Wien-Wahl
So wählt das Pflegewohnhaus in Meidling
Zwei Schülergruppen und mehrere Elternpaare mit Kinderwägen drängen sich über den Zebrastreifen Richtung Schloss Schönbrunn, allesamt biegen rechts in Richtung Haupteingang ab. Wer stattdessen links am Schloss vorbeigeht, steht schon bald vor dem Pflegewohnhaus der Caritas im 12. Wiener-Gemeindebezirk.
In dem beigen Gebäude wohnen unter anderem Helga Gielg und Johann Sauer, beide gebürtig aus Wien. Bei der anstehenden Wahl am 27. April wollen sie "auf jeden Fall" ihre Stimme abgeben. Die Wahlkarten für die Bewohner:innen sind bereits beantragt.
Für die 75-jährige Frau Gielg sind Kinder dabei ein Herzensthema. Auf die Kleinsten gehöre "viel mehr Rücksicht genommen", das solle sich auch in der Stadtpolitik niederschlagen. So müsse es zum Beispiel für jedes Kind einen Kindergartenplatz geben.
Ihr zweites Top-Anliegen ist der Tierschutz. In Österreichs Hauptstadt würde negativ auf Tiere geblickt, das fange bei den Tauben an. Zu Unrecht, meint Gielg: "Die sind besser als der Wiener, der schimpfend durch die Gassen geht."
Barrierefreiheit: "Sollte da sein, aber ist sie ned"
Sie selbst ist heute nur noch selten draußen, um diesen Wiener Grant hautnah zu verfolgen. Als "ausgesprochener Stadtmensch" habe sie Wien immer genossen, erzählt Gielg. "Von der Wohnung raus ins pure Leben." Als junge Frau wohnte sie in der Nähe des Raimund Theaters, "ganz oben im fünften Stock".
Nun falle ihr auf, dass die Menschen auf der Straße und in Geschäften keine Rücksicht auf Personen im Rollstuhl nehmen. Der 77-jährige Herr Sauer deutet einen Tritt mit dem Fuß an - er stupse die Leute dann einfach weg.
Beide sind im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen. Barrierefreiheit "sollte ja da sein, aber ist sie ned", berichtet Gielg. Vor die Türen des auf ihre Bedürfnisse ausgelegten Pflegewohnhauses trauen sich weder sie noch Sauer ohne Begleitung.
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"Schon zum Spar ist es schwierig." Eine Straße liegt zwischen ihrem Wohnort und dem Supermarkt. "Die Ampelphasen sind sehr kurz, da kommen die älteren Leute nicht drüber", sind sich beide einig. Da steht ein Fahrzeug, dann kommt die Bim aus der einen Richtung. Kaum hat man es ein Stück weiter geschafft, kommt sie aus der anderen Richtung. Das sei schlicht zu gefährlich, das riskiere keiner. Verkehrspolitisch bestehe also Aufholbedarf.
Während bereits der Weg zum Supermarkt zum Hindernisparcours wird, stellt sich bei kleinen Ausflügen innerhalb Wiens zusätzlich die Kostenfrage. Helga Gielg erzählt vom Begräbnis einer Freundin aus dem Pflegeheim, das sie gerne besucht hätte. Die Transportkosten von insgesamt 180 Euro wollte sie eigentlich mit einer weiteren Hausbewohnerin teilen. Der war ihr Anteil von 90 Euro für den Besuch der Trauerfeier letztlich jedoch zu viel, am Ende verpassten sie beide das Begräbnis der Freundin.
"Da gehört gefördert", meint die Pflegehausbewohnerin. Auch einstigen Theaterbesuchen trauert sie heute hinterher: "Ich würde so gerne zum Phantom der Oper gehen." Die Kosten für Transport und Karten schlagen allerdings mit mehreren Hundert Euro zu Buche.
Zugesperrte Wirtshäuser, Blicke aus Gemeindebaufenstern
Wer bei der Wien-Wahl ihre Stimme bekommt, ist für Gielg noch offen. Man sei aber noch von Zuhause geprägt: "Was die Familie gewählt hat, hat man auch gewählt." Johann Sauer hat in seinen 77 Lebensjahren nur ein einziges Mal nicht die gleiche Partei gewählt. Wen er normalerweise wählt und wer der wahltechnische Ausrutscher war, verrät er nicht.
Wie Wien wählt
Jüngst hat er sich selbst einer Wahl gestellt: Zum Bewohner:innen-Vertreter. Am bunt dekorierten White-Board im Gang hängt ein Foto des 77-jährigen Stellvertreters, dem die anderen im Pflegeheim ihre Anliegen weitergeben können - vertraulich, versteht sich.
Früher seien Wahlen im Alltag präsenter gewesen als heutzutage, berichten die beiden. "Als ich klein war, wurden bei der Bundespräsidentenwahl die Wirtshäuser zugesperrt und die alten Leute von daheim abgeholt", erzählt Glieg. Sauer, der früher im Otto-Wagner-Spital gearbeitet hat, brachte die dortigen Patient:innen einst selbst ins Wahllokal.
Im Gemeindebau sei "genau geschaut" worden, "war der wählen oder nicht", erzählt die gebürtige Wienerin Gielg. "Das konnte keiner verbergen".
Wie Wien wählt
Wien wählt, aber wie? PULS 24 ging für die Reportageserie "Wie Wien wählt" auf die Suche – vom Brunnenmarkt bis in die Lugner-City, vom Pflegeheim bis in die Schule, zu den Fiakern und den Würstlern. Und alles dazwischen.
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Zusammenfassung
- Am 27. April wählt Wien einen neuen Gemeinderat.
- Die SPÖ liegt stabil auf Platz eins, die FPÖ dürfte mit einem satten Plus den zweiten Platz einfahren.
- In der Serie "Wie Wien wählt" fängt PULS 24 die Stimmung in der Hauptstadt ein.