Telegram abschalten? "Daran hat sich schon Russland die Zähne ausgebissen"

Immer mehr Staaten und Politiker verlangen, den Messenger Telegram abzuschalten. Das sei nicht so einfach, erklärt Datenschützer Thomas Lohninger. Stattdessen hofft er auf den Digital Services Act der EU. Er soll noch dieses Jahr kommen.

Zum verschlüsselten Messenger Telegram gebe es viele offene Fragen, erklärt Thomas Lohninger, der Geschäftsführer der Datenschutz-NGO epicenter.works. Den Gründer von Telegram kenne man, wo jedoch die Entwickler sitzen und wer die Plattform finanziert, sei unbekannt.  Im Gegensatz zu WhatsApp und Signal wäre die Verschlüsselung bei Telegram aber "fragwürdig", der Dienst würde auch mit Strafverfolgungsbehörden kooperieren und User-Daten herausgeben.

Illegale Inhalte bleiben

Neben seiner Funktion als Messenager erlaube Telegram es auch großen Gruppen, miteinander zu kommunizieren, vergleichbar mit YouTube oder Facebook. "Da fällt Telegram auf, indem es so gut wie gar nichts für die Moderation seiner Inhalte tut". "Problematische, illegale" Inhalte würden so gut wie gar nicht entfernt, selbst wenn ein Gericht über die Entfernung geurteilt habe, passiere das selten.

Der Messanger habe sich auf die Fahnen geschrieben, Meinungsfreiheit zuzulassen und werde in Ländern wie der Ukraine oder von Russland kontrollierten Gebieten auch von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten benützt.

Russland ist am Abschalten gescheitert

Forderungen, auch aus der westlichen Welt, Telegram abzuschalten, gibt der Experte nicht viel Erfolgsaussichten. Russland habe das versucht und sich daran bereits "die Zähne ausgebissen". Das Abschalten würde sich auch mit europäischen Grundrechten nur schwer vereinbaren lassen. Der Großteil der Inhalte sei legal. Und selbst wenn es funktionieren würde, würde der Messenger nur woanders wieder auftauchen. Technisch sei es nicht komplex, so etwas zu bauen.

Viele Probleme, die im Zusammenhang mit der Pandemie auf Telegram auftreten, könne man nach Meinung von Lohninger nicht technisch lösen. Man sehe ähnliche Inhalte auch in Facebook-Gruppen.

Digital Services Act als Hoffnung

Dort wo Telegram wie ein soziales Netzwerk funktioniert und viele Leute miteinander kommunizieren, sollte es den neuen europäischen Regeln, dem Digital Services Act, unterliegen und sich an dessen Qualitätsstandards und den Grundrechtsschutz halten. Die EU habe mit dem Digital Services Act "etwas sehr Gutes vorgelegt". Man müsse ihn nur "mit Bedacht auf die Grundrechte schnell fertigverhandeln". Lohninger geht davon aus, dass das noch dieses Jahr passieren werde.  Man müsse als europäischer Wirtschaftsraum Lösungen finden, wie man den Act dann auch durchsetzen kann.

Knackpunkt Moderation

Im Kern gehe es darum, die Moderation qualitativ besser zu machen. Aktuell hätten Moderatoren in Niedriglohnländern nur wenige Sekunden pro Post, um zu entscheiden. Stattdessen sollten geschulte – vielleicht sogar juristisch geschulte – Personen das erledigen. Es komme auch stark auf Geschäftsmodelle an, welche Beiträge vorgeschlagen werden und welche Werbung gezeigt wird. Das müsse man sich genauer anschauen.

Sobotka-Vorschlag nicht möglich

Bei der individuellen Kommunikation zwischen Einzelpersonen wäre es allerdings der falsche Schritt, die Privatsphäre zu beschneiden. Aussagen wie von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der ein pauschales Redaktionsprinzip für soziale Netzwerke verlangt, verwundern den Datenschützer. Anbieter für die Inhalte der Nutzer haftbar zu machen, würden dazu führt, dass man "das Internet abschalten" könne. Wer sich mit dem Internet auskenne, wisse, ob der schieren Menge an Postings pro Sekunde, dass das nicht funktionieren könne.

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  • Immer mehr Staaten und Politiker verlangen, den Messenger Telegram abzuschalten. Das sei nicht so einfach, erklärt Datenschützer Thomas Lohninger. Stattdessen hofft er auf den Digital Services Act der EU. Er soll noch dieses Jahr kommen.