"Karmasin-Kartell": Von Justizopfern und dicken Suppen beim Prozess-Start
Es geht um Vorwürfe des schweren Betrugs bei Entgeltfortzahlungen nach ihrer Zeit als Ministerin und um mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren rund um Studien, die sie als Meinungsforscherin für das Sportministerium machte. Karmasin drohen bis zu drei Jahre Haft. Sie bekannte sich am ersten von vorerst drei anberaumten Prozesstagen "nicht schuldig".
Sie sei "leichtfertig" und "naiv" gewesen, erklärte die Ex-Politikerin vor Gericht. Und überhaupt sei es ein "Fehler" gewesen, in die Politik zu gehen und Familien- und Jugendministerin zu werden. Deswegen habe sie ihr Familienunternehmen verkaufen müssen, hätte sich sonst nun den Prozess erspart, führte sie aus.
Obwohl die 56-Jährige Fehler einräumte, sei sie aber "nicht schuldig". Sie habe die Entgeltfortzahlungen "leichtfertig behandelt" und sich bei den Studien "einspannen lassen". Das tue ihr leid. Aber gegen das Strafrecht will sie nicht verstoßen haben.
Die Sicht von Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ist aber eine ganz andere: Er sprach im Großen Schwurgerichtssaal am Wiener Landesgericht für Strafsachen vom "Karmasin-Kartell". Er wandte sich fast emotional an die Angeklagte: Er wünschte ihr, den Mut zu finden, "ihre Opferrolle aufzugeben". Denn sie sei "kein Justizopfer und Sie sind auch kein Opfer der Medien", sagte er.
Beweise sind "dicke Suppe"
"Immer mehr, nie genug, und zahlen sollen die anderen" sei laut der Anklagebehörde das Motto von Karmasin gewesen. Sie habe mit "maximalem Vorsatz" gehandelt, als sie nach ihrer Zeit als Ministerin rund 78.000 Euro Gehaltsfortzahlung bekommen habe, obwohl sie bereits wieder beruflich tätig gewesen sei. Dass sie das nicht dürfe, sei ihr aus dem Kanzleramt auch mitgeteilt worden. Die Beweise seien eine so dicke Suppe, dass der Löffel stehen bleibe, wenn man ihn loslasse, so Adamovic.
"Bitte aber noch nichts verrechnen, erst im Juni, ich darf nichts verdienen", zitierte der Oberstaatsanwalt aus einer Mail Karmasins an ihre ehemalige Kollegin und nunmehrige Kronzeugin Sabine Beinschab. Für die Anklagebehörde ein Beweis für Vorsatz.
Karmasin gab zu: Sie habe leichtfertig gehandelt. Aber: Sie habe die Entgeltfortzahlung zur Sicherheit beantragt. Schließlich habe sie wegen der Politik ihr Unternehmen verkauft und habe noch keine fixe Zusage für einen Job in der Schweiz gehabt.
Die Vorträge aus der Zeit hätten auch dazu gedient, den Job überhaupt zu bekommen, sagte sie. Deshalb habe sie die Bezahlung dafür nicht unbedingt als Einkommen gewertet. Dass sie Rechnungen deswegen später datiert habe, begründete die ehemalige Ministerin damit, dass sie nicht gewusst habe, wie sie ohne Firma Rechnung stellen sollte.
800 Euro "plus Spesen"
Es geht unter anderem um rund 800 Euro "plus Spesen", wie Karmasin sagte, für einen Vortrag in Südtirol. Außerdem habe zurückgezahlt, was ihr nicht zugestanden sei. Ihr Anwalt Norbert Wess sieht deshalb Reue gegeben. Die Staatsanwaltschaft widerspricht: Als zurückgezahlt wurde, hätte Medien schon berichtet, sei schon ermittelt worden.
Warum wird Karmasin von der WKStA angeklagt?
Auch beim zweiten Anklagepunkt zeigte sich im Prozess ein ähnliches Bild: Dabei geht es um mutmaßliche Absprachen bei Angeboten für Aufträge aus dem Sportministerium. "Eine große Farce", sei das gewesen, so der Staatsanwalt. Der Richter hielt Karmasin vor: "Sie nennen es immer Dokumentationsarbeit, man könnte auch meinen, Einholung von Scheinangeboten".
