Regisseur Ludwig Wüst will "so frei arbeiten wie möglich"
Das Gespräch findet im Wiener Metro Kinokulturhaus statt. Hier wird am kommenden Dienstag (22. April) ein Buch präsentiert, in dem neben seinen bisher 13 Filmen erstmals auch einige seiner frühen bildnerischen Arbeiten dokumentiert sind. Hier wird zum Abschluss seiner Retrospektive "Wüst.Werk.Schau" am 1. Mai sein neuer Film "#Love" gezeigt, der bei den Hofer Filmtagen uraufgeführt wurde, bei der Diagonale in Graz Österreichpremiere feierte und am 27. April seine Wienpremiere im Filmmuseum hat. Dort habe er früher als Stammgast so intensiv die Filmklassiker studiert, dass er die Aufmerksamkeit des damaligen Filmmuseumschefs Alexander Horwath erregt habe, erzählt er. Was Ludwig Wüst macht, unternimmt er mit ganzer Intensität.
"Unter allen Berufen, die ich mir angeeignet habe, Tischler, Schauspieler, Musiker, Theaterregisseur und schlussendlich Filmemacher, kann ich sagen: Im Filmemachen kommt alles zusammen. Das ist das, womit ich mich am meisten identifiziere. Ich bin Autodidakt, ein Selfmademan. Ich versuche täglich, meine Welt neu zu erschaffen", sagt Wüst, der 1965 im bayerischen Vilseck als Drilling auf die Welt gekommen und gemeinsam mit sieben Geschwistern in einem Dorf namens Schlicht aufgewachsen ist. Am Ende einer "Familiengeschichte antiken Ausmaßes" wurde der großväterliche, 200 Jahre alte Bauernhof vom Vater, der lieber Modeschöpfer als Bauer werden wollte, abgerissen und die Familie in alle Winde verstreut.
Ludwig machte in Bayern eine Ausbildung zum Tischler und wollte bei der berühmten Klavierfabrik Bösendorfer in Wien anheuern. Nachdem er schon als Schüler in die Wälder gezogen war, um zu malen, kam ihm nun ein anderer künstlerischer Beruf in die Quere: Nachdem er einem Freund beim Vorsingen für ein Musical begleitet hatte, fing er Feuer und eine Musicalausbildung an - was 1990 in der Bühnenreifeprüfung als Schauspieler endete. Dennoch entschied er sich für die Theaterregie, machte Peter Zadek und Peter Stein zu seinen Hausgöttern, lernte Heiner Müller kennen und etablierte sich in der Wiener Szene und darüber hinaus.
Filmdrehs nach Theatermethoden
Auch heute, da sein Fokus längst beim Film liegt, will er diese Zeit keinesfalls missen. "Diese Theaterschule kann man durch nichts ersetzen. Ich rate jedem Kollegen, der Filme machen will, ein, zwei Jahre am Theater zu arbeiten." Und so erklärt sich auch die höchst ungewöhnliche Methode, dass sich der Filmregisseur Ludwig Wüst ganz wie am Theater auf intensive Gespräche und Proben konzentriert, um im entscheidenden Moment loszulassen. Bei den Dreharbeiten von Filmen wie "Tape End" (2011), "Das Haus meines Vaters" (2013), "3.30 PM" (2020) oder "I Am Here!" (2023) war er nicht mehr zugegen, als die Kamera lief. "Ohne die Erfahrung von 40 Theaterproduktionen wäre es nicht möglich gewesen, so viel Vertrauen in die Schauspieler zu haben und zu sagen: Ihr seid großartig, ich muss beim Drehen nicht dabei sein."
Diese außergewöhnlichen Arbeitsmethoden kann sich nur ein Außenseiter leisten. "Ich habe mich in die ganzen Mechanismen gar nicht erst hineinbegeben. Meine solitäre Arbeit ist nur möglich, weil ich in keine Produktionsfirma eingebunden bin. Dadurch konnte ich so frei arbeiten wie nur möglich." Mittlerweile habe er ein Team von Vertrauten, allen voran die Produzentin Maja Savic, mit dem er seine Projekte entwickelt und realisiert. Wüst kann es auch mit größeren Worten ausdrücken: "Der Mensch ist mein Hauptthema. Und diesem wunderbaren und grausamen Thema kann ich mich nur annähern, indem ich weder auf mich noch auf andere Rücksicht nehme. Um das zu machen, brauche ich Schauspieler:innen, die den Mut haben, sich mir anzuvertrauen." Mit denen gibt es dann etwa wöchentliche Jour Fixes, in denen Szenen besprochen oder Dialoge gelesen werden - ein Maß an Aufmerksamkeit, das Filmschauspieler anderswo schmerzlich vermissen.
