Gesundheitssystem am Limit: "Mehr Geld löst Problem nicht"

In mehreren österreichischen Spitälern sind hunderte Betten gesperrt. Oberärzte der Wiener Klinik Ottakring warnten vor einem Ausfall der Notaufnahme und verfassten eine Gefährdungsanzeige. Einer der Gründe für das Chaos: Personalmangel. Aber nicht nur.

Corona spielt kaum mehr eine Rolle, die Grippewelle ist am Abflauen. Dennoch bleibt die Situation an Österreichs Spitälern angespannt. Zuletzt sorgte eine Gefährdungsanzeige von Oberärzten der Wiener Klinik Ottakring für Aufsehen. Hunderte Betten sind gesperrt, vor einem temporären "potenziellen Ausfall" der Zentralen Notaufnahme (ZNA) wird gewarnt. 

200 Betten gesperrt

Der "Standard" hatte zuerst über die Gefährdungsanzeige berichtet. Demnach könne "aufgrund einer Häufung von Kündigungen" das Dienstrad für Oberärzt:innen an einzelnen Tagen "zukünftig intern nicht mehr besetzt werden". Hohe Verantwortung und die immense Arbeitsbelastung würden nicht mit der Entlohnung zusammenpassen. Außerdem wird auf einen Fachkräftemangel in der Pflege und auf die Überlastung des bestehenden Pflegeteams hingewiesen. 200 der 940 Betten seien deshalb gesperrt. 

Zwar seien seit einer Gefährdungsanzeige im Dezember 2022 die Rettungszufahrten nach Ottakring temporär reduziert worden. Nach wie vor gebe es aber Situationen mit bis zu zehn Rettungen in weniger als einer Stunde, die die Notaufnahme anfahren. Maximal geplant seien fünf Zufahrten pro Stunde. Lange Wartezeiten für Patient:innen seien die Folge. 

Insgesamt sind im Wiener Gesundheitsverbund (exklusive AKH) 545 Stellen in der Pflege sowie 134 Stellen für Ärzt:innen offen, heißt es im "Standard". Trotz eines Headhunters gäbe es aber kaum Bewerbungen, berichtet nun auch das "Ö1-Frühjournal". Dort bestätigte ein anonymer Arzt der Klinik Ottakring, er müsse oft stundenlang telefonieren, um ein freies Bett zu finden. Zeit, die für andere Patient:innen fehlen würde. 

Kein Wiener Problem

Aber das Problem ist nicht ein Problem der Bundeshauptstadt allein: Am Linzer Kepler Universitätsklinikum seien derzeit 140 von 1.620 Betten gesperrt, berichtet "Ö1". Laut Betriebsratschef Helmut Freudenthaler würde sich das dortige Personal vor allem wünschen, mit weniger Patient:innen täglich konfrontiert zu sein, um eine "würdige Patient:innenversorgung durchführen zu können". Er berichtet davon, dass auf der Orthopädie etwa auch Schwangere untergebracht werden müssten, "weil dort halt noch ein Bett frei war". 

Am Landeskrankenhaus Graz ist laut "Ö1" jedes sechste Bett gesperrt. Michael Tripolt vom Zentralbetriebsrat der steirischen Landeskrankenhäuser klagt, dass mehr Patient:innen als früher in kürzerer Zeit behandelt werden müssen - gleichzeitig solle man die gleiche Leistung erbringen.

Czypionka: Situation im Gesundheitswesen könnte rasch kippen

Was könnte die Situation entschärfen?

Für Gesundheitsökonom Thomas Czypionka liegt eine Ursache des Problems an den Spitälern am Generationenwechsel, auf den das System nicht eingestellt gewesen sei. "Man hätte sich anpassen müssen", sagt er im Interview mit PULS 24.

Die Boomer-Generation gehe langsam in Pension, während die nachkommende Generation "auch ein bisschen andere Vorstellungen hat", sagt er. Sie würde etwa nicht mehr so viele Überstunden machen wollen. Außerdem würden mehr Frauen im Gesundheitsbereich arbeiten, die während der Karenz im Betrieb fehlen würden. Durch Verlagerungen von den Spitälern zum niedergelassenen Bereich oder Digitalisierung hätte man sich vorbereiten können.

In der ersten Corona-Welle wären viele im Gesundheitssystem "noch sehr motiviert" gewesen. Folgende Wellen hätten aber zu Resignation und Überlastung geführt - manche hätten den Job gewechselt, sagt  Czypionka. Im Pflegebereich gäbe es Personalmangel, bei den Ärzt:innen aber per se keinen "Mangel an Köpfen", so der Gesundheitsökonom. Die organisatorischen Prozesse müssten geändert werden - etwa beim Zusammenspiel von stationärem Bereich, Ambulanz und niedergelassenem Bereich. Man müsse "moderne Strukturen einführen". 

Abwärtsspirale muss gebrochen werden

Auch bei der Ärzteausbildung gebe es Probleme: Sie sei teuer und ineffizient. Dass man Ärzte nach dem Studium verpflichtet, an einem bestimmten Ort zu arbeiten, sei legistisch unrealistisch, meint Czypionka. Man könnte das höchstens über Studiengebühren und Stipendien, die daran gebunden wären, lösen.

Die Situation könne jedenfalls schnell kippen, warnt er. Denn es sei eine Negativspirale: Es gibt zu wenig Personal, das übrige Personal werde deswegen überlastet und sucht sich womöglich auch einen anderen Job.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Helmut Samonigg, Rektor der Medizinischen Universität Graz, gegenüber "Ö1". Es sei "kein Zustand, den wir seit gestern haben", betont er. Die Lage sei seit 2021 angespannt. In "einzelnen Bereichen" sei die Situation "besorgniserregend". Politik und Spitalsbetreiber hätten das am Schirm, aber würden nicht offen kommunizieren, kritisiert er. 

Akut müsse man die "Abwärtsspirale" brechen, sagt Samonigg. Personal würde sich nicht wertgeschätzt fühlen, das führe zu erhöhtem Fehlerrisiko und Überlastung, wodurch das Personal den psychischen und physischen Druck nicht mehr aushalten könne oder wolle.

Ärzte nicht da, "wo wir sie brauchen"

Schuld sei nicht nur Ärztemangel, den gebe es etwa in Graz nicht. Auch er spricht von organisatorischen und strukturellen Problemen, bei der Verfügbarkeit etwa: Ärzte seien nicht da, "wo wir sie brauchen". Sie würden etwa vom stationären Bereich weggehen und in den niedergelassenen Bereich wechseln. Es sei jedenfalls "nicht nur ein Problem der Bezahlung". "Einfach mehr Geld hineinschütten löst das Problem nicht", ist sich Samonigg sicher. 

Mittelfristig müssen "alle an den Tisch kommen", die Versorgungssituation im Spitals-, aber auch im niedergelassenen Bereich müssten gelöst werden. Patientenströme sollten besser gelenkt werden: Es könne nicht sein, dass ein Patient wegen der selben Krankheit zur drei, vier Ärzt:innen geht, so der Rektor der Medizinischen Universität Graz. 

ribbon Zusammenfassung
  • In mehreren österreichischen Spitälern sind hunderte Betten gesperrt.
  • Oberärzte der Wiener Klinik Ottakring warnten vor einem Ausfall der Notaufnahme und verfassten eine Gefährdungsanzeige.
  • Einer der Gründe für das Chaos: Personalmangel. Aber nicht nur.