Wie Wien wählt
So wählt der Wiener Brunnenmarkt
Kunterbunte Gemüse- und Obstmärke, duftendes Aroma orientalischer Gewürze und knuspriges Fladenbrot: Am Wiener Brunnenmarkt treffen unterschiedliche Welten aufeinander. Täglich drängen sich Hunderte mit ihren Einkaufssackerln durch die engen Gassen zwischen den Ständen und füllen sie mit allerlei Köstlichkeiten.
Was dabei nicht fehlen darf: Naschen und Kosten. Das Angebot ist schließlich verlockend und vielfältig. Während Wien auf die Gemeinderatswahl am 27. April hinsteuert, scheint diese am Brunnenmarkt kein großes Thema zu sein. Keine Wahlplakate, keine Polit-Präsenz. Eigentlich überraschend, da jener Markt in der Vergangenheit bereits öfters zum Politikum gemacht wurde - vor allem von ÖVP-Wien-Chef Karl Mahrer.
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Doch wie sieht es aus Sicht der Wähler:innen aus? "Ich habe die Staatsbürgerschaft, ich gehe auch wählen, aber ich wähle ungültig", erklärt Mohammed (Name von der Redaktion geändert, Anm.), ein Marktarbeiter.
Während Mohammed die frischen Petersilienbündel in der Kiste für seine ersten Kund:innen drapiert, erklärt er, dass er mit seiner ungültigen Stimme ein klares Zeichen setzen möchte. Er hat den Eindruck, von der Politik weder ausreichend vertreten noch wahrgenommen zu werden. Der Marktverkäufer hat sich zwar alle Parteien angesehen, findet aber alle "scheiße".
Etwas anders sieht es wenige Schritte weiter bei Zeynep (Name von der Redaktion geändert, Anm.) aus. Sie ist gerade dabei, behutsam ihr frisch geliefertes Obst und Gemüse in die grünen Kisten zu sortieren. Bunte Paprika, Melanzani und Äpfel – alles bekommt seinen Platz.
Zeynep lebt seit 15 Jahren in Wien und arbeitet gemeinsam mit ihrem Ehemann Kadir (Name von der Redaktion geändert, Anm.) leidenschaftlich an ihrem Gemüsestand. "Ich kann nicht wählen, weil ich die türkische Staatsbürgerschaft habe", erklärt sie und sortiert dabei die Gurken um.
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Zeynep gehört zu den etwa 611.000 Menschen in Wien, die mangels österreichischer Staatsbürgerschaft am 27. April nicht wählen dürfen. Hätte sie die Wahl, würde sie aber wählen gehen. Bis zum Jahr 2050 könnte übrigens nur mehr jede zweite Person in Wien wahlberechtigt sein, wie eine Prognose der Organisation SOS Mitmensch ergeben hat.
"Das sollte in Wien nicht passieren"
"Natürlich gehe ich wählen, das ist mein Recht", sagt Fahad (Name von der Redaktion geändert, Anm.) entschlossen. Seine Wurzeln liegen in Indien, wo er auch geboren ist. Seit 1984 lebt er in Wien und 1999 hat er die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen.
Fahads Stand ist sichtlich beliebt und kaum zu übersehen. Von Textilien, Sonnenbrillen über Fahnen bis hin zu Fußballtrikots ist alles dabei. Dabei dürften vor allem die bunten Trikots der Fußball-Alphas echte Kundenmagnete sein.
Das Gespräch mit Fahad wird kurz unterbrochen, als zwei junge Burschen neugierig an den Stand treten. "Hast du ein Hazard-Trikot?", fragt einer der Jugendlichen. "Heute nicht", ruft ihnen Fahad zu. Zur Auswahl stehen alternativ: Bellingham, Ronaldo oder Haaland – für 15 Euro das Shirt.
Geben die jungen Burschen bei der Wien-Wahl ihre Stimme ab? Einer nickt entschlossen: "Wir haben, denke ich, alle gesehen, wie die Nationalratswahl ausgegangen ist. Das sollte in Wien nicht passieren", erklärt er.
