APA/TOBIAS STEINMAURER

Pavillon in Venedig setzt auf Architektur von oben und unten

Heute, 03:00 · Lesedauer 6 min

Im österreichischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig (ab 10. Mai) trifft heuer Planung von oben auf Aktivismus von unten: Unter dem Titel "Agency for Better Living" lässt das kuratierende Trio Sabine Pollak, Michael Obrist und Lorenzo Romito das Wiener Modell des sozialen Wohnbaus auf den prekären Häuserkampf von Rom treffen. Damit will man nicht nur die strenge Ländertrennung in den Giardini aufheben, sondern sich selbst im Spiegel des Anderen reflektieren.

"Der Österreich-Pavillon macht heuer etwas Einzigartiges, was auf der Biennale so normalerweise nicht passiert: Dass ein Land ein anderes Land einlädt, um sich selbst zu reflektieren und in weiterer Folge gemeinsam nachzudenken", so Obrist (TU Wien/feld72 architekten) im APA-Gespräch im Vorfeld der Eröffnung. Ausgehend von einer Recherchereise nach Zürich, wo es durch den Prozess des Häuserkampfes schlussendlich zur Ausformulierung von "außergewöhnlichen radikalen, qualitätsvollen Wohnprojekten" kam, widmete man sich im vergangenen Jahr den gegensätzlichen Situationen in Wien und Rom. Parallel hätten die geopolitischen Entwicklungen die Frage nach leistbarem Wohnraum weiter verschärft. "Die Brisanz des Themas hat uns auf so vielen Ebenen eingeholt", so Pollak (Kunstuniversität Linz/Köb&Pollak Architektur). "Insofern wurden wir darin bestärkt, dass wir genau das richtige Thema behandeln."

"Die Wohnungsfrage war in Rom schon immer eine Notsituation, wie wir in der Rekonstruktion der modernen Geschichte der Stadt seit 1870 aus der Perspektive des Kampfes um Wohnraum erzählen", so Romito (Kunstuniversität Linz/Stalker) zur APA. "Dieser Kampf um Wohnraum ist die grundlegende Kraft, die soziale Bewegungen zur Schaffung innovativer kollektiver Wohnformen führt." Jedes der sechs in Venedig vorgestellten Projekte - von "Spin Time" über "Porto Fluviale" bis zu "Metropoliz" - habe eine andere und einzigartige Geschichte, "die sich aus der Begegnung zwischen der Entschlossenheit eines Kampfes für das Recht auf Wohnen und Nicht-Wohnen ergibt". Dabei handelt es sich um stillgelegte Orte, die eine Umnutzung erfahren haben. "Um diese Dynamik zu beschreiben, habe ich den Begriff der Exaptation aus der Evolutionsbiologie entlehnt, denn die Innovation geht nicht von einem Projekt aus, für das man sich einsetzt, sondern von einem Ort, der sich entsprechend einem Lebensprojekt verändert", erläutert Romito.

Die strenge Symmetrie von Josef Hoffmanns Pavillon nützt das Trio, um die beiden Städte Wien und Rom getrennt voneinander zu beleuchten, bevor schließlich im Hof ein Diskursraum ("Space of Negotiation") eröffnet wird, um beide Welten zusammenzuführen. Eine Installation interpretiert dort einen 1954 von Hoffmann geplanten, nierenförmigen Pool, in das Plateau sind Pflanzen eingelassen. "Es sind Klimagewinner, die der prognostizierten Hitze in Wien und Rom Widerstand leisten können", so das Team.

Bewusstsein für Teilhabe in Wien soll geschärft werden

Auf der "Wiener Seite" des Pavillons erzählt man die über 100-jährige Geschichte des Wiener Wohnbaus weder chronologisch noch mit Fokus auf Leuchtturmprojekte, sondern arbeitet sich an acht Themen wie etwa neue Quartiere, Gender-Planning, der Rolle von Pionier:innen im System oder Transformationen des Bestands ab. Hierfür haben Pollak, Obrist und Romito im Vorfeld Gespräche mit Pionier:innen, Aktivist:innen und Expert:innen aus der Stadtplanung und Wohnforschung in Wien und Rom geführt.

Die große Frage in einer Stadt wie Wien, die im Hintergrund sehr viel für ihre Menschen tue, sei es, wie man es schaffe, die in ihr Lebenden zivilgesellschaftlich und emanzipatorisch zu ermächtigen. "Damit die Gesellschaft nicht nur bekümmert wird, sondern sich auch selbst um ihre Stadt und die Anderen kümmert." Für Wien sei es "der nächste Schritt, ein Bewusstsein für diesen Sonderzustand zu schaffen und Teilhabe in diesem fragilen System zu stärken", so Obrist. Als Beispiel dafür, wie schnell ein System kippen kann, nennt Obrist Margaret Thatchers "The Right to Buy"-Gesetz, das den sozialen Wohnbau in London "für immer zerstört" habe. "Es ist nicht vom Himmel gefallen, dass London eine extrem teure Stadt geworden ist", so der Kurator. Wien hingegen habe in den 1980er Jahren, als die Stadt noch 500.000 Einwohner weniger als heute hatte, vorausschauend gehandelt und Gründe gekauft.