Denn die ehemalige Ministerin argumentierte, dass sie Beinschab und eine weitere Kollegin gebeten habe, Angebote für Studien ans Ministerium zu übermitteln, weil das Ministerium das für "interne Dokumentation" gebraucht hätte und nicht etwa, weil sie diese fingierten Angebote unterbieten wollte.
Der Beamte, dem das "wuascht" ist
Ein derweil außer Dienst gestellter Beamter aus dem Sportministerium habe darüber Bescheid gewusst – er ist mitangeklagt und bestritt den Vorsatz. Wer den Auftrag bekomme, "ist mir wuascht", führte er aus. Er sei nicht für Vergaben zuständig gewesen, sein Sektionschef habe ihm Karmasin vorgestellt.
Karmasin meinte dazu, sie habe sich "einspannen lassen". Die Angebote seien "unnötig" gewesen. Es sei aber immer klar gewesen, dass sie die Aufträge bei insgesamt drei Studien ohnehin bekommen hätte. Laut ihr wären die abgesprochenen Angebote gar nicht notwendig gewesen. Nur sie hätte die jeweiligen Studienmethoden durchführen können.
Straches Leuchtturm-Projekt
Nebenbei wurde im Prozess erörtert, worum es bei den Studien ging. Um Frauen im Sport, wie man Couchpotatoes zur Bewegung bringt und um schwindende Mitglieder bei Vereinen – ein Leuchtrum-Projekt von Heinz-Christian Strache (damals FPÖ-Sportminister) und Beate Hartinger-Klein (FPÖ-Gesundheitsministerin).
Karmasins Anwalt Wess bezeichnete die Vorwürfe der WKStA auch in diesem Anklagepunkt als "eklatant falsch": Es könne keine wettbewerbsbeschränkenden Absprachen geben, wenn es keinen Wettbewerb gibt. Den habe es nicht gegeben, weil das Ministerium "nur Karmasin" gewollt habe. Es habe sich um Direktvergaben gehandelt. Die Preise sollen "besser dastehen für die Dokumentation", meinte Karmasin, deshalb habe das Ministerium andere Angebote gebraucht.
Fortsetzung am Donnerstag
"Ich habe niemanden geschädigt oder getäuscht", versicherte Karmasin. Sie beantwortete Fragen des Richters, Fragen der WKStA wollte sie nicht beantworten. Wegen der "Traumata", die sie und ihre Familie erlitten hätten.
Die Ex-Ministerin war kurz in Untersuchungshaft. Ihr Anwalt Wess warf der WKStA am Rande der Verhandlung vor: Im Gefängnis sei seiner Mandantin von der WKStA geraten worden, den Anwalt zu wechseln. Er fordert einen Freispruch für Karmasin, die auch in der ÖVP-Inseraten-Affäre rund um das "Beinschab-Österreich-Tool" beschuldigt wird. In dieser Causa wird es bis zu einem etwaigen Prozess noch dauern, in beiden Fällen gilt die Unschuldsvermutung.
Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt, Kronzeugin Sabine Beinschab soll aussagen. Ein etwaiges Urteil wird frühestens am 9. Mai erwartet.
Der Liveblog vom Prozess zum Nachlesen:
Sophie Karmasin vor Gericht - erster Prozesstag im Liveblog
Zusammenfassung
- Ex-Ministerin Sophie Karmasin (ÖVP) hat sich am Dienstag in ihrem Prozess wegen schweren Betrugs und wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Vergabeverfahren "nicht schuldig" bekannt.
- In Bezug auf die inkriminierten Bezugsfortzahlungen nach ihrem Ausscheiden als Ministerin habe sie zwar einen Fehler begangen, sich nach ihrem Dafürhalten aber nicht strafbar gemacht.
- Auch bezüglich der von der Anklage umfassten Studien für das Sportministerium habe sie keine Gesetze gebrochen, verteidigte sie sich vor Gericht. Der Staatsanwalt sieht das freilich ganz anders.