Suchtgiftlieferungen nach Österreich abgefangen
Der Schlag gegen die Versorgung mit Suchtgift u.a. in der Bundeshauptstadt gelang durch die akribischen Ermittlungen von Drogenfahndern der seit 2015 bestehenden Gruppe "AG Maghreb" im LKA Wien, Außenstelle West. Hintergrund sind Tätergruppen aus Nordafrika, die ihre Drogen aus dem Balkan beziehen. Dabei kam heraus, dass das Cannabis und das Kokain mittels Lkw-Lieferungen, versteckt unter Produkten wie etwa Lebensmitteln, nach Österreich kommen sollen. Meist sind mehrere Schwerfahrzeuge einer Spedition unterwegs, aber einer hat die Drogen in einem der zahlreichen Kartons versteckt. Danach wird die heiße Ware umgeladen und an die nordafrikanischen Tätergruppen verteilt, die dann als sogenannte Läufer das Suchtgift unter die Leute bringen.
Der erste Sattelschlepper konnte am 9. April beim Grenzübergang Spielfeld entdeckt und nach Hartberg abgeleitet werden. Bei der Kontrolle mit Unterstützung der Polizeidiensthundeeinheit Graz wurden insgesamt 141 Kilogramm Cannabiskraut gefunden. "Die Täter haben einen Riesenfehler gemacht", sagte ein Ermittler, der namentlich nicht genannt werden möchte. Ein Kilogramm Kokain war in der Fahrerkabine einfach in einem Sackerl deponiert. Der 47-jährige Fahrer aus Serbien und der 38-jährige Beifahrer aus Bosnien-Herzegowina wurden festgenommen.
Die Ermittler gehen davon aus, dass das Kilo Kokain als "Probekokain" dienen sollte, um den illegalen Geschäftspartnern zu zeigen, wie gut die Qualität ihrer Ware ist. "Ein Amuse-Gueule, sozusagen ein Gruß aus der Küche", sagte ein weiterer Drogenfahnder der Gruppe "AG Maghreb". Neben der Autobahnpolizei Hartberg waren auch Beamte der Autobahnpolizei Graz West, der Polizeiinspektion Hartberg sowie der Fremdenpolizei Ilz und Spielfeld maßgeblich an der Aktion beteiligt.
Aufgrund von Lkw-Bewegungen gingen die Ermittler davon aus, dass zu Ostern eine weitere Lieferung eintrifft, und legten sich auf die Lauer. Am Dienstag nach den Feiertagen, am 22. April, erreichte dann diese Lieferung in Wien. In einer Sackgasse in Favoriten, in der Sulzengasse, sollte das Suchtgift vom Sattelschlepper in einen Klein-Transporter umgepackt werden. Weil die Tätergruppe mit Begleitfahrzeugen diese Umverteilung selbst genau beobachtete, gestaltete sich die Observierung der Polizei schwierig. Bei jedem Jogger oder Passanten mit Hund, der nahe des Liesingbaches vorbeiging, stoppten die Täter ihre Arbeit und machten erst weiter, wenn die Luft wieder rein war.
Dennoch griff die Polizei mit Unterstützung der DSE/EKO Cobra zu und konnte in acht Sporttaschen 241 Kilogramm Cannabiskraut sicherstellen. Drei Männer wurden festgenommen: der 35-jährige Fahrer eines Sperrfahrzeuges, der Aufpasserdienste leistete, der 44-jährige Abholer und ein weiterer Abholer (46), der dann in einer Wohnung in Favoriten geschnappt wurde. Alle drei stammen aus Montenegro. Der Fahrer des Sattelschleppers konnte flüchten. "Aber er wird nicht weit kommen", sagte ein Ermittler. In Wohnungen in der Landstraße, in Margareten, in Favoriten und in Simmering, in denen der Fahrer zeitweise gewohnt hatte, wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Dort wurde dann noch ein Kilogramm Kokain entdeckt.
Geldzählmaschine sichergestellt
Bargeld wird laut den Ermittlern meist eher wenig gefunden. Bei der Aktion konnten rund 40.000 Euro sichergestellt werden. "Aber es muss viel da gewesen sein", so ein Fahnder. In einer völlig verdreckten Wohnung wurde eine Geldzählmaschine sichergestellt. Ob die festgenommenen Männer aus den Balkan-Mafiaclans wie Kavac oder Vracar stammen, "sei noch Gegenstand von Ermittlungen". Die Verdächtigen hüllten sich bisher in Schweigen.
Kokain mit Reinheitsgrad von über 90 Prozent
Im Zuge des Hintergrundgesprächs gaben die Ermittler der "AG Maghreb" auch einen Einblick in den organisierten Drogenhandel in Österreich, der sich in den vergangenen Jahren "massiv verändert" habe. "Nordafrikaner wurden zur führenden Macht im Drogenhandel und sie agieren sehr skrupellos", sagte einer der Ermittler. Die Gruppierungen holen sich Unterstützer aus Spanien und Frankreich. Dabei handle es sich um Personen, die dort schon im organisierten Drogenhandel aktiv waren.
