Hans Rauscher sieht Qualitätsjournalismus nicht am Ende
"Und wir haben etwas, das wir noch gar nicht richtig einschätzen können", ergänzt Rauscher. "In den USA scheint mit Trump und den ihn umgebenden Hightech-Milliardären bald eine Oligarchen-Herrschaft anzubrechen. Elon Musk, Peter Thiel und andere haben die Vorstellung, dass die Welt von genialen Hightech-Milliardären regiert werden sollte. Gleichzeitig wollen sie den Staat radikal reduzieren. Das sind Verrücktheiten - die aber heute Bedingungen vorfinden, wie sie für sie besser nicht sein könnten. Das ist 'pretty scary' auch für uns Medien, denn die haben mit klassischem Journalismus nichts im Sinn."
Dennoch sieht Rauscher das Ende des Qualitätsjournalismus noch nicht gekommen, obwohl er einschlägige Untergangsszenarien "ziemlich beunruhigend" findet. "Wenn die Informierten, denen nicht alles wurscht ist, aufhören, Dinge aufzuzeigen, dann erreichen wir den Kipppunkt. Man muss gegen das Gefühl arbeiten, dass eh' alles egal ist." Die Hoffnung, dass noch nicht alles verloren ist, schöpft sich aus der rechtzeitigen Transformation der Verbreitungsplattformen: "Wer sich technologisch anpasst, hat eine Chance. Wer zu spät kommt, den bestraft die Online-Welt."
Die Entwicklung des "Standard", jener Zeitung, bei der er seit 1997 an Bord ist, mache ihm Hoffnung: "Ich habe mitverfolgt, wie wir von einem liberalen Nischen-Print-Blatt zu einem Power-Medium geworden sind, weil wir vor 30 Jahren massiv online gegangen. Ich selber habe mich da beteiligt, weil ich mit den Leserinnen und Lesern, die ihre Kommentare zu Hunderten oder Tausenden daruntersetzen, diskutiere. Wir haben online ein zusätzliches, viel breiteres Publikum gefunden: Wir haben derzeit pro Monat 3 Millionen unique clients."
Ein "beträchtliches Online-Werbeaufkommen" zählt Rauscher zu den Pluspunkten dieser Entwicklung, die "Explosion des Wahnsinns, der Blödheit und auch der bewusst gesetzten Desinformation" in der Online-Welt zu den negativen Entwicklungen. Die Moderation der täglich 60-80.000 Postings in den Leserforen des "Standard" durch ein eigenes Team, aber auch eine Software verhindere das Schlimmste. Mit dem Rest setze er sich auseinander. "Ich lese meine Reaktionen und antworte auch - wofür die User relativ dankbar sind. Dabei traue ich mir zu, bei den Postings unter meinen Kommentaren die Russen-Bots und die Partei-Bots zu erkennen."
An das Aussterben des Print-Journalismus möchte Hans Rauscher nicht glauben. "Auch ich wache auf und greife zum Tablet, um mich zu informieren. Aber die langen Geschichten möchte ich schon noch im Print lesen." Wer online liest, hinterlässt auswertbare Spuren, die den Medienmachern Erkenntnisse ermöglichen. Etwa diese: "Es besteht offenbar ein ungeheurer Bedarf an Geschichten, die nicht reine Politik sind und nicht gleich die Katastrophe ausmalen. Du musst den Leuten auch etwas Gescheites, Unterhaltendes bieten. Am Wochenende sind zwei Geschichten online fantastisch gegangen: Eine Diskussion unter Leser:innen, ob man seine Gäste zwingen soll, die Schuhe auszuziehen, und eine Geschichte über die unbekannten Schätze, die man in Notre Dame gefunden hat."
Das heiße nicht, dass man nun auf reine "good news" umstellen müsse, "aber wir müssen uns die Präsentationsweise überlegen. Wir müssen ein neues Narrativ finden, es herunterbrechen auf die Folgen für die Leute. Ich stimme dem Medienwissenschafter Bernhard Pörksen zu, der sagt: Die Aussage, dass die Demokratie durch den neuen Faschismus gefährdet ist, ist zu abstrakt. Man muss konkreter werden."
