Josef VotziJosef Votzi/PULS 24

Roter Muskelschwund

Der ÖGB schaffte es gerade einmal ein bis zwei Prozent seiner Mitglieder gegen die Teuerung zu mobilisieren. Bloße Schadenfreude bei Türkis-Grün über den Demo-Flop wäre kurzsichtig. Nachdenklichkeit ist nicht nur beim muskelschwachen roten Riesen überfällig. Raumschiff Politik funkt zunehmend ins Leere.

In den vergangenen Wochen war im Regierungsviertel die Parole angesagt: Alle Kraft voraus in Sachen Anti-Teuerungspolitik. Zuletzt wurde mit großem Trommelwirbel nicht nur das Aus für die Kalte Progression auch formell auf den Weg gebracht. In Inseraten, Interviews und von der Regierungs-PR-Truppe lancierten redaktionellen Beiträgen werden auch die bereits gesetzten Geldspritzen vom Familien- bis zum Klimabonus angepriesen.

Denn beim Schnüren der bisherigen, durchaus herzeigbaren Entlastungspakete, hatte Türkis-Grün ein Motto sträflich vernachlässigt: Tue Gutes und rede darüber. Das wird dieser Tage zum einen auf offener Bühne nachgeholt. Denn der bislang unauffällig tröpfelnde Milliarden-Regen soll endlich bessere Nachrede für eine Regierung bringen, die aktuell bei Wahlen haushoch durchfallen würden. Hinter den Kulissen drehen Regierungsmitglieder zum anderen diskret ihre Runden, um den Unmut bei wichtigen Stakeholdern im Umfeld des Ballhausplatzes zu dämpfen. Vizekanzler Werner Kogler warb so schon im Sommer bei Hilfsorganisationen wie Caritas, Rotes Kreuz & Co um mehr wohlwollendes Verständnis statt zunehmend kritischen Alarmrufen.

Besorgte Minister-Zurufe an Katzian: "Wolfgang, muss das sein?"

Wer immer im Regierungsviertel eines Spitzengewerkschafters habhaft wurde, suchte diesem zu vermitteln: Ausschließlich Kritik und Protest stärke in Krisenzeiten wie diesen nur die politischen Ränder. ÖGB-Chef Wolfgang Katzian wurde von Ministern auch unverblümt gefragt: "Wolfgang, muss das sein? Und wenn es schon sein muss, könnt ihr bitte darauf schauen, dass das in einem vernünftigen Rahmen bleibt."

Was im Regierungsviertel seit Wochen Sorgen machte, war die schon vor dem Sommer vom ÖGB groß angekündigte Demonstration in allen Bundesländern gegen die Teuerung. Der Gewerkschaftsbund ruft selten zu Großdemos auf. Zuletzt hatte er 2018 gut 100.000 Mitglieder gegen den 12-Stunden-Tag mobilisiert. In der Corona-Krise wuchs nicht nur im ÖGB die Sorge, dass auf den Straßen zunehmend politische Außenseiter den Ton angeben.

ÖGB-Parole: Straße nicht Extremisten überlassen

ÖGB-Chef Wolfgang Katzian hatte so schon im Frühjahr intern die Parole ausgegeben: In Sachen Inflation und Teuerungswelle werden es die Gewerkschaften nicht zulassen, dass der Unmut der Bevölkerung von neuen Randgruppen wie der MFG bis hin zur wiedererstarkten FPÖ politisch gekidnappt wird. Diesmal werde sich die Gewerkschaft an die Spitze des Protests stellen. Mit diesem Argument suchte Katzian in Vier-Augen-Gesprächen auch seine Vis-a-Vis in der Sozialpartnerschaft und besorgte Nachfragen aus dem Regierungsviertel zu beruhigen.

Bestenfalls 30.000 Demo-Teilnehmer in ganz Österreich

Diesen Samstag war es soweit. 750.000 Euro hatte der ÖGB in die Vorbereitung von Groß-Demos in Wien und in allen Landeshauptstädten gesteckt. 1,2 Millionen Mitglieder gibt der ÖGB in seinem jüngsten Rechenschafts- und Leistungsbericht an. 30.000 Menschen folgten in Summe in ganz Österreich dem Demo-Aufruf von Katzian & Co. Nach inoffiziellen Polizeiangaben gelang es dem ÖGB gar nur die Hälfte dieser propagierten Teilnehmerzahl zu mobilisieren.

"Viel Lärm um wenig"

Welche der kursierenden Teilnehmerzahlen auch immer für bare Münze zu nehmen sind, der Befund bleibt ernüchternd. Die Mehrheit der Österreicher sagt, dass ihnen die Teuerungswelle im Alltag bereits schwer zu schaffen macht. Der auf seinen starken Arm stolze Gewerkschaftsbund bringt mit dem kämpferischen Motto "Preise runter" gerade einmal ein oder zwei Prozent seiner Mitglieder auf die Straße. Die Demonstration könnte im türkis-grünen Regierungsviertel nun unter "viel Lärm um wenig" abgehakt werden – garniert mit einer Prise Schadenfreude über den sichtlichen roten Muskelschwund.

Es gibt jede Menge gute Gründe, den politischen Flop nicht nur im ÖGB als Fanal ernst zu nehmen. Der hehre Plan, den im ganzen Land spürbare Proteststimmung sozialpartnerschaftlich zu kanalisieren, ist nicht aufgegangen. Das Feld für die wachsenden extremen Ränder ist somit weiter sperrangelweit offen.

"Vollkoffer-Mentalität"-Kraftmeierei reicht nicht

Seit Samstag ist so zuallererst in den Gewerkschaften emsige Nachdenklichkeit angesagt. Nicht nur die Regierenden verlieren zunehmend den Draht zu Wählern. Auch die Funktionäre des ÖGB funken offenbar immer öfter ohne Echo ins Leere. Da wird es nicht reichen, allein bei der verbalen Kraftmeierei nachzulegen. Denn Ex-Wifo-Chef Christoph Badelt, nunmehr als Präsident des Fiskalrates oberster Anwalt für einen umsichtigen Budget-Kurs, hatte jüngst Bedenken ob einer Vollkasko-Mentalität in der Krise angemeldet. Spitzengewerkschafter Christian Meidlinger quittierte diese Sorge mit dem Satz: "Jene, die diese Ansicht haben, haben eine Vollkoffer-Mentalität!"

Josef Votzi ist Journalist und Kolumnist des Magazin "Trend": Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at

ribbon Zusammenfassung
  • Der ÖGB schaffte es gerade einmal ein bis zwei Prozent seiner Mitglieder gegen die Teuerung zu mobilisieren.
  • Bloße Schadenfreude bei Türkis-Grün über den Demo-Flop wäre kurzsichtig. Nachdenklichkeit ist nicht nur beim muskelschwachen roten Riesen überfällig.