Entscheidung in der Wüste
Für seine Entscheidung, sich ohne einschlägige Ausbildung als Filmregisseur zu versuchen, hat Ludwig Wüst seinen eigenen Erweckungsmythos: 1997 habe er von einem Theaterfestival in Ägypten einen Ausflug in die Wüste Sinai gemacht - mit "Der Fall Franza" im Gepäck. Diese Erfahrung habe sein Leben verändert, erzählt er: "Ich bin in der Wüste zum Filmschaffenden geworden." Die 66-minütige "Ägyptische Finsternis", frei nach dem Romanfragment Ingeborg Bachmanns, wird 2002 der erste einer Reihe von eigenwilligen Filmen, die kompromisslos den Ideen des Regisseurs folgen und dabei kein Experiment scheuen.
"Tape End", in dem ein Regisseur seine Ex zum Vorsprechen lädt, wurde in einer Stunde in einer einzigen Einstellung ohne Schnitt mit fix montierte Kamera gedreht, "3.30 PM", die Wiederbegegnung zweier Freunde, mit einer an einem Schauspieler befestigten Bodycam ("Dafür hab ich bei der Diagonale den Kamerapreis bekommen, obwohl ich bei dem Film den Kameramann abgeschafft habe.). "I Am Here!" wurde komplett auf Video gedreht und geschnitten und erst ein Jahr später mit Filmmaterial aufgenommen. "Es ist einer meiner Lieblingsfilme", sagt der Regisseur, der auf penible Vorarbeit und größtmögliche Kompaktheit bei der Umsetzung schwört: "Ich arbeite mit nur wenigen Takes: eins, zwei, drei. Bei fünf Takes merke ich, da ist ein Fehler drinnen. Es muss ein Wurf sein, ein organischer Schöpfungsakt."
"Ich habe noch viel vor"
Mit seinem jüngsten Film "#Love" hat Wüst seine Kompromisslosigkeit auf die Spitze getrieben. Seine die unterschiedlichsten Materialien und Ästhetiken verwendende Collage ist eine Meditation über die Liebe, die ständig Erwartungshaltungen unterläuft und von den Zuschauern eine Art von Einlassung und Konzentration einfordert, die heutigen Sehgewohnheiten bewusst entgegentritt. In die Richtung wird Wüst weiterarbeiten. "Ich glaube, mich auf dem richtigen Pfad zu bewegen, der auch noch nicht zu Ende ist. Ich hoffe, ich bin erst bei der Halbzeit, denn ich habe noch viel vor. Ich liebe die Arbeit. Und ich bin mitten drinnen."
Von seinen "rund zehn filmischen Baustellen" ist "Erde" die größte: "Ich arbeite seit circa zehn Jahren daran. Dieser Film wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren umgesetzt werden." Auch mit dem Theater hat Ludwig Wüst längst noch nicht abgeschlossen. "Meine Liebe zum Theater hat nie aufgehört. Ich würde jederzeit wieder am Theater arbeiten, wenn das Telefon läutet. Ich freue mich über jeden Anruf! Ich habe auch noch ein 'Faust'-Projekt im Köcher, und 2028, im Schubertjahr, möchte ich gerne die 'Winterreise' inszenieren. Ich hab sie auch schon einmal a cappella in Schuberts Sterbehaus gesungen. Eigentlich wollte ich ja Liedsänger werden."
Holzstücke und Schauspieler
Und auch so manches Holzstück wird wohl noch von Ludwig Wüst bearbeitet werden. In seinem Wiener Atelier können Holzarbeiter wie Künstler arbeiten, und Holz-Lectures zählen mittlerweile zum festen Bestandteil umfassender Personalen des Vielarbeiters mit den vielen Talenten. Vom Japaner George Nakashima habe er gelernt, "die Schönheit des rohen Holzes zu verwenden und möglichst nicht zu verändern", erzählt Wüst. "Dasselbe versuche ich auch bei Schauspielern."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
Zusammenfassung
- Ludwig Wüst wird vor seinem 60. Geburtstag für seine außergewöhnliche Arbeit als autodidaktischer Filmemacher gewürdigt.
- Sein neuer Film '#Love', der am 27. April in Wien Premiere hat, bricht mit traditionellen Sehgewohnheiten.
- Wüst arbeitet seit etwa zehn Jahren an seinem Filmprojekt 'Erde', das in den nächsten fünf bis zehn Jahren umgesetzt werden soll.
- Er fand seinen Weg zum Film in der Wüste Sinai, ohne eine formale Ausbildung als Filmemacher zu haben.
- Neben seinen Filmen plant Wüst weiterhin Theaterprojekte und schätzt die Arbeit mit Holz.