Wohnbauproduktion als Stadtproduktion

"Die enorme Wohnbauproduktion der vergangenen Jahre wurde erstmals zu einer Stadtproduktion, weil die Quartiere einfach so riesig sind, dass sie fast schon 'Stadt machen'", erläutert Obrist die Herausforderungen von Großprojekten wie etwa der Seestadt oder dem Nordbahnviertel. Hier werde nicht mehr nur "Gemeinschaft" wie in den großen Wohnprojekten, sondern "Gesellschaft produziert". Das Thema des leistbaren Wohnbaus sei mittlerweile auch auf europäischer Ebene angekommen, was die Schaffung der neuen Stelle des EU-Kommissars für Wohnungswesen bezeuge. Insofern wolle man die Biennale dazu nutzen, "von den anderen Pavillons auch international Wissen einzuholen und die Besucherinnen und Besucher zu ihrem Wissen und ihrer Erfahrung zu befragen", erklärt Pollak.

Statt eines Katalogs wird eine Sonderausgabe der Architekturzeitschrift "Arch+" produziert, die laufenden Diskussionsveranstaltungen werden auf Social Media (u.a. YouTube, Instagram) engmaschig begleitet. "So produzieren wir ein kontinuierliches, sich anreicherndes Archiv, ähnlich einem Manifest." Ausgehend von den beiden Extremen Wien und Rom, wo im Unterschied zur Mieter:innen-Stadt Wien die Eigentumsfrage eine diametral entgegengesetzte ist und das Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit deutlich gravierender als in Wien ist, wo die Stadt - oft im Hintergrund - zahlreiche Maßnahmen setzt, will man im Pavillon "einen Raum aufspannen, wo dieses 'Dazwischen' zwischen Governance und Bottom-up-Initiativen beleuchtet wird".

Beide Städte wollen voneinander lernen

"Das kollektive Wissen aus Rom, wie man mit Leerstand umgeht, wie man sich organisiert, soziokratische Strukturen aufbaut und verwaltet, kann hier in den Versuchen in Wien in Dialog gesetzt werden, wo in bestimmten Quartieren versucht wird, die Frage von Wohnen, Arbeiten und Nachbarschaft auf eine neue Art und Weise zu realisieren." Davon ist auch Romito überzeugt: Wien könne davon lernen, "wie man das Unerwartete willkommen heißt und mit dem Unberechenbaren lebt - ich glaube, das ist ein sehr aktuelles Thema angesichts der epochalen Wende, die wir gerade erleben".

Der Fotograf Armin Linke hat für beide Teile der Ausstellungen eine Fotoserie erstellt, welche die sonst nicht immer sichtbaren Räume der Verhandlungen - sei es "Top Down" oder "Bottom-up"- hinter dieser Wohnraumproduktion zeigt. Weiters werden im Pavillon anders als in der herkömmlichen Architekturfotografie sehr stark die Lebensrealitäten in verschiedenen Wohnsituationen in Wien und Rom dokumentiert. Hinzu kommt je ein Kurzfilm pro Stadt, welche ein jeweils eigenes Narrativ zur spezifischen Wohnfrage erzählen. Ein eigenes Grafikkonzept mit Diagrammen und Schnittzeichnungen soll Besuchern ermöglichen, tiefer in einzelne Themen einzutauchen, um die unterschiedlichen Welten schließlich im Hof wieder zusammenzuführen.

(S E R V I C E - 19. Architekturbiennale von Venedig, 10. Mai bis 23. November. https://labiennale2025.at)

Zusammenfassung
  • Der österreichische Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig zeigt unter dem Titel 'Agency for Better Living' die Begegnung von Wiener sozialem Wohnbau mit römischem Häuserkampf.
  • Das kuratierende Trio lädt Rom ein, um sich selbst zu reflektieren und die strenge Ländertrennung in den Giardini aufzuheben.
  • Die Ausstellung beleuchtet sechs Projekte, die innovative kollektive Wohnformen zeigen, und nutzt die Architektur von Josef Hoffmann für eine getrennte Betrachtung von Wien und Rom.
  • Ein Diskursraum im Hof des Pavillons ermöglicht die Zusammenführung beider Welten und diskutiert die Frage der Teilhabe und zivilgesellschaftlichen Ermächtigung.
  • Die Biennale wird genutzt, um internationales Wissen zu sammeln und die Besucher zu befragen, während eine Sonderausgabe der Zeitschrift 'Arch+' produziert wird.