Bomben bei Zeugen Jehovas
Prozess um 35-fachen Mordversuch in Graz gestartet
Am Montag startete in Graz der Prozess gegen einen 56-jährigen Steirer wegen des Verbrechens der terroristischen Straftaten: Manche seiner Sprengsätze gingen hoch. Verletzt wurde niemand, aber die Detonationen waren potenziell lebensgefährlich. 35-facher Mordversuch - auch gegen seine Ex-Frau - steht im Raum.
Die Anklage sieht wegen der Gefahr, die von dem Mann ausgehe, eine Einweisung in ein forensisch-therapeutisches Zentrum vor, obwohl der Beschuldigte bisher vom psychiatrischen Gutachter als zurechnungsfähig eingestuft wurde. Staatsanwältin Patricia Weber sprach im Eröffnungsplädoyer von einem "nicht alltäglichen Fall", der zwar nach einem "Kriminalroman" klinge, aber Realität sei.
Zeugen Jehovas als Ziel?
Es handle sich nicht nur um einen Mordversuch an der Ex-Frau, sondern "der Angeklagte schreckte auch nicht davor zurück, unzählige andere zu töten", führte sie aus. Mehrere Sprengsätze hätten nur der Ablenkung gedient, stellten aber "eine Gefahr für Leib und Leben" dar.
"So etwas hinterlässt Narben"
Markus Kakavis, Sprecher der Zeugen Jehovas Österreich, im Interview.
Die ersten Sprengsätze hatte er am 18. August 2023 an zwei Fahrzeugen von Mitgliedern der Zeugen Jehovas in Leibnitz angebracht. In diesen beiden Fällen sei die Hauptladung nicht hochgegangen, es gab keine Verletzten, erklärte die Staatsanwältin. Eigentlich habe er schon an diesem Tag auch beim Auto seiner Ex-Frau in Kalsdorf eine Bombe anbringen wollen, aber entgegen seiner Erwartung gab es in Kalsdorf keine Versammlung der Zeugen Jehovas.
Fünf Kilo Sprengstoff
Daher habe der Beschuldigte seinen Plan geändert und einen neuen Sprengsatz gebaut, der mit rund fünf Kilogramm Sprengstoff wesentlich mehr Detonationspotenzial hatte als die Bomben in Leibnitz. Er platzierte das Paket am 29. März 2024 beim Eingang des Königreichsaals in Kalsdorf. Nur durch die Aufmerksamkeit der Mitglieder der Zeugen Jehovas sei Schlimmeres verhindert worden, sagte Weber. "Auch dieses Vorhaben schlug somit fehl", so die Anklägerin.
Anschläge auf Zeugen Jehovas: Prozess startet
PULS 24 Chronik-Chefreporterin Magdalena Punz berichtete aus Graz.
Daher baute der Steirer zwei weitere Rohrbomben. Eine davon befestigte er am 3. Mai am Auto von Mitgliedern der Zeugen Jehovas und zündete den Sprengsatz auch gegen 3.00 Uhr. Das Auto brannte aus, verletzt wurde auch hierbei niemand.
Die zweite Bombe montierte er am Wagen seiner Ex-Frau, ebenfalls ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Laut der Anklägerin habe er den Sprengsatz auch aktiviert, aber dieser soll aus nicht bekannten Gründen nicht hochgegangen sein.
"Perfider Mordplan und hoher Aufwand"
"Ihm war bewusst, dass er das Leben anderer gefährdet und wollte sogar den Tod seiner Ex-Frau - und er nahm auch den Tod anderer in Kauf", schilderte Weber. Zudem schuf er ein "Angst-Klima" unter den Zeugen Jehovas.
Überführt wurde der IT-Techniker letzten Endes durch einen Fingerabdruck, der auf der Bombe in Kalsdorf gefunden wurde. Die Staatsanwältin sprach von einem "perfiden Mordplan und hohen Aufwand, um seine Ex-Frau zu töten".
"Sie gönnte mir kein friedliches Leben"
Der Beschuldigte bekannte sich teilweise schuldig. Zum Prozessauftakt am Montag erschien er im braun-grauen Nadelstreifanzug. Er gab zu, dass er seine frühere Ehefrau töten wollte. Die Sprengsätze hätten aber niemanden sonst verletzen oder gar töten sollen. Sein Verteidiger meinte, dass die Staatsanwaltschaft einen "zweiten Franz Fuchs" darzustellen versuche, doch er habe "nie den Vorsatz eines terroristischen Ziels" gehabt. Es sei ihm stets um das Legen von falschen Fährten gegangen.
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Der bisher unbescholtene IT-Techniker nannte gegenüber dem vorsitzenden Richter Andreas Rom eine Reihe von Gründen für seine Handlungen: Angefangen habe es mit einer problematischen Ehe, die zu einer noch schwierigeren Scheidung geführt habe.
Er durfte seine Kinder nicht sehen und seine Ex-Frau habe ihn finanziell ruinieren wollen. Aufgrund der Belastungen seien auch noch gesundheitliche Probleme gekommen: Depressionen, Schlaganfall, Herz-Operation, eine Krebsdiagnose.
