandate bei Staatsbeteiligungen so zu vergeben, dass jede Partei zumindest ein Drittel der Vertreter benennen darf.
Das Papier der aktuellen Regierung unterscheidet sich vom türkis-blauen Papier durch einen Satz am Ende: "Grundsätzlich ist festzuhalten, dass alle Besetzungen auf Basis von Kompetenz und Qualifikation erfolgen". Unterzeichnet wurde es von Sebastian Kurz und Werner Kogler.
Zusammenfassung
- "Profil" und "ORF" haben am Freitagabend Geheimpapiere veröffentlicht, die zeigen wie unter Türkis-Blau Verfassungsrichter, ORF-Führungskräfte und Aufsichtsräte aufgeteilt wurden. Auch unter Türkis-Grün gab es solche Nebenabreden.