Josef VotziJosef Votzi/PULS 24

Am Puls der Politik: Feiges Raushalten geht nicht mehr

Die heimische Vogel-Strauß-Politik in Sachen Russland bleibt vorsätzlich fahrlässig. Der Abschied vom wahren österreichischen Wappentier ist überfällig. Nächste Gelegenheit: der dieswöchige Jahrestag des Überfalls Putins auf die Ukraine.

In den Couleurs des Parlaments standen Abgeordnete von Regierung und Opposition in kleinen Gruppen zusammen, um sichtlich emotionell zu diskutieren. Die Neos hatten, angeführt von Parteichefin Beate Meinl-Reisinger und Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter, in der ersten Februarwoche einen Entschließungsantrag zur "Unterstützung der Ukraine zum Jahrestag des russischen Angriffs” eingebracht.

Bis auf die FPÖ bezieht auch die heimische Politik zwar klar auf Seiten der Ukraine Position. Wenn es aber um das Wie und Was geht, scheiden sich freilich die Geister auch zwischen Türkis, Rot, Grün und Pink.

Keine Bühne für Selenskyj in Österreich

Ein Jahr nach Beginn der russischen Offensive war Wolodymyr Selenskyj in den meisten europäischen Volksvertretungen und bei vielen weltweiten Events meist via Video zu Gast. Das heimische Hohe Haus konnte sich bis heute nicht dazu durchringen, dem ukrainischen Präsidenten eine Bühne zu geben.

In den zurückliegenden Monaten war so zwischen den Parteien auch der Umgang mit dem ersten Jahrestag des Überfalls Putins auf die Ukraine zwar immer wieder, aber ergebnislos Thema. Die Neos wollten gut drei Wochen davor mit dem Vorstoß für eine gemeinsame Unterstützungserklärung offenbar Fakten schaffen.

Die sinnentleerten Rituale zwischen Regierung und Opposition lassen es nach wie vor nicht zu, dass eine Regierungspartei  den Text einer Oppositionspartei gutheißt oder gar unterstützt. Die türkis-grünen Parlamentarier legten daher nach einigen Hin und Her ihrerseits eine Pro-Ukraine-Proklamation vor, die sich nur in einigen Formulierungen aber im Kern nicht von der pinken Initiative unterschied.

Peinliche Muskelspiele von Türkis-Grün wegen pinker Pro-Ukraine-Resolution

Da vermochten auch Couleur-Debatten über kleinliche Machtspiele in weltpolitischen Fragen nichts mehr zu bewegen. Im Interesse der gemeinsamen Sache taten schlussendlich auch die pinken Abgeordneten ihre Unterstützung für den braver formulierten Regierungstext kund und auch die roten wollten da nicht abseits stehen. Ihre namentliche Zustimmung konnte last-minute nur noch handschriftlich auf dem Zwei-Seiten-Papier vermerkt werden.

Ergebnis des Husch-Pfusch-Verfahrens war eine – ohne die trotzige Neinsager-Partei FPÖ – mit großer Mehrheit abgesegnete Parlamentsresolution pro Kiew: ein Faktum, das allerdings nur der kleine Kreis der unmittelbar Betroffenen, registrierte.

Diese Episode aus dem Parlamentsalltag illustriert gut den generellen Umgang Österreichs mit dem Krieg vor der Haustür. Das Gros der Politik steht mit wohlwollenden Parolen hinter der brutal überfallenen Ukraine. Zu viele Wellen wollen allerdings die meisten Schlüsselspieler im Regierungsviertel nicht darum machen. Karl Nehammer war sicherheitshalber gleich nach Kriegsausbruch sowohl in Kiew als auch Moskau.

Verteidigungs-Chefin Tanner meidet "Davos mit guns"

Zur Sicherheitskonferenz in München, die vom Hintergrund-Portal "Politico" keck zum "Davos with guns" umgetauft wurde, reisten zwar der bekennende Transatlantiker Alexander Schallenberg und Europa-Ministerin Karoline Edtstadler an. Die zuvorderst zuständige Verteidigungsministerin blieb dem Gipfeltreffen der Sicherheitspolitiker fern. Kleinlaute Begründung ihres Büros: Klaudia Tanner hätte dort keine Rolle gehabt, sie sei zu keinem der Podien geladen gewesen.

Scheingefechte über Neutralität & Nato

Dass Österreich in der Sicherheitspolitik nicht einmal eine Nebenrolle spielt ist offenbar Programm. Sicherheitsdebatten werden reflexartig gerne auf ein Ja oder Nein zu einem Nato-Beitritt verkürzt. Der Kanzler suchte just jetzt, wo sie dringend geboten wäre, generell jede Debatte über die Neutralität für beendet zu erklären, bevor sie überhaupt begonnen wurde. Dabei wäre schon ein Anfang gemacht, würde die Politik das geltende Neutralitätsgesetz zeitgemäß interpretieren und ehrlich diskutieren. 

Österreich hat sich 1955 als Preis für die Wiedererlangung der Souveränität militärisch neutral erklärt. Weltanschauliche Neutralität oder gar feiges Wegschauen bei Konflikten war damit nie gemeint.

Verfassung gibt grünes Licht für EU-Armee-Beteiligung

Im Gefolge des Beitritts zur EU wurde zudem in der heimischen Verfassung ausdrücklich grünes Licht für Österreichs Teilnahme an der gemeinsamen EU- Außen- und Verteidigungspolitik gegeben. Darüber wird in Österreich generell und schon gar nicht angesichts eines Kriegs vor der EU-Haustür gerne geredet.

Österreich winkt nur klammheimlich Waffentransporte Richtung Ukraine durch

Ein Jahr nach Start des Überfalls Putins ist es mehr als überfällig, diese massiv schädliche Schweigespirale zu durchbrechen und offen darüber reden, was ist und was noch mehr sein sollte: Militärische  Neutralität und Solidarität mit der Ukraine sind kein Widerspruch. Österreich trägt daher auch alle EU-Sanktionen mit. Bei der Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine hat sich Österreich zwar konstruktiv enthalten, erlaubt aber – freilich ohne dazu offen zu stehen – deren Transporte durch österreichisches Staatsgebiet.

Lackmustest für Nehammer & Co bei Neos-Sondersitzung im Parlament

Die nächste passende Gelegenheit für Nehammer & Co darüber offen und konstruktiv zu reden, gibt es bereits Ende dieser Woche. Die Neos haben als kleinste Partei nur einmal pro Jahr das Recht, von sich aus eine Sondersitzung des Nationalrats einzuberufen. Sie machen davon diesen Freitag nicht aus herkömmlich billiger populistischer Spekulation, sondern aus politisch gewichtigem Anlass Gebrauch: Am 1. Jahrestag des Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine.

Die Kräfte des guten Willens im Hohen Hauses sind gefordert, diesmal mehr an politischem Einsatz aufzubieten als bei der schnell und möglichst unauffällig fabrizierten Unterstützungserklärung für die Ukraine vor drei Wochen. Diese Solidaritätsadresse mit den von der Kriegskatastrophe heimgesuchten Ukrainern  ging im Routinebetrieb des Parlaments so auch sang- und klanglos unter.

Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater (www.linkedin.com/in/josef-votzi)

Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at

ribbon Zusammenfassung
  • Die heimische Vogel-Strauß-Politik in Sachen Russland bleibt vorsätzlich fahrlässig.
  • Der Abschied vom wahren österreichischen Wappentier ist überfällig. Nächste Gelegenheit: der dieswöchige Jahrestag des Überfalls Putins auf die Ukraine.