APA/APA/Marcel Urlaub/Volkstheater/Marcel Urlaub

"Diener" im Volkstheater als energiereiches Körpertheater

Der neue "Diener zweier Herren" am Wiener Volkstheater ist vor allem eines: großes Körper-Theater. Elias Eilinghoffs einmaliger Schachtelteufel hüpft, er verrenkt sich, er bricht die vierte Wand. Am Ende wird er von zwei Schauspielerinnen verprügelt. Antonio Latellas Version der legendären Farce von Carlo Goldoni feierte am Samstagabend Premiere: Fantastico!

Der italienische Regisseur Antonio Latella ist für sein körperliches Theater bekannt und in dem deutschen Schauspieler Elias Eilinghoff hat er seinen perfekten Kasperl, Gauner und Moloch gefunden. Als man seinen hungrigen "Diener" aus dem Titel von Carlo Goldonis Komödienklassiker zum ersten Mal sieht, hüpft er wie ein Schachtelteufel aus einer Falltür im Boden auf der Bühne.

Der deutsche Riese mit seinen 1,90 Metern hat lockere Gliedmaßen wie ein Orang-Utan. Mal grunzt er animalisch. Mal kreischt er wie ein Baby. Mal bäumt er sich auf, mal hockt er zusammengekauert auf dem Boden mit einer Puppe, einem Mini-Truffaldino. "Mangiare, Mangiare, Spaghetti, Fantastico!" brüllt er. Ständig in Bewegung, zuckt er, sabbert er, und schwitzt er, bis sein Kopf unter der schwarzen Melone Rot anläuft. Die Rolle des Truffaldino erfordert eine geschickte Clownerie, die an Akrobatik grenzt ("Die Scheiße ist unfassbar anstrengend", seufzt er), und der Nestroy-Preisträger ist in dieser Hinsicht außergewöhnlich.

Gesegnet mit einem verheerenden komischen Timing, setzt sein Truffaldino eine bekanntermaßen chaotische Handlung in Venedig in Gang: Clarice (die charismatische Irem Gökçen) und Silvio (Mario Fuchs, urkomisch) wollen heiraten. Vater Pantalone (Andreas Beck, bekam Zwischenapplaus für "O Sole Mio") ist mit diesem Deal mehr als zufrieden. Eigentlich hatte er seine Tochter dem reichen Frederico versprochen, doch der beendete ein Degenduell als Leiche. Und damit haben Clarice und Silvio freie Bahn. Da platzt der völlig wahnsinnige Truffaldino plötzlich aus dem Boden hervor und behauptet, Frederico, "sein Herr", lebt - die Hochzeit ist geplatzt. In Wahrheit hat sich die Schwester des Toten, Beatrice (Lavinia Nowak), als ihr Bruder verkleidet. Der wurde von ihrem Geliebten Florindo (Birgit Unterweger) getötet, dem zweiten Herren des Dieners. Wenn das keinen Sinn ergibt, ist das wie immer kein Problem. Es geht hier vor allem darum, endlose Verwirrung zu stiften.

Das gesamte Ensemble bringt bei all der Farce eine schauspielerische und körperliche Höchstleistung auf die Bühne (Choreographie: Francesco Manetti und Isacco Venturini). Es wird gerannt und gestürzt, es wird lustvoll in die Luft gesprungen. Immer wieder gibt es Ausdruckstanzeinlagen. Alle auf der Bühne geben Gas, toben sich aus. Einzig und allein die Rautenmuster auf einigen der schlichten, modernen Kostümen, die Simona D'Amico schneidern ließ, erinnern an die Commedia dell'Arte.

Natürlich muss Latella die muffige Geschichte aus dem Jahr 1746, die schon so oft erzählt wurde, ins Hier und Jetzt holen. Er tut das nicht nur mit popkulturellen Zitaten. Sein Ensemble bricht andauernd die vierte Wand, spricht mit dem Publikum, kommentiert sich selbst ("Mit dem Pimmel rumwedeln, das war vielleicht in den Neunzigern innovativ"). Beatrice schmust mit Clarice. Der arme Silvio steht mit schlaffem Penis (seinem "Degen") daneben und muss zusehen. Er macht es mit dem Haudegen, aber auch das will Latella mit seinem "Diener": Kritik am Patriarchat üben. Kurz vor der Pause brüllt Lisa Schützenbergers Zofe Dinge wie "Das Patriarchat ist ein Richter!" und "Femizid" ins Publikum. Das alles war womöglich den Gästen, die nach der Pause nicht wiederkamen und bei der Türe hinausstürmten, zu intensiv. Vielleicht war ihnen aber auch Silvios loser "Degen" einfach zu offenherzig. "Warum gehen Sie denn jetzt?" will Truffaldino in einer Szene von einem Gast wissen, der gerade den Saal verlässt. "Es wird noch besser!" Der Narr behält Recht. Es lohnt sich, sitzen zu bleiben.

(Von Marietta Steinhart/APA)

(S E R V I C E - "Der Diener zweier Herren" von Carlo Goldoni im Volkstheater, Arthur-Schnitzler-Platz 1, 1070 Wien; Regie und Textfassung: Antonio Latella, Bühne: Guiseppe Stellato, Kostüme: Simona D'Amico, Sounddesign: Franco Visioli, Choreographie: Francesco Manetti und Isacco Venturini, Dramaturgie: Federico Bellini und Anne-Kathrin Schulz, Mit: Andreas Beck - Pantalone, Irem Gökçen - Clarice, Lisa Schützenberger - Smeraldina, Stefan Suske - Doktor Lombardi, Mario Fuchs - Silvio, Uwe Schmieder - Brighella, Elias Eilinghoff - Truffaldino, Lavinia Nowak - Beatrice, Birgit Unterweger - Florindo. 18. November 2023 bis 7. März 2024. https://www.volkstheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Der neue "Diener zweier Herren" am Wiener Volkstheater ist vor allem eines: großes Körper-Theater.
  • Elias Eilinghoffs einmaliger Schachtelteufel hüpft, er verrenkt sich, er bricht die vierte Wand.
  • Als man seinen hungrigen "Diener" aus dem Titel von Carlo Goldonis Komödienklassiker zum ersten Mal sieht, hüpft er wie ein Schachtelteufel aus einer Falltür im Boden auf der Bühne.
  • Der arme Silvio steht mit schlaffem Penis daneben und muss zusehen.