"Rotes Gsindl": Rendi-Wagner verlangt Entschuldigung "gegenüber allen Menschen im Land"
Die SPÖ forderte am Dienstag eine Reaktion des Bundeskanzlers auf die gestern bekannt gewordenen ÖVP-Chats. Unter anderem hatte die frühere Innenministerin und heutige niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) die SPÖ als "Gsindl" bezeichnet.
Offener Brief von Rendi-Wagner und Schnabl
An Dienstagabend legte die SPÖ dann noch einmal nach. Chefin Rendi-Wagner und der Landesparteivorsitzende in Niederösterreich, Landeshauptmannstellvertreter Franz Schnabl richteten einen offenen Brief an Mikl-Leitner und Nehammer. Das Schreiben war am Montagabend von Schnabl angekündigt worden. Verlangt wurde darin u.a. eine "neue politische Kultur". In den zuletzt bekannt gewordenen Chats offenbare sich ein "erschreckendes Bild des Denkens über Menschen" ebenso wie "parteipolitischer Machtmissbrauch". Mikl-Leitners Entschuldigung für den "Gsindl"-Sager werde zwar akzeptiert, es brauche aber angesichts der Wortwahl über die Entschuldigung gegenüber der Sozialdemokratie hinaus eine ebensolche "gegenüber allen Menschen im Land".
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PULS 24 Chefredakteur Stephan Kaltenbrunner über die Aufregung nach dem "Gsindl"-Sagers.
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch bezeichnete davor die Entschuldigung Mikl-Leitners als "nicht einmal das Papier wert". "Wir haben einen weiteren Tiefpunkt erlebt in dieser Republik", meinte Deutsch in Richtung ÖVP zur APA. "Das ist ein ungeheurer Skandal und eine Diffamierung, ein Herabwürdigen von Menschen durch eine früher einmal staatstragende Partei, wenn deren Repräsentanten andere als Tiere, Pöbel und jetzt als 'rotes Gsindl' bezeichnen." Gleichzeitig zeige dies, "wie verkommen diese Partei ist, der 35 Jahre Regierungstätigkeit zu Kopf gestiegen ist".
Die Entschuldigung Mikl-Leitners bei jenen, "die oder der sich von dieser Nachricht aus der Vergangenheit angesprochen und beleidigt fühlen", hält Deutsch für nicht ausreichend. Würde sie dies ernst nehmen, wären klarere Worte und nicht eine Relativierung nötig. "Das ist eher eine trotzige Reaktion von jemandem, der ertappt wurde. Offenbar wird in der ÖVP so über Andersdenkende gesprochen, wenn sie nicht dabei sind." Wenn er an die Chats aus dem Innen- und Finanzministerium denke, werde es "im Rückblick nun immer klarer, warum der ÖVP das Innenministerium so wichtig ist".
Deutsch will nun Nehammer in die Verantwortung nehmen. "Er ist der Kanzler, er muss zu diesem Sittenverfall Stellung nehmen." Auch die NEOS zeigten sich schockiert über die Wortwahl. Das politische Klima sei in den vergangenen Jahrzehnten immer von einem gewissem Respekt geprägt gewesen, befand Generalsekretär Douglas Hoyos - unter ÖVP-Obmann Sebastian Kurz sei dies jedoch komplett verloren gegangen. Der "neue Stil" der türkisen Volkspartei sei "alles andere als respektvoll".
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Kritik auch von FPÖ und Grünen
"Wenn SPÖ-Wähler schon als Gsindl diffamiert werden, dann will ich gar nicht wissen, wie über andere politische Mitbewerber bei der ÖVP hergezogen wird", stellte Alexander Murlasits, Landesparteisekretär der FPÖ Niederösterreich, in einer Aussendung fest. Als "Symptom eines politischen Kulturverlustes" hat indes Helga Krismer, Landessprecherin der niederösterreichischen Grünen, den "Gsindl"-Sager bezeichnet. Die von der Landeshauptfrau nun nachgereichte Entschuldigung sei allerhöchstens "halbherzig".
