Terrorprozess: Messer in der Schule, im Park auf Mann geschossen
Alte Bekannte aus der radikal-islamistischen Szene stehen seit Montag in Wien vor Gericht. Die zwei Angeklagten wurden erst im heurigen Jänner bzw. Mai ebendort wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Vereinigung nach jeweils längerer U-Haft zu teilbedingten Haftstrafen verurteilt.
Justizielle Weisungen, sich einer Deradikalisierung zu unterziehen, waren bei den Burschen im Alter von 17 bzw. 18 wirkungslos geblieben.
Mit Messer in der Schule
Der Jüngere hatte Ende Jänner eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten, davon sieben Monate unbedingt ausgefasst, nachdem er sich unter anderem an seiner Schule als IS-Propagandist betätigt hatte. Er ritzte etwa einem Klassenkollegen ein IS-Schriftzeichen in ein Schulbuch und zeigte in der Klasse gewaltverherrlichende IS-Videos her. Nachdem der Schulleitung bekannt wurde, dass er mit einem Messer zum Unterricht erschienen war, flog er von der Bildungseinrichtung.
Der Bursch hatte weiters einen Pfeiler der Brigittenauer Brücke mit dem IS-Logo besprüht, außerdem wurde er einmal von der Polizei angehalten, weil er mit einer Machete, auf der das IS-Symbol prangte, herumspazierte.
Unter Anrechnung der U-Haft kam der 17-Jährige am 3. März auf freien Fuß - um praktisch nahtlos an die Zeit vor dem Freiheitsentzug anzuknüpfen. "Man sieht, dass die Verurteilung ihn nicht davon abgehalten hat, sich weiter für den IS zu betätigten", legte nun Staatsanwältin Kristina Jahn einem Schöffensenat dar.
Sittenwächter soll Luftdruckwaffen gekauft haben
Der 17-Jährige tat sich nämlich mit einem um ein Jahr älteren Jugendlichen zusammen, der ebenfalls den IS verherrlichte. Gegen den 18-Jährigen wurde ebenfalls seit 2022 von der Staatsanwaltschaft ermittelt, von Juli 2022 bis Jänner 2023 saß er in U-Haft, am 17. Mai wurde er schließlich wegen terroristischer Vereinigung, krimineller Organisation und Sachbeschädigung zu 18 Monaten Haft, davon sechs Monate unbedingt verurteilt.
Elf Tage vor seinem ersten Prozesstermin hatte sich der 18-Jährige laut nunmehriger Anklage als so genannter Sittenwächter betätigt. Gemeinsam mit mehreren anderen Gleichgesinnten suchte er demnach einen Burschen auf, dem vorgeworfen wurde, ein Mädchen "vergewaltigt" zu haben. Der angebliche "Vergewaltiger" wurde von der Gruppe umzingelt, der 18-Jährige soll ihn dann geschlagen haben, wie er selbst in einer danach von ihm verschickten Audio-Nachricht prahlerisch behauptet hatte. Das stritt er nun vor Gericht ab.
Dagegen gab er unumwunden zu, mit seiner mit ihm nach islamischem Recht verheiraten Frau - die 18-Jährige hat vor sechs Wochen eine gemeinsame Tochter zur Welt gebracht - IS-Propagandamaterial geteilt zu haben. Gegen die 18-Jährige läuft ein separates Ermittlungsverfahren, die mit einem Hijab bekleidete junge Frau entschlug sich daher in der heutigen Verhandlung gegen ihren Mann der Zeugenaussage.
Zwei Tage nachdem dieser erstmals gerichtlich verurteilt worden war, probierte er laut Anklage gemeinsam mit dem befreundeten 17-Jährigen ein Luftdruckgewehr aus. Die beiden hatten insgesamt drei Exemplare samt Zielfernrohren und Munition in einem Einkaufszentrum an der tschechischen Grenze gekauft.
MA 48-Mitarbeiter verletzt
"Wir wollten mit was spielen", erzählte dazu der 18-Jährige dem Gericht. Man traf sich am 19. Mai in der Wohnung der Freundin des 17-Jährigen - die zwei sind ebenfalls nach islamischem Recht verheiratet - in der Puchsbaumgasse in Favoriten und schoss mit der Waffe aus dem Küchenfenster. Der 17-Jährige nahm schließlich einen auf einer Parkbank sitzenden Mann ins Visier, wie der noch jugendliche IS-Anhänger vor Gericht zugab: "Ich bekenne mich schuldig, dass ich geschossen habe. Mehr möchte ich dazu nicht sagen."
