Waldhäusl-Prozess: Stacheldraht "verunglücktes politisches Signal"
Der ehemalige Landesbeamte, inzwischen in Pension, erinnerte an "unglaublichen Zeitdruck" bei der Schaffung einer eigenen Flüchtlingseinrichtung für Jugendliche, die in anderen Quartieren "nicht mehr betreubar sind". Der 64-Jährige hatte in Mails an das Büro von Waldhäusl darauf verwiesen, dass bei Einhalten der fachlichen Voraussetzungen mehr Zeit nötig sei. Seine Hinweise bzw. Einwände seien ignoriert bzw. ihm als Verzögerung angekreidet worden, meinte der Zeuge.
"Degradierende Mails"
Ein Kabinettsmitarbeiter des FPÖ-Politikers hatte dem Landesbeamten daraufhin das "unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte äußerste Missfallen des Landesrates" übermittelt. "Es waren so degradierende Mails, wie ich sie davor in 32 Jahren Berufslaufbahn, meistens in leitender Funktion, nie bekommen habe", blickte der 64-Jährige zurück. Danach hatte der Mann seiner Aussage zufolge keine Entscheidungen mehr in Bezug auf Drasenhofen getroffen, "ich war dann auch nicht mehr Ansprechpartner". Den Vertrag für das Quartier an der Grenze zu Tschechien habe der Landesrat unterschrieben. Einzelne Zuweisungen von Flüchtlingen an Unterkünfte "habe ich nie gemacht", betonte der Zeuge.
Stacheldraht "falsches Signal"
Während einer Autofahrt war die 55-jährige Ex-Landesbedienstete am Beifahrersitz telefonisch von einem Kabinettsmitarbeiter über einen geplanten Stacheldraht informiert worden. "Ich hab das Thema nicht wirklich ernst genommen", meinte der 64-Jährige, der damals den Wagen gelenkt hatte. Der ehemalige Beamte bezeichnete Stacheldraht als "falsches Signal" in einer Einrichtung für Jugendliche. Den Zaun kennt er nur von Fotos: "Ich habe ihn weder gesehen noch abgesegnet." Der Zeuge erklärte: "Nach meiner persönlichen Meinung wird hier keine Person in ihrer Freiheit beschränkt." Der Stacheldraht war laut der Richterin in Drasenhofen auf der Vorderseite angebracht. Das Ein- und Ausgehen war jedoch problemlos möglich.
Schnellere Öffnung war "absolut nicht" angeraten
Nach einer für Aufsicht zuständigen Landesbediensteten wurde am vierten Tag der Schöffenverhandlung am Landesgericht St. Pölten auch der damalige Chef der ASOB Asyl Sonderbetreuungs GmbH, der Betreiberfirma der Unterkunft Drasenhofen, als Zeuge einvernommen. Nach der Besichtigung des Quartiers am 9. November 2018 hatte der 62-Jährige wegen Einrichtung des Gebäudes und Personalsuche eine Eröffnung mit Jänner 2019 für möglich gehalten. Laut einem Mitarbeiter des Kabinetts Waldhäusl sollte früher - spätestens mit 26. November 2018 - aufgesperrt werden. Eine frühere Inbetriebnahme sei "absolut nicht" in seinem Interesse gewesen, dennoch habe er den vorgegebenen Termin eingehalten. "Wir haben Tag und Nacht und über das Wochenende gearbeitet", berichtete der Zeuge. Bei der Eröffnung habe noch ein strukturierter Tagesablauf gefehlt.
Bei der letzten Besprechung habe der Kabinettsmitarbeiter mitgeteilt, dass "zur Sicherheit aller ein Dreifach-Stacheldraht rauf muss und ein Security mit einem Hund dabei sein muss", berichtete der frühere ASOB-Chef: "Es ist in Wirklichkeit ein Bauzaun mit einem Stacheldraht darüber gewesen." Verwendet wurde - entgegen der Vorgabe - schließlich nur einfacher Stacheldraht, montiert wurde dieser in zwei Stunden vom Betreiber gemeinsam mit einem Mitarbeiter.
"Chaos" nach Eröffnung
Nach der Eröffnung am Montag, 26. November 2018, habe ab Mittwoch "größtes Chaos" geherrscht, erzählte der Betreiber. Viele Menschen, darunter Bezugspersonen der Jugendlichen und einige Demonstranten, seien an Ort und Stelle gewesen. Zu einem Ortsaugenschein der Kinder- und Jugendanwaltschaft, in der u.a. Verschmutzung dokumentiert wurde, meinte er: "Dass es am Freitag so ausgeschaut hat, kann ich mir vorstellen." Zum abgelegenen Standort erklärte der Zeuge: "Die Asylwerber haben sicher dort nicht bleiben wollen. Eingesperrt wurden sie nie." Die Betreiberfirma war aufgrund des Rückbaus von Quartieren wegen rückläufiger Flüchtlingszahlen geschlossen worden und 2019 in Konkurs gegangen.
Zumindest 14 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen laut der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im November 2018 in ein der Anklage zufolge ungeeignetes Quartier verlegt worden sein. Die Jugendlichen sollen einer "ihre Persönlichkeitsentwicklung destabilisierenden Maßnahme unterworfen" und in ihrem Recht auf Grundversorgung und Unterbringung in einer geeigneten Unterkunft geschädigt worden sein. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Nach Protesten hatte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wenige Tage nach der Eröffnung der Asylunterkunft Drasenhofen die Verlegung der Jugendlichen an einen anderen Standort angeordnet.
Amtsmissbrauch, Fälschung eines Beweismittels, Verleumdung
Der ehemaligen Landesbediensteten wird neben Amtsmissbrauch auch Fälschung eines Beweismittels und Verleumdung vorgeworfen. Sie soll im Ermittlungsverfahren eine E-Mail unvollständig vorgelegt und so den Verdacht auf ihren Vorgesetzten gelenkt haben. Nach Aussage der Angeklagten hatte sie einen Teil der Nachricht gelöscht, damit diese aufgrund ihres konstant vollen Postfachs auch weggeschickt werde. Ihr früherer Chef bestätigte, dass die Mitarbeiterin öfters von einem vollen E-Mail-Posteingang berichtet hatte.
Vor Verhandlungsbeginn am Donnerstag hatten sich vor dem Landesgericht wieder Demonstranten eingefunden, die auch mit Gesang u.a. die "Entlassung" Waldhäusls forderten. Der Prozess wird am 25. Mai mit Zeugenbefragungen fortgesetzt. Weitere Verhandlungstage sind bis 1. Juli geplant.
Zusammenfassung
- Der Prozess um Amtsmissbrauch gegen Niederösterreichs FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl und eine ehemalige Landesbedienstete ist am Donnerstag in St. Pölten fortgesetzt worden.
- Der damalige Chef der 55-Jährigen meinte im Zeugenstand zum Stacheldraht beim Asylquartier Drasenhofen: "Für mich fällt das in die Kategorie 'verunglücktes politisches Signal'."
- Einzelne Zuweisungen von Flüchtlingen an Unterkünfte "habe ich nie gemacht", betonte der Zeuge.