SPÖ und NEOS fordern öffentliche Hearings
Nach den bekanntgewordenen Sideletter fordern SPÖ und NEOS verpflichtende öffentliche Hearings im Parlament für Spitzenfunktionen in Höchstgerichten und auf EU-Ebene aus, die auf Vorschlag der Bundesregierung besetzt werden. Der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried sowie NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos kündigte am Dienstag dementsprechende Initiativen an.
Anlass für die Forderung sind bekannt gewordene Koalitionsvereinbarungen der Vergangenheit zu Postenbesetzungen. Konkret geht es der SPÖ um die Bestellung von Funktionen, für die die Bundesregierung Vorschläge an den Bundespräsidenten erstattet. Auf nationaler Ebene betrifft dies unter anderem das Präsidium des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) und des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) sowie des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG). Auf EU-Ebene wären etwa Mitglieder der Europäischen Kommission, des Europäischen Gerichtshofes und des EU-Rechnungshofes betroffen.
Die Hearings sollten für die Öffentlichkeit via Livestream und Video on Demand zugänglich sein, vom Nationalrat unter Zuhilfenahme der Parlamentsdirektion vorbereitet und durch einen ständigen Unterausschuss des Verfassungsausschusses durchgeführt werden. Leichtfried erhofft sich durch die Maßnahme "maximale Transparenz" bei derartigen Postenbesetzungen und ein "wirksames Mittel gegen die von der Regierung praktizierten Hinterzimmerdeals".
Hoyos für Cooling-Off-Phase
Transparenz auf gleich mehreren Ebenen fordern die NEOS ein. So forderte auch Hoyos in einer Pressekonferenz öffentliche Hearings für alle öffentlichen Stellen, aber auch bei der Beauftragung der Personalagenturen selbst. Aber auch bei den Ein- und Ausgaben der Parteien und den Auftragsvergaben des Staates müsse es mehr Einblick geben. Nicht zuletzt verlangte Hoyos erneut auch eine Cooling-Off-Phase für Politikerinnen und Politiker.
Die NEOS hätten sich vor zehn Jahren gegründet, um genau derartige Missstände im politischen System aufzuzeigen und sie auch anzugreifen, sprach Hoyos die aufgetauchten Sideletter an. Nun sei für die Reform des politischen Systems klar: "Es gibt jetzt kein Zurück mehr."
"Wenn SPÖ-Wähler schon als Gsindl diffamiert werden, dann will ich gar nicht wissen, wie über andere politische Mitbewerber bei der ÖVP hergezogen wird", stellte Alexander Murlasits, Landesparteisekretär der FPÖ Niederösterreich, in einer Aussendung fest. Er glaube zudem nicht, "dass der Sager aus der aufgeheizten Stimmung infolge der Flüchtlingskrise entstanden ist". Die neuesten Chat-Enthüllungen seien "der Beweis dessen, was viele in unserem Land längst wissen", so Murlasits. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sei "in der ÖVP-Korruptionsmaschinerie und beim Postenschacher mittendrin statt nur dabei".
Zusammenfassung
- Die SPÖ fordert eine Reaktion von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf die am Montag publik gewordenen Anti-SPÖ-SMS aus der Zeit der rot-schwarzen Koalition in der Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) die SPÖ als "Gsindl" bezeichnet.
- An Dienstagabend legte die SPÖ dann noch einmal nach. Chefin Rendi-Wagner und der Landesparteivorsitzende in Niederösterreich, Landeshauptmannstellvertreter Franz Schnabl richteten einen offenen Brief an Mikl-Leitner und Nehammer.
- Sie forderten eine "neue politische Kultur" und eine Entschuldigung "gegenüber allen Menschen im Land" und kritisierten ein "erschreckendes Bild des Denkens über Menschen" und "parteipolitischen Machtmissbrauch".
- Die SPÖ spricht sich für verpflichtende öffentliche Hearings im Parlament für Spitzenfunktionen in Höchstgerichten und auf EU-Ebene aus, die auf Vorschlag der Bundesregierung besetzt werden.
- Anlass für die Forderung sind bekannt gewordene Koalitionsvereinbarungen der Vergangenheit zu Postenbesetzungen.
- Transparenz auf gleich mehreren Ebenen fordern die NEOS ein. So forderte auch Hoyos in einer Pressekonferenz öffentliche Hearings für alle öffentlichen Stellen, aber auch bei der Beauftragung der Personalagenturen selbst.