Polizeigewalt-Video: Amnesty spricht von "überschießender Gewalt"
"Der Fall macht betroffen", sagt Amnesty International-Juristin Teresa Exenberger im PULS 24 Interview. Das Video mache den "Eindruck, dass es hier eine definitiv überschießende Gewalt gegeben hat". Es könnte sich "möglicherweise um eine Misshandlung" handeln.
Exenberger: "Der Fall macht betroffen"
Ein PULS 24 Kameramann hat die Szenen, die nun für scharfe Kritik an der Wiener Polizei sorgen, am Sonntagnachmittag neben dem Tatort eines mutmaßlichen Mordes in Wien-Simmering festgehalten: Ein 19-jähriger Passant wollte auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Tatortes bei einem Bankomat Geld abheben, ein Polizist versperrte ihm den Weg.
Es kam zur Diskussion und zu leichtem Körperkontakt auf beiden Seiten. Der Mann wurde schließlich zu Boden gebracht und von mehreren Polizisten fixiert.
Bei Einsatz in Simmering: Polizist schlägt Mann mit Kopf auf Boden
In den Aufnahmen von PULS 24 ist danach zu sehen, wie ein Polizist den Kopf des Mannes mehrfach gegen den harten Betonboden des Gehsteigs donnert. Der zu diesem Zeitpunkt bereits am Boden Fixierte beginnt daraufhin zu bluten, sein Kopf liegt in einer roten Lache, bis er zur Seite gedreht wird.
Am Dienstag teilte die Polizei auf PULS 24 Anfrage mit, Untersuchungen eingeleitet zu haben. Der Staatsanwaltschaft sei ein Bericht übermittelt worden, man prüfe auch dienstrechtliche Schritte, der Beamte sei aber nach wie vor im Dienst.
Amnesty-Juristin Teresa Exenberger kritisiert, dass die nun nötigen Untersuchungen der Polizei nicht unabhängig seien: "Polizist:innen ermitteln gegen die eigenen Kolleg:innen". Selbst die von der Regierung angekündigte "unabhängige Beschwerdestelle", die noch heuer kommen soll, würde das nicht ändern. Die Stelle werde nämlich im Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) und damit in einer Einrichtung des Innenministeriums angesiedelt.
Keine sichtbaren Nummern, dafür Gegenanzeigen
Ein weiteres Problem sei, dass Polizist:innen in Österreich keine sichtlichen Dienstnummern tragen. Das empfehle etwa auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof. Von der Regierung erhalte Amnesty "keine Zeichen", dass dies überhaupt kommen soll.
Es handle sich bei dem Fall von mutmaßlicher Polizeigewalt nicht um einen Einzelfall, so genau wisse man das aber gar nicht. Eine parlamentarische Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2019 zählt 300 Fälle von Vorwürfen gegen Polizisten auf, der Sicherheitsbericht 2021 spricht von 700 strafrechtlichen Vorwürfen (allerdings nicht nur Misshandlungsvorwürfe).
Die Dunkelziffer dürfte aber hoch sein, sagt Exenberger. Denn aus Angst vor Repressionen würden sich viele nicht an die Polizei wenden, wenn sie Vorwürfe gegen die Polizei haben. Oft komme es zu Gegenanzeigen - etwa wegen Verleumdung.
Laut Polizei auch Beamter verletzt
Auch der 19-jährige Österreicher wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung auf freiem Fuß angezeigt. Denn auch ein an der Amtshandlung beteiligter Polizist wurde laut Landespolizeidirektion verletzt. Dieser habe sich "nach Meldungslegung selbst in ein Krankenhaus begeben" und Verletzungen an einem Knie sowie am Ellbogen aufgewiesen, so die Polizei. Eine Beurteilung des Vorfalls in einem so frühen Stadium der Ermittlungen könne und wolle sich die Polizei nicht erlauben.
Kritik kam unterdessen auch von den Grünen: "Diese Videoaufnahmen sind verstörend, für diese offenkundig überbordende Gewalt ist keinerlei Grund ersichtlich. Zwangsgewalt darf unsere Polizei nur ausüben, wenn und solange das notwendig ist, um einen Widerstand zu überwinden, und selbst dann muss sie stets das gelindeste Mittel wählen", teilte Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr mit. "Sobald die Polizei einen Menschen überwältigt hat, darf sie gegen ihn - egal was ihm vorgeworfen wird - keine weitere Gewalt mehr ausüben".
Grüne und NEOS kündigen Anfrage an
Fragen werfe auch auf, "dass gegen den Betroffenen gleich mehrere strafrechtliche Vorwürfe erhoben werden, unter anderem ausgerechnet der, er hätte einen Polizisten am Körper verletzt. Diese Fragen betreffen nicht nur jenen Beamten, der den Kopf des Betroffenen gegen den Boden geschlagen hat. Es ist auch schwer nachvollziehbar, wie solche Anzeigen zustande kommen und warum andere beteiligte Polizisten ihren Kollegen nicht an dieser offenkundigen Misshandlung gehindert haben", so Bürstmayr weiter. Er kündigt wie auch die NEOS eine parlamentarische Anfrage an.
Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper forderte aus Anlass des Falles erneut, dass die geplante Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt nicht im Innenministerium angesiedelt werde. "Dem haben die Grünen aber trotz lauter Kritik von sämtlichen Fachleuten zugestimmt. Sie sollten ihre Zustimmung zu dieser absurden Idee spätestens jetzt zurückziehen"
Zusammenfassung
- Amnesty International kritisiert die von PULS 24 in Wien-Simmering gefilmte mutmaßliche Polizeigewalt scharf und fordert einmal mehr unabhängige Untersuchungen.
- Grüne und NEOS kündigen parlamentarische Anfragen an.