Der Mann - ein 43 Jahre alter MA 48-Mitarbeiter, der eine Zigarettenpause machen wollte - wurde am Oberschenkel getroffen, aber nicht gröber verletzt. Ungeachtet dessen legt die Staatsanwaltschaft den beiden Angeklagten neben terroristischer Vereinigung (§278b StGB) im auf zwei Tage anberaumten Prozess auch versuchte schwere Körperverletzung und Verstöße gegen das Waffengesetz zur Last. Aufgrund ihrer Vorstrafen hätten sie die insgesamt drei CO2-Gewehre gar nicht erwerben und besitzen dürfen.
"Würden Sie sagen, dass Waffen auf Sie eine Faszination ausüben?", wollte eine Schöffin vom älteren Angeklagten wissen. Dieser bejahte die Frage. Das habe ihn "schon als Kind interessiert". Vom IS und radikalem Gedankengut habe er sich dagegen abgewandt, versicherten der 18-Jährige und seine beiden Verteidiger Sebastian Lesigang und Andreas Schweitzer. "Bei Derad macht es mir Spaß", behauptete der 18-Jährige. Die Deradikalisierungsstelle habe ihm "gesagt, dass ich mich sehr, sehr verbessert habe".
Der 17-Jährige, der sich wie sein Kompagnon seit Mitte Mai wieder in Gewahrsam der Justiz befindet, bekannte sich neben dem Schuss auf den MA- 48-Mitarbeiter auch zu sämtlichen weiteren Anklagepunkten schuldig. Darüber hinaus machte er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.
Die Anklage legt ihm zur Last, einschlägiges Propagandamaterial, darunter Werbebroschüren für den IS und Rekrutierungsvideos verbreitet zu haben. Eine der inkriminierten Dateien bezog sich auf IS-konformes Verhalten des weiblichen Geschlechts, entsprechende Anweisungen ließ der 17-Jährige per Handy seiner um zwei Jahre älteren Partnerin zukommen.
Pro-Palästina-Aktivismus vor Gericht
Bei der 19-Jährigen handelt es sich insofern um eine dem Staatsschutz nicht ganz unbekannte Person, als die junge Frau zuletzt an vorderster Front bei Pro-Palästina-Demos in Wien aufgetreten ist. Zur Verhandlung gegen ihren Partner erschien sie mit einem Palästinenser-Tuch und einer Jacke mit arabischen Schriftzeichen auf der Brust, auf der Rückseite waren Fotos mit der Palästina-Fahne aufgedruckt.
Auch der 17-Jährige wird wieder von Derad betreut, um ihn von seiner radikalislamistischen Gesinnung abzubringen. Auf die Frage des vorsitzenden Richters, was er vom IS halte, meinte der Bursch: "Ich beschäftige mich mit diesen Sachen gar nicht mehr."
Die Verhandlung wird am Dienstag fortgesetzt. Die Urteile sollen am Nachmittag fallen.
Zusammenfassung
- Seit Montag müssen sich zwei junge Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) am Wiener Landesgericht verantworten.
- Erst im heurigen Jänner bzw. Mai wurden die beiden - 17 und 18 Jahre alt - ebendort wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Vereinigung zu teilbedingten Haftstrafen verurteilt.
- Elf Tage vor seinem ersten Prozesstermin hatte sich der 18-Jährige laut nunmehriger Anklage als so genannter Sittenwächter betätigt.
- Zwei Tage nachdem dieser erstmals gerichtlich verurteilt worden war, probierte er laut Anklage gemeinsam mit dem befreundeten 17-Jährigen ein Luftdruckgewehr aus.
- Der 17-Jährige nahm einen auf einer Parkbank sitzenden Mann ins Visier, wie der noch jugendliche IS-Anhänger vor Gericht zugab.
- Der Jüngere soll auch IS-Material verschickt haben. Unter anderem seiner Partnerin. Sie ist eine pro-palästinensische Aktivistin, was sie vor Gericht auch zeigte.