Warum sich aber etwa die konkreten Erfahrungen der bisherigen Regierungsbeteiligungen der FPÖ nicht mehr in der Erinnerung der Menschen eingeprägt haben, dafür hat der politische Beobachter "keine plausible Erklärung außer der: Die anderen Parteien sind in den vergangenen Jahren so schwach gewesen, dass sehr viele die FPÖ aus einem Wut- und Protestreflex wählen. Man bekommt keine Orientierung mehr von den Regierenden." So habe etwa die immer inkonsistenter gewordene Corona-Politik der Regierung beträchtlichen Unmut ausgelöst, der nachhalle. "Es ist zu wenig plausible Führung angeboten worden!"
Das heutige Problem sei eine Politikergeneration, die nicht durch und existenzielle Bedrohungen geformt worden sei, sondern nur Wohlstand und Friede erlebt habe - und vor allem eines gelernt habe: Kommunikation ist alles! "Jeder hoffnungsvolle junge Politiker wird in einen Kommunikationskurs geschickt. Man sollte ihn aber auch in einen Geschichtskurs schicken, und in einen Ökonomie-Kurs. Denn Kommunikation ist nicht alles!"
Heute sind die Kommunikationsabteilungen von Ministerien und Parteien größer als die meisten innenpolitischen Redaktionen - und Geld wird weiterhin mehr durch Inserate als durch Qualitätsmedienförderung verteilt. Daran werde sich wohl auch so schnell nichts ändern, glaubt Hans Rauscher: "Das Wichtigste wäre schon, wenn sie darauf verzichten würden, die Nicht-Qualität zu fördern!" Dabei wäre Qualität bei den Handelnden wie bei ihren kritischen Begleitern gefragter denn je: "Wir sind wieder in einer Zeit existenzieller Bedrohung. Die ganze politische Klasse muss das begreifen - auch die Medien. Wir müssen uns darauf einstellen."
Ist Meinungsjournalismus, wie ihn Hans Rauscher praktiziert, überhaupt noch gefragt? "Entscheidend ist das Gesamtkunstwerk des Journalismus: Was wird für wichtig erachtet? Aber neben dem Gatekeeper-Journalismus ist auch der Erklär- und Kommentier-Journalismus unerlässlich. Du musst Einordnung geben! Das verliert natürlich bis zu einem gewissen Grad durch die Explosion der Sozialen Medien seine frühere Stellung. Der einordnende Journalismus hat aber nach wie vor seine Funktion - er muss nur besserer, mutiger und entschiedener werden! Die Leute wollen Wegweiser. Aber wir sind nicht mehr die einzigen Wegweiser. Darüber müssen wir uns im Klaren sein."
Und jene, die mit Hans Rauscher nicht einer Meinung sind, müssen sich darüber im Klaren sein, dass er sich auch nach seinem 80. Geburtstag nicht ins Privatleben zurückziehen wird. Gelegentlich bekomme er von Leserinnen und Lesern, die mit seinen Kommentaren nicht einverstanden sind, inmitten von Ausfälligkeiten die Frage gestellt: Wann gehen Sie endlich in Pension? "Ich schreib' dann immer zurück: Wenn Sie erwachsen geworden sind!"
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
Zusammenfassung
- Hans Rauscher, der an seinem 80. Geburtstag interviewt wurde, sieht den Qualitätsjournalismus trotz aktueller Herausforderungen nicht am Ende.
- Er warnt vor einer möglichen Oligarchen-Herrschaft in den USA durch Hightech-Milliardäre wie Elon Musk und Peter Thiel, die den Staat radikal reduzieren wollen.
- Die Transformation des 'Standard' von einem Nischen-Print-Blatt zu einem Online-Power-Medium mit 3 Millionen unique clients pro Monat zeigt die Chancen der digitalen Anpassung.
- Rauscher betont die Notwendigkeit eines mutigeren und entschiedeneren Erklär- und Kommentier-Journalismus, um den Menschen Orientierung zu bieten.
- Er glaubt nicht an das Aussterben des Print-Journalismus, sieht jedoch die Bedeutung von unterhaltenden und informativen Online-Inhalten, die nicht nur Politik und Katastrophen thematisieren.