Welche Partei er wählen wird, möchte er zwar nicht verraten. Er weiß aber genau, welche Partei "auf keinen Fall" in Frage kommt: die FPÖ. Auch Fahad behält seine Wahlentscheidung für sich. "Das ist ein Geheimnis", sagt er lachend.
"Hetze der Politik"
2023 sorgte der Wiener ÖVP-Chef Mahrer mit einer Aussage über den Brunnenmarkt für Aufregung. "Syrer, Afghanen, Araber haben die Macht über den Brunnenmarkt übernommen", ärgerte sich der Spitzenkandidat in einem Video über die Herkunft der Wirtschaftstreibenden am Brunnenmarkt.
Wie Wien wählt
Seine Worte stießen auf heftige Kritik. SPÖ, NEOS und Grüne warfen ihm damals Rassismus vor. Die Vorwürfe wies er zurück.
Kurze Zeit später nutzte er das Video einer Rauferei auf dem Brunnenmarkt als erneuten Aufhänger, um die "gescheiterte Integrationspolitik" der Wiener SPÖ zu kritisieren. Dabei sprach er von einer "Unsicherheitszone mit Drogen- und Gewaltkriminalität".
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An jene Aussagen erinnert sich Fahad noch genau. Und selbst zwei Jahre später kann er darüber nur den Kopf schütteln. "Seit 2008 habe ich diesen Markt hier am Brunnenmarkt. Die Mehrheit an Marktbesitzern am Brunnenmarkt sind Ausländer. Auch die Besucher sind mehrheitlich Ausländer." Dennoch habe er seit 17 Jahren hier "keine Probleme gehabt".
So sieht es auch Kadir. "Das war wieder einmal eine Hetze der Politik", sagt der Marktbetreiber. Er nimmt jene Menschen in Schutz, die Mahrer 2023 zur Zielscheibe machte: Syrer:innen, Afghaner:innen und Araber:innen. "Dank diesen Menschen funktioniert der Markt so gut", sagt er.
Das kann er aus eigener Erfahrung bestätigen. "Natürlich gibt es einzelne Fälle in der Vergangenheit, die man kritisieren kann", so Kadir. "Seit eineinhalb Jahren beobachte ich aber, dass sich auch viele von ihnen integriert haben, dass es weniger Streitereien und Unruhe gibt", erklärt er weiter.
Trotz kritischer Stimme vor allem gegenüber der ÖVP möchte der erfahrene Gemüseverkäufer bei der kommenden Wien-Wahl nicht mitwählen. Der Grund: Keine Partei ist "authentisch genug".
So oft der Brunnenmarkt auch in ein negatives Licht gerückt wird, zeigt sich bei genauerem Hinsehen jedoch ein differenziertes Bild. Vor allem im Hinblick auf die kommende Wien-Wahl gibt es unterschiedliche Meinungen.
Anders als öffentlich debattiert, kommen auch Österreicher:innen gerne hierher, um sich unter anderem mit orientalischen Gewürzen einzudecken.
Das zeigt sich bei Gesprächen am Brunnenmarkt. Auch mit einer Wiener Pensionistin, die, beide Hände voller Gewürze, vor einem Stand steht und erklärt: "Hier gibt’s die besten Gewürze, da komm ich gern‘ her".
Auf die Frage, ob sie die Vielfalt – oder mit den Worten von Teilen der Politik: "die Gefahr" – am Brunnenmarkt störe, antwortet sie ganz deutlich: "Vielfalt g’hört einfach zu Wien".
Wien wählt, aber wie? PULS 24 ging für die Reportageserie "Wie Wien wählt" auf die Suche – vom Brunnenmarkt bis in die Lugner-City, vom Pflegeheim bis in die Schule, zu den Fiakern und den Würstlern. Und alles dazwischen.
Wir möchten aber auch wissen, was Sie über Wien denken. Was finden Sie gut, was verbesserungswürdig? Teilen Sie es uns mit.
Zusammenfassung
- Am 27. April entscheidet Wien über seinen neuen Gemeinderat.
- Der Wiener Brunnenmarkt zeigt, wie vielfältig Wien und das politische Stimmungsbild ist.
- Im Rahmen der Serie "Wie wählt Wien" hat sich PULS 24 umgesehen.