Regisseur Constantin Wulff und sein "Wirklichkeitskino"
Und das galt einst auch für die Arbeiterkammer, auf die er gestoßen sei, weil sie zu Beginn der türkis-blauen Regierung durch "sehr unpolemische, präzise Sachargumente" aufgefallen sei. 2017/2018 habe er mit der Recherche begonnen. Dass die Kammer sich gerade da auf ihr 100-jähriges Bestehen vorbereitete, sei ebenso Zufall gewesen wie der Ausbruch von Corona. Ab März 2020 habe er vieles nicht drehen können, vieles sei nicht passiert. Aber: "Da ich Wirklichkeitskino mache, war Corona schon ein Teil des Films geworden."
An Aufhören habe er nie gedacht, sagt Wulff. "Für einen Dokumentaristen ist es ein Glücksfall, so eine Krise zu dokumentieren." Er habe sich dann den Fragen gewidmet: Wie geht eine Organisation damit um? Wie geht eine Gesellschaft damit um? Wie verändert es sie?
Wulff, der sich nach eigenen Angaben dem sozialen Kino verpflichtet fühlt, dreht nach der Direct-Cinema-Methode, der Methode der teilnehmenden Beobachtung, ohne gestellte Szenen, ohne Off-Kommentar, ohne Interviews. Zentral sei für ihn, dass alle Menschen, die im Film vorkommen, vorher um ihre Erlaubnis gebeten werden. "In der Zeit der Masken war das Einverständnis noch größer", sagt Wulff, der dies als "interessante soziologische Beobachtung" bezeichnet.
Überrascht sei er von der Ungerechtigkeit in der Arbeitswelt gewesen, über die er beim Drehen erfahren habe. "Der Arbeitskampf wird auf dem Rücken der ohnedies schon marginalisierten Schichten ausgeführt", so Wulff. Das massive Leid habe ihn betroffen gemacht. "In meiner filmischen Methode ist es wichtig, dass man den Rahmen setzt und am Schauplatz bleibt." Der Gewinn dieser filmischen Reduktion sei eine hohe Form an Authentizität.
Die Arbeiterkammer ist laut Wulff ein Ort, "an dem wir erfahren, wo wir gesellschaftlich stehen". Wichtig sei es ihm auch gewesen, hinter die Kulissen zu blicken. Er habe Besprechungen des Managements und der Angestellten der AK gefilmt, um das Arbeitsklima zu zeigen. "Ich war angetan von dem Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde", sagt Wulff. Selbst während der Coronakrise, mit all den internen Unsicherheiten, habe er während der Zusammenkünfte drehen dürfen.
Noch etwas hat Wulff aus den Dreharbeiten zu seinem Film über die Arbeiterkammer mitgenommen: "Dorthin kommen Menschen aus 200 verschiedenen Herkunftsländern. Wien ist wirklich ein Melting Pot. Es ist eindrucksvoll vor Augen geführt zu bekommen, wie sich die Gesellschaft verändert."
(Das Gespräch führte Stefan May/APA)
Zusammenfassung
- "Ich bin erstaunt, dass die Arbeiterkammer außerhalb Österreichs unbekannt ist."
- Das sagte der Filmproduzent und Dokumentarfilmer Constantin Wulff im Gespräch mit der APA anlässlich der Weltpremiere seines Films "Für die Vielen - die Arbeiterkammer Wien" bei der heurigen Berlinale.
- Ab März 2020 habe er vieles nicht drehen können, vieles sei nicht passiert.
- "Ich war angetan von dem Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde", sagt Wulff.