Gerald Karner WeltblickPULS 24

Karners Weltblick: Offensive, Defensive und Österreich

Während die Ukraine ihre Offensive vorbereitet, erweitert das Defensivbündnis NATO seine Mitglieder um Russlands Nachbar Finnland. Und Österreich? Das geht seinen eigenen, zweifelhaften Weg.

Der Krieg in der Ukraine dürfte in den nächsten Wochen einer Vorentscheidung zustreben. Die vom "Westen" durch Waffensysteme, Ausbildung und Logistik unterstützte, aber zahlenmäßig schwächere Ukraine wird dabei auf quantitativ stärkere russische Truppen treffen, die sich noch dazu in Verteidigungspositionen eingerichtet haben. Die ukrainische Führung steht dabei unter einem gewaltigen Druck: Auch wenn westliche Panzer und Flugzeuge zögerlich und spät geliefert wurden, der Westen erwartet sich eine Bestätigung seiner Strategie einer Unterstützung der Ukraine und der Überlegenheit seiner Waffensysteme.

Offensive: Die Ukraine

Hat die Offensive nicht den erhofften Erfolg, droht zumindest ein prolongierter, "eingefrorener" Konflikt, den die Ukraine aus guten Gründen zu vermeiden sucht. Gleichzeitig steht auch die ukrainische Streitkräfteführung vor einem Dilemma: Auf der einen Seite sollte man den russischen Kräften nicht zu viel Zeit lassen, sich zur Verteidigung einzurichten, auf der anderen Seite benötigt man vermutlich selbst noch Zeit, um ausreichend viele westliche Waffensysteme und ausgebildete Soldaten in die eigenen Strukturen einzugliedern, sodass eine machtvolle Offensive mit hoher Erfolgsaussicht möglich wird. Darüber hinaus werden die Überlegungen der ukrainischen Militärs in der Schlammperiode auch von der Eignung des Geländes für eine Nutzung durch schweres militärisches Gerät auch abseits von Straßen und Wegen bestimmt sein.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit muss auch davon ausgegangen werden, dass eine vollständige Inbesitznahme der gesamten von Russland besetzten Territorien im Zuge einer einzigen militärischen Offensive kaum möglich sein wird. Vieles deutet darauf hin, dass es daher die Absicht der ukrainischen Führung sein wird, zunächst Schwächen im russischen Verteidigungsdispositiv zu identifizieren, dort dann einen machtvollen Schlag zu führen und den einen oder anderen für die weitere Kriegsführung entscheidenden Raum zu gewinnen. Damit wären einerseits günstige Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Offensive im Herbst geschaffen, andererseits aber auch vorteilhafte Bedingungen für allfällige Verhandlungen, sollte man in Russland erkennen, dass der Krieg in seiner ursprünglichen Zielsetzung nicht mehr erfolgreich weiterzuführen ist und weitere territoriale Verluste drohen. Die nächsten Wochen werden jedenfalls zeigen, inwieweit die Ukraine die Lage im Krieg mit Russland zu ihren Gunsten verändern kann.

Defensive: Finnland

Eine strategisch bedeutsame Veränderung ergibt sich jedenfalls mit dem nunmehr sehr zügig vorgenommenen Beitritt Finnlands zur NATO. Das Territorium des Bündnisses rückt damit auch in Skandinavien direkt an Russland heran, mit einer mehr als 1.300 km langen direkten Grenze. Nachdem die russische Staatsführung den Überfall Russlands auf die Ukraine unter anderem damit begründet hat, einen Beitritt der Ukraine zum nordatlantischen Bündnis und damit ein direktes Heranrücken desselben an Russland verhindern zu wollen, muss sie sich nun die Frage gefallen lassen, inwieweit dieser Angriff auf das Nachbarland tatsächlich im russischen Interesse gelegen war.

Für Finnland – noch mehr als für das immer schon stärker dem Westen zugewandte Schweden, dessen Beitritt wohl nur eine Frage relativ kurzer Zeit sein dürfte – bedeutet der NATO-Beitritt einen sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel von einer neutralen Position mit weitgehend autarker Landesverteidigung in exponierter geostrategischer Lage hin zu einem für einen Kriegsfall vertraglich verbrieften Beistand von 30, bald 31 Bündnispartnern. Gleichzeitig wird klarerweise auch Finnland Beistand leisten, sollte ein anderes Mitglied des Bündnisses angegriffen werden. Das Land hat damit seine eigene Sicherheit erheblich gestärkt, bringt aber auch Substanz in die NATO ein. Finnland verfügt über starke Streitkräfte, kann im Kriegsfall bis zu einer halben Million Soldat:innen aufbieten, die sich auf moderne Waffensysteme in angemessener Stückzahl stützen können. Die finnischen Luftstreitkräfte, denen in den nächsten Jahren 65 modernste Abfangjäger vom Typ Lockheed Martin F-35 zulaufen werden, verstärken den Schutz des Luftraums an der NATO-Nordflanke, die finnischen Seestreitkräfte die Verteidigungskapazitäten des Bündnisses in der Ostsee. Man kann davon ausgehen, dass die finnischen Streitkräfte in den nächsten Jahren mit dem Ziel reformiert werden, sich möglichst nahtlos in eine Bündnisverteidigung integrieren zu können und in der Streitkräfteentwicklung Synergien mit den Partnern zu suchen.

NATO, EU...

Die NATO geht jedenfalls in absehbarer Zeit durch zwei neue Mitgliedsstaaten mit modernen Streitkräften gestärkt aus den Entwicklungen des letzten Jahres hervor und bleibt damit weiterhin die für die Sicherheit Europas bestimmende Organisation. Unbeschadet der Tatsache, dass die transatlantischen Partner Kanada und USA weiterhin drängen werden, dass die Europäer mehr für ihre Verteidigung tun, durchaus auch im Sinne einer gewissen eigenständigen Handlungsfähigkeit, bedeuten diese Entwicklungen aber auch, dass die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU erheblich an Gewicht verloren hat. Für eine Verteidigung des europäischen Raumes gibt es die NATO, einer anderen Organisation bedarf es dafür nicht.

... und Österreich

Nach einigem politischen Gezerre hat nunmehr der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auch vor dem österreichischen Parlament gesprochen. Es blieb diesem vorbehalten, die erste Volksvertretung zu sein, zu der Selenskyj sprach, aus der eine Fraktion geschlossen auszog und auch die Reihen einer anderen eher schütter besetzt waren. Die Begründungen für diesen Affront lassen jedenfalls für die von der Regierung nunmehr angekündigte Erarbeitung einer neuen österreichischen Sicherheitsstrategie kaum substanzielle Fortschritte erwarten. Man muss kein Prophet sein, um die Erwartung zu hegen, dass Schweden der NATO beigetreten und der Krieg in der Ukraine beendet sein werden, bevor Österreich über eine aktuelle Sicherheitsstrategie verfügen wird. Und es steht zu hoffen, dass sich bis dahin die Weltlage nicht neuerlich so fundamental geändert haben wird, dass diese Strategie schon bei der Veröffentlichung wieder überholt ist.         

ribbon Zusammenfassung
  • Während die Ukraine ihre Offensive vorbereitet, erweitert das Defensivbündnis NATO seine Mitglieder um Russlands Nachbar Finnland.
  • Und Österreich - geht seinen eigenen zweifelhaften Weg.