Karner in der Kickl-Falle
"Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie." Dieser Satz wird Otto von Bismarck und damit längst versunkenen Zeiten zugeschrieben. In den Hinterzimmern der Politik wird er aber bis heute bei Bedarf gerne so strapaziert: Politik machen ist wie Wurst erzeugen. Man will gar nicht wissen, wie sie gemacht wurde und was genau alles drinnen ist. Hauptsache, es greifen möglichst viele am Ende beherzt zu.
Diese Haltung ist offensichtlich in den letzten Wochen auch in Innenministerium und Kanzleramt Pate gestanden. Denn Karl Nehammer und Gerhard Karner sind seit Wochen mehrfach in Panik: Zum einen droht der Sinkflug der Bundes-ÖVP nun auch die niederösterreichische ÖVP bei der Landtagswahl am 29. Jänner mitzureißen. Nehammer und Karner verdanken ihre Karriere maßgeblich der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Dieses Wohlwollen gilt es zu erhalten: Demnächst mit einem besseren Wahlergebnis als die Umfragen signalisieren in Niederösterreich und auf mittlere Sicht auch im Bund.
Innenminister sichtlich überfordert
Zum anderen ist Innenminister Gerhard Karner mangels entsprechendem Management auch in Asylfragen seit Monaten sichtlich überfordert. Mit dem absehbarem Ende der Pandemie steigen seit dem Frühjahr wieder die Flüchtlingszahlen. Erst suchte Karner mit demonstrativ aufgestellten Zelten zu Beginn des Winters jene Bilder zu schaffen, die nicht nur hierzulande Wirkung zeigen sollten.
Die Zelte stießen auch in den eigenen Bürgermeister-Reihen auf massiven Widerstand und sind weitgehend Geschichte. Wofür ein besseres Management lautlos gesorgt hätte: Stillgelegte Quartiere wurden für jene Flüchtlinge reaktiviert, die tatsächlich bleiben und nicht - wie viele - weiter Richtung Deutschland und andere EU-Länder ziehen.
Seit Nehammer und Karner nun auch die Veto-Karte in Sachen Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien zogen, ist unwiderlegbar klar: Es geht für beide vor allem darum, maximalen politischen Wirbel zu machen.
Maximaler Wirbel für neue ÖVP-Erlöser-Story
Frei nach Otto von Bismarck: Wurscht wie, Hauptsache Karl Nehammer und Gerhard Karner stehen am Ende als politische Heros da. Mit dem Slogan "Ich habe die Balkan-Route geschlossen" fuhr Sebastian Kurz 2017 nach bald zwei Jahrzehnten wieder einen Wahlsieg für die ÖVP ein. Der Slogan ist inzwischen längst als Propaganda-Schmäh dekonstruiert.
Dementsprechend hoch ist auch der breite Misstrauens-Vorschuss gegenüber Nehammer und Karner. Sie tragen auch alles dazu bei, diesen zu mehren dann zu minimieren. Die Veto-Keule gegen Kroatien wurde sang- und klanglos eingepackt. Das machte das Veto gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien nicht nur bei den beiden betroffenen Ländern noch unverständlicher.
Schwarze Fahrt ins Blaue: "Wir müssen den Asyltourismus stoppen"
Wurscht was und wie, Hauptsache das politische Amalgan schmeckt zu Hause?! Nehammer wird seit Tagen nicht müde zu verkünden: Mit seinem Schulterschluss mit Aleksandar Vučić und Viktor Orban habe er dafür gesorgt, dass die Visa-Freiheit für politische Serbien-Freunde wie Tunesien und Indien falle.
Der schwarz-türkise Kanzler proklamiert mit blauen Untertönen: Der Zustrom an "Asyl-Touristen" sei bereits abgeebbt. Die ÖVP propagiert mit dem Konterfei von Karl Nehammer den neuen ÖVP-Slogan bereits generell: "Wir müssen den Asyltourismus nach Europa stoppen." Kommt demnächst auch die Parole: "Ich habe die Asyl-Touristen-Route geschlossen"?
Gerhard Karner als Propagandaminister für Herbert Kickl
Seit Wochen legen Nehammer und Karner in Sachen Asyl- und Flüchtlingspolitik in der Sache und im Ton massiv an Schärfe zu. Seit Wochen steigt allein die FPÖ in den Umfragen. Die enttarnte türkise Erfolgsformel von gestern zahlt nur noch auf das Konto der FPÖ ein. Für Herbert Kickl ist Platz 1 schon zum Greifen nahe. Frei nach Otto von Bismarck: Wurscht was die ÖVP in die Asyl-Wurst noch alles hineinstopft. Das macht nur die Schlange vor der Verkaufs-Theke der FPÖ noch länger.
Karl Nehammer zahlt auch hier die Zeche für Sebastian Kurz: An der ÖVP klebt nicht nur hartnäckig wie ein Klimaaktivist das K-Wort Korruption. Die ÖVP hat über allem ein tiefsitzendes Glaubwürdigkeitsproblem. Der große alte weise Mann der europäischen Politik, Karel Schwarzenberg, rechnete dieser Tage in der "Kleinen Zeitung" in nur einem kurzen Satz gnadenlos mit Sebastian Kurz ab: "Er war ein Schwindler."
Eine Hypothek, die schwerer denn je auf der ÖVP lastet, solange Karl Nehammer weiterhin auf Sebastian Kurz light macht.
Josef Votzi ist Journalist und Kolumnist des Magazin "Trend": Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at
Zusammenfassung
- Warum sich Kanzler und Innenminister mit dem Versuch einer Neuauflage des türkisen Erfolgsrezepts a.D. auch innenpolitisch verspekuliert haben, schreibt Josef Votzi in seiner neuen Kolumne.