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Strafverteidiger für Änderungen bei Sexualstrafsachen

06. Apr. 2025 · Lesedauer 3 min

Mit der Rekordzahl von 220 Teilnehmenden ist am Wochenende in Salzburg der 21. Österreichische StrafverteidigerInnen-Tag zu Ende gegangen, der sich unter dem Motto "He said. She said" für Änderungen bei Verfahren in Sexualstrafsachen stark gemacht hat. In diesen Fällen stehen in Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlungen regelmäßig nur die Angaben von Betroffenen und Angeklagten zur Verfügung. Abgesehen davon mangelt es oft an sonstigen Beweismitteln.

Die Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen (VÖStV) sieht aufgrund dieser Konstellation Verbesserungsbedarf. Konkret fordert der Strafverteidigungsverein die Zurückdrängung der kontradiktorischen Zeugeneinvernahme zugunsten der schonenden unmittelbaren Vernehmung in der Hauptverhandlung. Seit einiger Zeit ist es üblich, dass Missbrauchsopfer im Ermittlungsverfahren kontradiktorisch befragt werden können und in der Hauptverhandlung dann nicht mehr vor Gericht gegen den mutmaßlichen Täter - im Regelfall handelt es sich um Männer - aussagen müssen. Ihre auf Video aufgezeichneten Angaben im Vorverfahren werden in der Verhandlung abgespielt bzw. nur mehr verlesen.

Die Strafverteidiger sehen bei dieser Praxis das Manko, dass sich Gerichte keinen persönlichen Eindruck von den mutmaßlichen Opfern machen können und das Fragerecht der Verteidigung bei der Hauptverhandlung beschnitten ist. Heikel ist das vor allem deshalb, weil Falschbeschuldigungen gerade bei Sexualdelikten "nicht selten sind", wie der bekannte deutsch-schweizerische forensische Psychiater Frank Urbaniok am StrafverteidigerInnentag darlegte.

Berücksichtigung von aussagepsychologischen Gutachten

Darüber hinaus spricht sich der Strafverteidigerverein für die zwingende Berücksichtigung von aussagepsychologischen Gutachten aus. Das würde "die Qualität der Beweiswürdigung steigern", erläuterte VÖStV-Präsident Philipp Wolm. Verhandlungen in Sexualstrafsachen würden in Summe zwar nur 3,3 Prozent aller Hauptverhandlungen ausmachen, in Zahlen sei es innerhalb dieser Deliktsgruppen in den vergangenen Jahren aber zu signifikanten Zuwächsen gekommen. Zur Wahrung der Unschuldsvermutung verlangt der VÖStV außerdem eine Änderung des Opfer-Begriffs in den maßgeblichen Passagen der Strafprozessordnung (StPO) in "mutmaßliches Opfer".

"Ich bin erschüttert, wie groß das Phänomen der Falschbeschuldigung inzwischen ist", hielt der bekannte forensische Psychiater Urbaniok am StrafverteidigerInnen-Tag fest. Es handle sich nach seinem Dafürhalten regelrecht um einen "gesellschaftlichen Trend". Unter Berufung auf mehrere wissenschaftliche Studien geht der Experte davon aus, dass zwei bis zehn Prozent der Anzeigen wegen Sexualdelikten "gefälschte Wahrheiten" seien - für Urbaniok "die Spitze eines Eisbergs". Anfällig für Falschbeschuldigungen sind laut Urbaniok vor allem Personen mit einem instabilen Realitätsbezug oder einer Identitätsstörung, unreife oder manipulative Persönlichkeiten und dissoziale oder gesteigert eifersüchtige oder kränkbare Menschen. Falschbeschuldiger befänden sich oft in Therapie, hätten tatsächliche Traumata und würden bei deren Aufarbeitung "in eine bestimmte Richtung gelenkt", meinte Urbaniok, bis 2018 Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürich. Von Falschbeschuldigungen besonders stark betroffen seien Eltern.

Forderung nach Verfolgung von Falschbeschuldigungen

"Menschen, die falsch beschuldigt werden, sind auch Opfer", betonte der forensische Psychiater. Einmal in die Welt gesetzte Beschuldigungen seien in Zeiten der sozialen Medien kaum mehr zu entkräften, wenn sie sich später als falsch herausstellen: "Die Betroffenen sind stigmatisiert." Urbaniok appellierte daher an die Strafverfolgungsbehörden, verstärkt gegen Falschbeschuldigungen vorzugehen: "Das sind schwere Straftaten. Es ist für das Gesamtsystem schlecht, wenn Falschbeschuldigungen nicht zur Verantwortung gezogen werden." Opfer von nicht geahndeten Falschbeschuldigungen lasse man "über die Klinge springen", sagte Urbaniok: "Das ist inakzeptabel." Eine fachliche Aufarbeitung bei erwiesenen Fällen sei ebenso wünschenswert wie eine verstärkte mediale Berichterstattung zu diesem Themenbereich.

Zusammenfassung
  • Der 21. Österreichische StrafverteidigerInnen-Tag in Salzburg mit 220 Teilnehmenden forderte Änderungen bei Verfahren in Sexualstrafsachen, insbesondere die Zurückdrängung der kontradiktorischen Zeugeneinvernahme zugunsten unmittelbarer Vernehmungen.
  • Nur 3,3% der Hauptverhandlungen betreffen Sexualdelikte, doch die VÖStV sieht in den signifikanten Zuwächsen Handlungsbedarf und fordert die Berücksichtigung von aussagepsychologischen Gutachten zur Verbesserung der Beweiswürdigung.
  • Der forensische Psychiater Frank Urbaniok betonte die Problematik von Falschbeschuldigungen, die zwei bis zehn Prozent der Anzeigen ausmachen könnten, und fordert eine verstärkte Verfolgung solcher Fälle, um das Gesamtsystem zu schützen.