Israelische Panzer kesseln Ostteil von Rafah ein
Zwischen israelischen Soldaten und Kämpfern der Hamas sowie des Islamischen Jihads gab es laut Augenzeugen in Rafah heftige Gefechte. Bei Kämpfen im nördlichen Gazastreifen wurden am Freitag nach Angaben der israelischen Streitkräfte vier Soldaten getötet. Alle vier seien 19 Jahre alt gewesen, hieß es in der Mitteilung der Armee. Sie kamen offenbar in Al-Saitun, einem Viertel der Stadt Gaza, bei der Explosion eines Sprengsatzes ums Leben, wie der Sender Kan berichtete.
Die Armee hatte kurz zuvor Kämpfe mit der islamistischen Hamas-Miliz in Al-Saitun bestätigt, die schon die letzten Tage hindurch andauerten. Dabei seien Hamas-Terroristen getötet und von ihnen genutzte Infrastruktur zerstört worden, hieß es in der Mitteilung der Streitkräfte. In einem Schulgebäude fanden die Soldaten Waffen und Munition der Hamas. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Israels Sicherheitskabinett stimmte indes am Freitag einem Medienbericht zufolge einer "maßvollen Ausweitung" des israelischen Militäreinsatzes in Rafah zu. Zugleich wies es seine Unterhändler an, die Bemühungen um einen Geisel-Deal fortzusetzen, berichtet das Nachrichtenportal Axios unter Berufung auf nicht genannte Quellen. Zwei Insidern zufolge überschreitet dieser Schritt nicht die von US-Präsident Joe Biden gesetzte rote Linie. Nach Angaben einer dritten Person könnte dies mit Blick auf die pausierten US-Militärhilfen als Grenzübertritt gewertet werden.
Israel hatte die Zivilbevölkerung aufgefordert, den Ostteil Rafahs zu verlassen. Zehntausende Menschen sind gezwungen, außerhalb der Stadt Schutz zu suchen. Die Stadt war die letzte Zufluchtsstätte für mehr als eine Million Menschen, die während des Krieges aus anderen Teilen des Palästinensergebietes vor den Kämpfen und israelischen Angriffen geflohen waren. Nach Angaben der UNO sind bereits 110.000 Menschen seit dem Vorrücken der israelischen Armee in Rafah aus der Küstenstadt geflüchtet. Die israelische Regierung argumentiert, sie könne den Krieg im Gazastreifen nicht gewinnen, ohne Rafah anzugreifen und Tausende Hamas-Kämpfer auszuschalten, die dort Unterschlupf suchen. Die Hamas erklärt, sie werde kämpfen, um Rafah zu verteidigen. Hilfsorganisationen befürchten, dass durch die Kämpfe Hunderttausende bereits vertriebene Menschen in Gefahr geraten.
Die Hamas griff unterdessen erneut den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom an. Der militärische Arm der Terrororganisation, die Kassam-Brigaden, reklamierten den Angriff mit Mörsergranaten bei Telegram für sich. Es ist der vierte Angriff der Hamas auf Kerem Shalom seit Sonntag. Die für Palästinenserangelegenheiten zuständige israelische Behörde COGAT schrieb am Freitag: "Die Hamas hat gerade auf Kerem Shalom geschossen, den wichtigsten Übergang für humanitäre Hilfe nach Gaza." COGAT warf der Hamas vor, sie tue "alles, um zu verhindern, dass Hilfslieferungen zu den Menschen in Gaza gelangen".
Die Versorgung der Menschen im Gazastreifen mit Nahrungsmitteln und Treibstoff könnte binnen Tagen zum Erliegen kommen. Grund sei, dass wichtige Grenzübergänge nach wie vor geschlossen seien, sagte Hamish Young, der für das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF für den Gazastreifen zuständig ist, in London. Krankenhäuser seien bereits zur Schließung gezwungen, auch die Unterernährung nehme zu. Seit fünf Tagen sei nichts mehr bei den Menschen angekommen. "Wir kratzen schon alles vom Boden der Fässer auf", sagte Young.
In der ägyptischen Hauptstadt Kairo laufen unterdessen seit einigen Wochen Verhandlungen für eine Feuerpause und die Freilassung von israelischen Geiseln aus der Gewalt der Hamas. Am Donnerstag hatte der den ägyptischen Behörden nahestehende Sender Al-Qahera News unter Berufung auf eine "hochrangige Quelle" berichtet, dass die Delegationen der Hamas und Israels nach zweitägigen Gesprächen Kairo wieder verlassen hätten. Die Bemühungen der internationalen Vermittler sollten dessen ungeachtet weitergehen.
Ägypten will die Konfliktparteien im Gazakrieg mit den USA zu mehr Kompromissbereitschaft in den Verhandlungen zu einer Waffenruhe bewegen. Ein Sprecher des ägyptischen Außenministeriums teilte am Freitag nach der jüngsten ergebnislosen Verhandlungsrunde in Kairo mit, US-Außenminister Antony Blinken und sein ägyptischer Amtskollege Samih Shoukri hätten in einem gemeinsamen Telefonat betont, wie wichtig es sei, "die Parteien dazu zu drängen, Flexibilität zu zeigen". Alle notwendigen Bemühungen müssten unternommen werden, um eine Vereinbarung über eine Waffenruhe und eine Freilassung von Geiseln zu erzielen.
Das UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA gab bekannt, seine Niederlassung in Ost-Jerusalem nach eigenen Angaben wegen Angriffen von Israelis schließen zu müssen. Die Einrichtung bleibe so lange geschlossen, bis die Sicherheit an Ort und Stelle gewährleistet sei, schrieb UNRWA-Chef Philippe Lazzarini auf der Plattform X. Israelische Anrainer hatten demnach in der Umgebung des weitläufigen Anwesens am Donnerstag mehrere Brände entfacht. Laut Lazzarini war dies bereits der zweite Vorfall binnen weniger als einer Woche. Die israelische Polizei leitete Ermittlungen ein.
Zusammenfassung
- Israelische Truppen haben den Ostteil von Rafah eingekesselt und kontrollieren die Hauptstraße, die den östlichen vom westlichen Teil der Stadt trennt.
- Bei heftigen Gefechten in Rafah wurden vier israelische Soldaten durch einen Sprengsatz getötet.
- Über 110.000 Menschen mussten Rafah verlassen, nachdem Israel die Zivilbevölkerung zur Evakuierung aufgefordert hatte.
- Die Hamas griff den Grenzübergang Kerem Shalom an, durch den humanitäre Hilfe nach Gaza gelangt, was die Versorgungslage verschärft.
- Verhandlungen in Kairo über eine Feuerpause und die Freilassung israelischer Geiseln blieben bisher ergebnislos.