"Ich war eineinhalb Jahre im Krankenstand und ich stellte mir die Frage, warum meine gesunde Ex-Frau nicht arbeiten gehen kann und ich alles zahlen soll", obwohl er zum Teil mit 60 Prozent Behinderung eingestuft worden sei. "Sie gönnte mir kein friedliches Leben nach der Trennung", sagte er.
"In Summe waren es viele Belastungen, nicht nur finanziell. Viel schlimmer war, dass sie mich von den Kindern fernhielt. Und sie wollte sich partout nicht scheiden lassen. Irgendwann sind mir die Sicherungen durchgegangen. Ich wollte meine Ruhe haben." Für ihn habe sich die Frage gestellt: "Töte ich mich selbst oder meine Ex-Frau."
Micro-Controller und eigene Programme
Mit einigen Punkten der Anklage zeigte sich der Beschuldigte nicht einverstanden: Beispielsweise habe er in Kalsdorf die Bombe absichtlich nicht gezündet. Er habe darauf gehofft, dass seine Ex-Frau alleine neben dem Sprengsatz ist und hätte sie dann gezündet. Das war aber nicht der Fall.
Ähnliches gelte für die Bombe, die er später direkt am Wagen seiner Ex-Frau angebracht hat. Auch diese hätte er aktivieren können, habe es aber letztlich nicht gemacht. Außerdem seien die Bomben aus seiner Sicht sicher gewesen, weil er sie mit Micro-Controllern und eigens geschriebenen Programmen gebaut habe. So hätten sie seiner Ansicht nach nur durch sein Zutun hochgehen können.
Der Sprengstoff-Gerichtsgutachter sah das allerdings anders: Der vom Angeklagten verwendete, selbst gemischte Sprengstoff sei als sogenannter Initialsprengstoff einzustufen. Das bedeutet, dass er extrem empfindlich gegenüber äußerer Einwirkung war.
"Es grenzt an ein Wunder, dass Sie mehrere 100 Gramm davon ohne Unfall mischen konnten", meinte er zum Beschuldigten. Der Experte führte daher die Gefährlichkeit der Bomben ins Treffen, selbst wenn der 56-Jährige diese nur mit einem Funkauslöser und einer ausgeklügelten Programmierung bedienen wollte.
Ex-Frau schilderte psychische Belastung
Am Nachmittag des ersten Verhandlungstages wurden einige Zeugen gehört, darunter auch die Ex-Frau des Beschuldigten. Auf die Frage der angeblich hohen Unterhaltszahlungen meinte sie: "Ich will nur, was mir zusteht." Im Übrigen sei sie arbeitsunfähig und habe daher nicht selbst für sich sorgen können.
Die Trennung sei für sie eine "Katastrophe" gewesen: "Ich habe in Liebe geheiratet und wollte mit ihm sterben." Nachdem sie von den Mordversuchen auf sie gehört hatte, habe sie Selbstmordgedanken gehabt und befinde sich seither in Therapie. Besonders schwer zu verkraften sei, dass sie wochenlang mit einer gefährlichen Bombe im Auto herumgefahren sei.
"Wir hatten Angst, dass er uns beobachtet"
Die beiden erwachsenen Kinder des Paares sprachen ebenfalls von psychischen Belastungen. Einige Mitglieder der Zeugen Jehovas wurden auch noch gehört. "Wir hatten Angst, dass er uns beobachtet", schilderte eine von ihnen.
Am Ende des ersten Prozesstages war noch die psychologische Sachverständige Anita Raiger am Wort. Sie hat beim Angeklagten eine überdurchschnittliche Intelligenz erkannt. Zur Gefährlichkeit meinte sie, dass der 56-Jährige insgesamt kein großes Rückfallrisiko habe. Gegenüber Fremden bestehe praktisch keine Gefahr, allerdings sei seine Empathielosigkeit, mit der er Fremde in seine Tatpläne eingezogen hat, sehr wohl bedenklich. Wenn ihn jemand aus seinem Umfeld kränke oder finanziell ausnutzen will, sei er fähig, ein Delikt genau zu planen. Das bringe eine gewisse Gefährlichkeit.
Am Mittwoch sind weitere Zeugen geladen und auch ein weiteres Gutachten wird erörtert. Ein Urteil könnte am Mittwoch fallen.
Steiermark: Anschlag auf Zeugen Jehovas
Zusammenfassung
- Ein 56-jähriger IT-Techniker steht in Graz vor Gericht, weil er Bomben bei Zeugen Jehovas platzierte und seine Ex-Frau töten wollte.
- Er wird des 35-fachen Mordversuchs beschuldigt, verletzte jedoch niemanden mit den Sprengsätzen.
- Die ersten Bomben wurden am 18. August 2023 angebracht, eine weitere mit fünf Kilogramm Sprengstoff am 29. März 2024.
- Der Angeklagte wurde durch einen Fingerabdruck auf einer Bombe überführt und gestand teilweise seine Taten.
- Ein Urteil im Prozess wird am Mittwoch erwartet, während die Ex-Frau und Kinder des Angeklagten psychisch belastet sind.