Karners Weltblick: Chinas Anspruch und Russlands Angst
Xi ist Staatsoberhaupt, Generalsekretär der Partei und Oberbefehlshaber der Chinesischen Volksbefreiungsarmee. Praktisch alle Experten gehen davon aus, dass ihm damit diese Machtfülle wohl auf Lebzeiten nicht mehr zu nehmen sein wird.
Unter der Führung Xi’s konnte China seinen Anspruch, globale Supermacht zu sein, auch wirtschaftlich unterfüttern. In China erwirtschaften 1,4 Milliarden Menschen beinahe 20 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, das Land könnte die USA als leistungsfähigste Volkswirtschaft bald überholen. Armut als nennenswertes gesellschaftliches Problem ist aus China weitgehend verschwunden. Militärisch hat China seit Jahren massiv aufgerüstet, investiert wurde vor allem in eine Erhöhung der Qualität der Streitkräfte. Dies zeigt sich besonders deutlich bei den See- und Luftstreitkräften, was nicht zuletzt einer wesentlichen Stärkung der chinesischen Fähigkeiten zur Machtprojektion außerhalb des eigenen Territoriums dient.
Von der Produktionsstätte zum Absatzmarkt
Für die westlichen Volkswirtschaften ist China seit geraumer Zeit nicht mehr nur als billige Produktionsstätte, sondern auch als unverzichtbarer Absatzmarkt wichtig. Immer öfter erstaunen Konsumenten in Europa, wenn ihnen Marketing-Manager - nicht selten jene von Luxusprodukten - erklären, dass bestimmte Produkte eben so aussähen, weil sie für den Geschmack des chinesischen Marktes produziert würden.
Dass damit Abhängigkeiten verbunden sind, liegt auf der Hand. Und nicht erst seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine und dem Missbrauch von Rohstoffen als Waffe durch Russland stellt sich letztlich die Frage, von wem man eigentlich abhängig ist. Denn die Annahme, dass in einer globalisierten Welt die Wirtschaft als normative Kraft auch zur Annäherung und letztlich allseitigen Angleichung der Vorstellungen von Menschenrechten und demokratischen Grundwerten führen würde, hat sich als naiv oder opportunistisch entpuppt.
Im Fall Chinas hat man es jedenfalls mit einem Land zu tun, in dem die Kommunistische Partei über "Regierung, Militär, die Gesellschaft und die Wissenschaften" gebietet, wie sie selbst das ausdrückt. Und an der Spitze steht unangefochten und wohl auf Lebenszeit Xi Jinping. Er hat das Land zunehmend abgeschottet, lässt seine Bürger bis in ihr Privatleben überwachen und setzt seine Null-Covid-Politik mit brutaler Strenge durch. Und so werden spätestens nach den jüngsten Erfahrungen mit Putins Russland im Westen die Stimmen lauter, die vor der Abhängigkeit von China warnen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diesen Warnungen auch konkrete Maßnahmen zur Reduzierung dieser Schwäche folgen werden. Zunächst wird man Xi und sein China wohl als mitentscheidenden Akteur auf der Weltbühne zur Kenntnis nehmen müssen, nicht zuletzt auch als potenziellen Vermittler im Ukraine-Krieg.
Neue Phase im Ukraine-Krieg
Dieser ist in der vergangenen Woche wiederum in eine neue Phase getreten. Während sich die Frontlinien in der Ostukraine kaum bewegen, bereiten die ukrainischen Streitkräfte in der Region Cherson im Süden mit frischen, in Westeuropa trainierten Kräften die Befreiung des russisch besetzten Westufers des Dnipro vor. Im Lichte der bisherigen russischen Kriegsführung lässt die von der russischen Administration angeordnete Evakuierung befürchten, dass es die Absicht der russischen Streitkräfteführung ist, nach einer Inbesitznahme dieses Raumes durch ukrainische Kräfte diese dort durch weitreichende Artillerie, ballistische Raketen und Drohnen weitgehend zu vernichten und die Ortschaften in Schutt und Asche zu legen.
Die Nachhaltigkeit eines ukrainischen Erfolges wird daher wesentlich davon bestimmt werden, inwieweit es gelingt, diese russischen Mittel auszuschalten bzw. ihren Einsatz zu stören. Womit letztlich wiederum die Verfügbarkeit westlicher weitreichender Waffensysteme zum kritischen Thema der Ukraine wird.
Gleichzeitig, zunächst auch als Vergeltung für die Unterbrechung des russischen Nachschubs über die Meerenge von Kertsch gedacht, schickt sich die russische Führung an, zu Beginn der kalten Jahreszeit die für die Versorgung der Bevölkerung kritische Infrastruktur zu zerstören. Dass dabei Zivilpersonen ums Leben kommen, wird zumindest billigend in Kauf genommen, wie schon bisher ein Kennzeichen der russischen Kriegsführung, siehe oben.
Zwei Regimes in Angst vor Umsturz
Die Einsätze werden hauptsächlich mit Drohnen aus iranischer Produktion geflogen, offenbar werden die russischen Drohnenpiloten von den Revolutionsgarden des Iran auch trainiert. Damit stützen sich zwei Regimes, die kaum etwas mehr fürchten als einen Umsturz von innen. Im Iran jedenfalls kann trotz der Macht des repressiven Apparats der Mullah-Regierung niemand mit Bestimmtheit vorhersagen, wie die mutigen Proteste gegen die institutionelle Behördengewalt letztlich ausgehen werden.
In dieser Situation permanenter Krisen und Konflikte erscheint die Welt gleichsam unter Schmerzen eine neue Ordnung gebären zu wollen. Viele Menschen sehnen sich nach einer neuen Stabilität. Inwieweit eine solche – wenn es denn überhaupt dazu kommt – eine sein wird, die hauptsächlich von den eingangs erwähnten demokratischen Werten und Menschenrechten, oder aber einer erzwungenen Ordnung autoritärer Regimes geprägt ist, wird jetzt entschieden. Auch das sollte uns die Bedeutung des Krieges in der Ukraine und unserer Haltung dazu eindrücklich vor Augen führen.
Zusammenfassung
- Am vergangenen Sonntag begann der 20. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas, bei dem aller Voraussicht nach Xi Jinping ein weiteres Mal in seinen Ämtern bestätigt werden wird.
- China drängt hin zum Status als Supermacht. Ignorieren kann man es nicht mehr.