Wiener Festwochen laden mit "Danse macabre" zum Totentanz
Schinwald ist einer der originellsten, irritierendsten bildenden Künstler des Landes. In vielen Medien überschreibt er unbekümmert alte Darstellungen mit neuen Formen und erzeugt so ein Spannungsfeld, das zur Reaktion herausfordert. Insofern schien er tatsächlich prädestiniert für eine Neuinterpretation des mittelalterlichen Totentanzes zu sein, der Erinnerung daran, dass vor dem Tod alle gleich sind. Der US-amerikanische Musiker Matthew Chamberlain hat sich darauf eingelassen, die dazugehörige Totentanzmusik zu schreiben, eine herausfordernde Partitur für 23 Musiker, die vom Neue-Musik-Ensemble PHACE unter wahrhaft ungewöhnlichen Umständen umgesetzt wurde.
In der von Schinwald ersonnenen Raumlösung sitzen die Musiker nämlich in Gruppen hinter oder über einer Bühnenwand, die an den Saalwänden verläuft. Lange, schmale Fensterschlitze gewähren in ungewöhnlicher Höhe Blicke auf das Ensemble bei der Arbeit, drei Blechbläser sind über dieser Wand positioniert - mit dem Rücken zum Publikum. Die weiße Wand aber spielt alle Stückln: In ihr sind Türen, Nischen, Objektkästen, ein Laufband, Klappen oder Schubladen eingelassen, die schon bald ein Eigenleben entwickeln, vor ihr ist eine Art umlaufender Laufsteg, an dem sich während der bloß 50-minütigen Performance die wesentlichen tänzerischen Aktionen entwickeln.
Eine Geschichte im eigentlichen Sinn wird nicht erzählt, doch die Struktur kristallisiert sich schon bald heraus: Eine Figur zwischen pompe funèbre, Dandy und Totenvogel - der Komponist nennt ihn im Programmheft den "Sensenmann" - besucht der Reihe nach acht andere Figuren und absolviert mit ihnen kleine Tänzchen. Schinwald hat sie mit unterschiedlichsten Kostümteilen versehen und verweigert eindeutige Zuordnungen. Rüstungsteile und Reifröcke, Halskrausen und Teppiche, Trainingsanzüge und Puffärmel vereinen sich zu einem für ihn charakteristischen Patchwork, der Zeiten und Formen mischt.
In Verbindung mit Chamberlains Musik, die zwischen Filmmusik und Minimal Music wechselt, aus der man Trauermärsche hören kann und in der immer wieder das Glockenspiel daran erinnert, dass das letzte Stündchen geschlagen hat, ergibt das eine an- und aufregende Mischung, der zu folgen einem durchaus etwas abverlangt: Die Zuschauer werden nämlich auf von Schinwald gestalteten Hockern in vier Gruppen im Saal platziert und haben ganz schön zu tun, dem manchmal an allen Seiten gleichzeitig stattfindenden Geschehen zu folgen. "Unterschiedliche Perspektiven halten die Sachverhalte beweglich", sagt Schinwald. Nur eines bleibt auch diesmal unveränderlich: Der Tod, der muss ein Wiener sein. Viel Applaus daher für eine gelungene Festwochen-Premiere an einem warmen Sommerabend, an dem an vielen Plätzen der Stadt die Überwindung der Totenstarre gefeiert wurde.
(S E R V I C E - "Danse macabre", Konzept, Regie, Bühne: Markus Schinwald, Mit Musik von Matthew Chamberlain interpretiert von PHACE, musikalische Einstudierung: Lars Mlekusch. Mit Oleg Soulimenko, Evandro Pedroni, Jack Hauser, Linda Samaraweerová, Alice Schneider, Julia Müllner, Philippe Riéra, Imani Rameses, Elisabeth Tambwe; Auftragswerk und Produktion der Wiener Festwochen, F23, Wien 23, Breitenfurter Straße 176. Weitere Vorstellungen: 5./6. Juni, 17 und 19.30 Uhr, 8./9. Juni, 20 Uhr. www.festwochen.at)
Zusammenfassung
- Das ist schon mal keine schlechte Idee.
- Der "Danse macabre" von Markus Schinwald und Matthew Chamberlain erfüllte am Freitagabend als Festwochen-Premiere im F23 die hohen Erwartungen.
- Nur eines bleibt auch diesmal unveränderlich: Der Tod, der muss ein Wiener sein.
- (S E R V I C E - "Danse macabre", Konzept, Regie, Bühne: Markus Schinwald, Mit Musik von Matthew Chamberlain interpretiert von PHACE, musikalische Einstudierung: Lars Mlekusch.