Interpol feiert in Wien 100 Jahre ihres Bestehens
Diese Problem könne nur "durch mehr, nicht weniger Kooperation" bekämpft werden, betonte Stock. Vor allem der Informationsaustausch durch den Zugang zu internationalen Systemen müsse für jede Polizeibeamtin und für jeden Polizeibeamten verfügbar sein: "Die richtige Information an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit."
Interpol verfügt über 19 Datenbanken, die jegliche Informationen zu Verbrechen bzw. Tatverdächtigen liefern. "Diese Datenbanken agieren als globale Frühwarnsysteme", sagte Stock und berichtete von drei erfolgreichen Fällen aus der letzten Zeit. Einer davon war die Identifizierung des Terrorattentäters bei einem Fußballspiel in Brüssel im Oktober.
Aber nicht nur Täterinnen oder Täter, auch Opfer können über die Plattformen von Interpol schneller identifiziert werden. Da ginge es vor allem um Menschen, "die nicht für sich selbst sprechen können", etwa Opfer von sexuellem Missbrauch. Die Datenbank von Kindern, die sexuell ausgebeutet werden, etwa hilft, täglich durchschnittlich 15 Opfern von Kindesmissbrauch zu identifizieren.
Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Polizei, der Polizei und der Justiz würden nun vier Tage lang in der österreichischen Hauptstadt die wichtigsten Themen in der Kriminalitätsbekämpfung diskutieren und wie diese durch Interpol bewältigt werden können. Vor 100 Jahren wurde die Polizeibehörde in Wien aus der Taufe gehoben. Für Stock ist das ein wichtiges Zeichen, in die Stadt zurückzukehren, in der alles begann.
Vor 100 Jahren galt die Internationalität noch nicht als selbstverständlich. Da aber am Beginn des 20. Jahrhunderts grenzüberschreitende Kriminalitätsformen wie Mädchenhandel, Drogenschmuggel und Betrug zunahmen, entstand die Idee und die Notwendigkeit, sich international kriminalpolizeilich zu vernetzen, sagte Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. 1947 veröffentlichte Interpol erstmals eine sogenannte Red Notice - ein Aufruf für die Ermittlung des Aufenthaltsorts und der Festnahme von Personen, die zur Strafverfolgung oder zur Verbüßung einer Strafe gesucht werden. Damals wurde nach einem russischen Mordverdächtigen gefahndet.
Bei diesen Mitteilungen handelt es sich um internationale Kooperationsanfragen oder Ausschreibungen, die es der Polizei in den Mitgliedsländern ermöglichen, wichtige kriminalitätsbezogene Informationen auszutauschen. So geben "Yellow Notices" Informationen zu vermissten Menschen oder "Black Notices" Informationen zu nicht identifizierten Leichen.
"Die Idee der globalen Zusammenarbeit prägt Interpol auch heute noch", so Ruf. Der Kampf gegen Online-Missbrauch oder gegen die Suchtmittelkriminalität sind nur zwei der großen Themen, die bei Interpol eine entscheidende Rolle spielen. Derzeit sind durch Österreich 1.400 Personen zur Fahndung, zur Festnahme oder zur Aufenthaltsermittlung in den Systemen von Interpol ausgeschrieben, sagte der Generaldirektor. Erst vor kurzem sei ein Verdächtiger durch eine "Red Notice" in Thailand festgenommen und nach Österreich ausgeliefert worden. Er soll mit mehr als 100 Kilogramm Kokain bzw. Heroin gehandelt haben und stehe in Verbindung mit einem Morddelikt in Serbien.
Die viertägige Interpol-Generalversammlung ist eines der wichtigsten internationalen polizeilichen Vernetzungstreffen auf höchster Ebene. Es werden Polizei- und Regierungsspitzen aus ca. 195 Mitgliedsstaaten mit über 1.500 Teilnehmenden erwartet. Österreich ist ein aktives Mitglied. Neben dem Direktor des Bundeskriminalamtes und Gastgeber der Konferenz, Andreas Holzer, gibt es noch sechs weitere österreichische Beamte. Österreich war etwa am Aufbau der Interpol-DNA-Datenbank beteiligt. "Ein kleines Land, aber ein großer Player", bezeichnetes das Holzer.
Die Interpol ist in letzter Zeit auch in die Kritik geraden. Gegen den aktuellen Präsidenten der Polizeibehörde, Ahmed al-Raisi aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), wurden vor seiner Wahl Foltervorwürfe laut. Die Anwälte der betroffenen Briten Matthew Hedges und Ali Issa Ahmad, die in den VAE Haft und Folter erlitten hatten, wandten sich zuletzt an die Staatsanwaltschaft Wien. Al-Raisi war zur Zeit der beiden Menschenrechtsfälle als Generalinspektor in den Emiraten verantwortlich für die Justiz. In seiner Ära wurden die beiden Briten festgenommen und verurteilt.
Hedges hatte sich 2018 zu Recherchen für sein Doktorat in den Emiraten aufgehalten, als er wegen Spionage für Großbritannien festgenommen wurde. In der siebenmonatigen Einzelhaft seien ihm Drogen-Cocktails verabreicht und Dunkelhaft im Jemen angedroht worden. "Ich hörte Schmerzensschreie" von malträtierten Häftlingen nebenan, erzählte er in Wien. Er wurde zu einem falschen Geständnis gezwungen und zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Nach großem internationalem Druck wurde er freigelassen.
Ali Issa Ahmad war 2019 als Fan für ein Fußball-Turnier in die VAE gekommen. Auf seinem T-Shirt war die Fahne des Golf-Staates Katar abgebildet. Daraufhin wurde er festgenommen, Katar stand damals bei den Nachbarn in Ungnade. In der Haft habe er Elektroschocks erhalten, sei geschlagen und mit Feuer verletzt worden und habe kaum Essen und Trinken bekommen, schilderte er. Kontakt zur britischen Botschaft sei ihm anfangs verwehrt worden. Schließlich wurde er dazu gezwungen, ein Geständnis zu unterschreiben. Auch Ahmad kam nach internationaler Intervention frei.
Es sei nichts getan worden, um die Verantwortlichen in den Emiraten zur Rechenschaft zu ziehen - "auch nicht hinterher", kritisierte Anwalt Rodney Dickson. Hedges ist überzeugt: "Al-Raisi war sicher involviert", in seiner damaligen hohen Position. In Österreich sei man aktiv geworden, weil al-Raisi sich für die Konferenz hier aufhält und laut universeller Gerichtsbarkeit im Falle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig von Staatsbürgerschaft und Tatort gegen mutmaßliche Schuldige vorgegangen werden könne. Interpol-Generalsekretär Stock wollte am Dienstag auf Nachfrage diesen Fall nicht kommentieren.
Zusammenfassung
- "Das ist zu einem globalen Sicherheitsnotstand geworden", warnte Interpol-Generalsekretär Jürgen Stock bei einer Pressekonferenz am Montag.
- Einer davon war die Identifizierung des Terrorattentäters bei einem Fußballspiel in Brüssel im Oktober.
- Aber nicht nur Täterinnen oder Täter, auch Opfer können über die Plattformen von Interpol schneller identifiziert werden.
- Generalsekretär Stock wollte am Dienstag auf Nachfrage diesen Fall nicht kommentieren.