APA/APA/WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

"Iolanta" als Augenöffner an der Wiener Staatsoper

25. März 2025 · Lesedauer 3 min

Was bedeutet es, das Licht der Welt zu erblicken? Ist dieses tatsächlich die Antipode zur Düsternis? Um diese Grundfrage dreht sich letztlich Piotr I. Tschaikowskys Einakter "Iolanta", einst am selben Abend wie der "Nussknacker" uraufgeführt, jedoch ungleich erfolgloser als sein Ballettzwilling. 125 Jahre war das Stück nicht mehr an der Wiener Staatsoper zu hören - Zeit für einen neuen Anlauf am Montag. Und die Bilanz: Der größte Vorteil der "Iolanta" ist ihre Kürze.

Das Märchen um die blindgeborene Königstochter Iolanta, die von ihrem Vater in einem Garten isoliert und in Unkenntnis über ihre Behinderung gelassen wird, bis ein Verehrer ihr die Augen öffnet, bevor ein Arzt selbiges in medizinischer Form tut, funktioniert als kurze Parabel auf die Frage der Erkenntnis, des Sehens. Es trüge aber wohl kaum ein Stück in wagnerianischen Dimensionen (auch wenn Tschaikowsky im Vorspiel den "Tristan" anklingen lässt).

Der 44-jährige Regisseur Evgeny Titov, der heuer bei den Salzburger Festspielen Peter Eötvös' "Drei Schwestern" inszenieren wird, nimmt diesen Stückcharakter aktiv an. Hatte Volksopern-Chefin Lotte de Beer ihre "Iolanta" 2022 mit dem "Nussknacker" kombiniert, geht das Ganze an der Staatsoper als Stand-alone in 90 Minuten über die Bühne. Und Titov fokussiert ganz auf den symbolistischen Gehalt der Erzählung, schwelgt nicht im Bombast des Kitsches.

Zitatenreiche Inszenierung

Iolanta, mit Sonya Yoncheva stimmgewaltig und edelmetallschimmernd mithin wenig mädchenhaft besetzt, lebt mit ihren Gefährtinnen auf einem Grünen Hügel, der allerdings weniger an Wagner denn an Madonna im Rosenhag erinnert. Gleich einem Tableau vivant, wird Yoncheva von lauter Yonchevas flankiert, kommen ihre Dienerinnen doch als Klone ihrer Herrin daher - was bereits zu Beginn die Tonalität des Abends vorgibt. Titov konterkariert den Pathos des Stücks mit Ironie und augenzwinkernden Zitaten.

Die Leibgarde von König René (in den Tiefen ebenfalls mächtig: Ivo Stanchev) ist ein Duo oberkörperfreier Bodybuilder wie aus dem Marvel-Universum entsprungen, während auch die Braut von Prinz Robert (ein mit großer Strahlkraft ausgestatteter Boris Pinkhasovich) mehr Sixpack als ihr Geliebter hat. Und der alte Diener Bertrand (Simonas Strazdas), der Iolanta einst großzog, gemahnt überraschend an den Butler Riff Raff aus der "Rocky Horror Picture Show".

Überraschend das Stück zur Stunde

Dass die "Iolanta" nicht unbedingt ein inklusives Stück ist, wird das Blindsein doch im Wesentlichen mit Leid, Elend und Dunkel assoziiert, steht fraglos fest. Titov invertiert diese Haltung jedoch. Die Prinzessin erblickt das Licht der Welt, weil sie sich dazu durchringt, nach dem Licht zu streben. Doch der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit ist ungeachtet aller Lobpreisung durch den Chor kein schöner, lauern hinter den Blumen doch die Ruinen des Krieges, wie Titov in seiner Schlusspointe zeigt. In gewissem Sinne ist "Iolanta" somit das Stück zur Stunde für den Westen, der gerade erkennen muss, dass der imaginierte Rosengarten zumindest vor dessen Toren nur eine Illusion war. Und das ist am Ende eventuell die überraschendste Erkenntnis des Abends.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Iolanta" von Piotr. I. Tschaikowsky an der Wiener Staatsoper, Musikalische Leitung: Tugan Sokhiev, Regie: Evgeny Titov, Bühne: Rufus Didwiszus, Kostüme: Otto Pichler, Licht: Martin Gebhardt. Mit René - Ivo Stanchev, Robert - Boris Pinkhasovich, Graf Vaudémont - Dmytro Popov, Ibn-Hakia - Attila Mokus, Almerik - Daniel Jenz, Bertrand - Simonas Strazdas, Iolanta - Sonya Yoncheva, Marta - Monika Bohinec, Brigitta - Maria Nazarova, Laura - Daria Sushkova. Weitere Aufführungen am 27. und 31. März sowie am 4. und 6. April. www.wiener-staatsoper.at/kalender/detail/iolanta/)

Zusammenfassung
  • Nach 125 Jahren kehrt Tschaikowskys 'Iolanta' an die Wiener Staatsoper zurück, inszeniert von Evgeny Titov, der einen symbolistischen Ansatz wählt und auf Kitsch verzichtet.
  • Die Oper dauert 90 Minuten und wird als eigenständiges Werk aufgeführt, mit Sonya Yoncheva in der Hauptrolle und Tugan Sokhiev als musikalischem Leiter.
  • Aufführungen finden am 27. und 31. März sowie am 4. und 6. April statt, während Titovs Inszenierung die Illusionen des Westens hinterfragt.