Nordafrikaner - in Wien seien großteils Algerier aktiv - arbeiten mittlerweile mit Gruppen aus dem Balkan, die das Suchtgift aus Südeuropa beschaffen. Menschen aus den ehemaligen Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien, Tunesien) beliefern dann ihre Kundschaft mit einer großen Menge an Drogen. "Es geht um Kokain mit einem Reinheitsgrad von über 90 Prozent, das ungestreckt auf die Straße kommt", sagte ein Ermittler. Auch beim Cannabisharz hätte sich der Reinheitsgrad verdoppelt und läge heute durchschnittlich bei 30 Prozent, beim letzten Aufgriff sogar bei 50 Prozent. "In der 68er Generation waren es noch sieben bis acht Prozent üblich." Für ein Kilogramm Kokain zahle man heute etwa 35.000 Euro - der Preis ist damit nur leicht gestiegen, die Qualität sei aber heute viel besser.
Arbeiten "wie am Fließband"
Die Szene in Österreich habe sich professionalisiert. Man könne sich die Struktur wie in einer Firma vorstellen: Es gebe einen Großhändler, der die Drogen beschaffe und mit einzelnen Zellen ins Geschäft komme. Die wiederum hätten wieder jeweils einen Chef und Mitarbeiter, die "wie am Fließband" arbeiten würden. Die übergeordneten Täter würden den Druck, wie viel verkauft werden muss, an diese Mitarbeiter, die meist als Läufer agieren, weitergeben.
In Österreich würden vor allem Menschen aus Montenegro und Serbien die Drogen aus Südeuropa beschaffen und an Gruppen aus Nordafrika weitergeben. Auch wenn die beiden Gruppierungen eigenständig arbeiten, sind sie voneinander abhängig. Die Täter aus dem Balkan haben die besseren Kontakte nach Südeuropa. Die Nordafrikaner haben dafür "keine Reisefreiheit, sind illegal hier, haben keinen Führerschein oder Ausweis und laufen immer Gefahr, festgenommen zu werden", erklärten die Ermittler. Sie würden deshalb auch keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen, hätten keinen Wohnsitz angemeldet und wollen nicht auffallen. Die Chefs der Clans würden ihnen auch nahelegen, sich möglichst gut zu integrieren und nicht aufzufallen. Allerdings würden Tätergruppen aus Nordafrika den Drogenverkauf in Wien dominieren. "Sie sind gut organisiert", so ein Drogenfahnder.
Brutale Streits
Wenn es innerhalb der Clans zu Streitigkeiten kommt, würden die Täter auch nicht vor Messerstechereien zurückschrecken. Die Algerier im Drogenhandel seien sehr brutal, doch Vorfälle würden in der Regel nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen, sondern im privaten Raum, um das Geschäft nicht zu stören, wie die Ermittler der "AG Maghreb" berichteten. Der sogenannte Macheten-Mord an einem Algerier 2023 bei der U-Bahn-Station Jägerstraße in Wien-Brigittenau habe "zu viel Aufsehen erregt". Das damalige Opfer hatte einen Haftbefehl der Ermittler der "AG Maghreb".
Die obere Ebene erkundigt sich über neue Mitarbeiter sehr genau. Sie wissen, wo sie wohnen oder wer ihre Angehörigen sind. Teilweise würden Auseinandersetzungen über die Familie in den Heimatländern gelöst werden. Man könne in diese organisierten Gruppen nicht einfach "hineinrutschen", Verkäufer würden nicht auf der Straße angeworben werden. Die Familie würde auch als Druckmittel genutzt werden, "deswegen wird auch nicht geredet", so die Ermittler. Die Gruppenmitglieder verdienen ihr Geld mit Drogen und versorgen auch ihre Familien in den Heimatländern mit, sie hätten keinen Grund, über die Organisation "auszupacken".
Breite Kundenschicht
Mit ihrer Arbeitsweise seien die Gruppen laut den Ermittlern sehr erfolgreich: Ihre Kundenschicht sei sehr breit und reiche von Jugendlichen bis zu Pensionisten, die mit Suchtmitteln beliefert werden. Der Lebensstandard der Drogenverkäufer sei in den vergangenen Jahren gestiegen. Das habe eine Art "Vorbildwirkung" auf Personen, die noch in Nordafrika leben und sehen "dass man es in Europa mit Drogenhandel zu etwas bringen kann". Sie würden Kleidung von Gucci tragen und es auf Social Media posten: "Ihnen wird 'Gangster's Paradise' vorgelebt, in Wirklichkeit ist das hart verdientes Geld."
Zusammenfassung
- Das Landeskriminalamt Wien konnte rund um Ostern mehrere hundert Kilo Cannabis und zwei Kilo Kokain abfangen.
- Fünf Männer wurden festgenommen, während ein Täter noch auf der Flucht ist.
- Die Drogen wurden in Lkw aus dem Balkan versteckt und nach Österreich geschmuggelt.
- Die Ermittlungen wurden von der Gruppe 'AG Maghreb' durchgeführt, die nordafrikanische Tätergruppen im Visier hat.
- Das beschlagnahmte Kokain wies einen Reinheitsgrad von über 90 Prozent auf, was die hohe Qualität der Ware unterstreicht.