Nestroy-Theaterpreise im Fernsehen vergeben
Dass das vergangene Jahr für Theaterschaffende "wie eine Achterbahn war", dürfte niemanden überraschen. Fässlacher versuchte gleich zu Beginn das Positive hervorzukehren: "Kopfüber bekommt man manchmal eine andere Sicht auf die Zustände". Und so wurden die 21. Nestroy-Preise im Rahmen der einstündigen Sendung auf ORF III vergeben. Meist handelte es sich dabei um Überraschungs-Verleihungen während eines Interviews anlässlich der Nestroy-Nominierung, was bei den Preisträgern zwar für große Überraschung sorgte, aufseiten der Dankesreden jedoch keine Möglichkeit bot, politisch zu werden. Von "Herzinfarkt" bis "geil" war alles dabei, eine Bühne für ernste Worte blieb aufgrund dieser Dramaturgie jedoch verwehrt.
So bekam Franz Pätzold für seine Rolle des Dionysos in Euripides' "Die Bakchen" am Burgtheater die Auszeichnung direkt von Hausherr Martin Kusej überreicht, der das ORF-Interview crashte: "Ich hab da so eine komische Skulptur auf der Feststiege gefunden". "Wie geil", rief das seit der vergangenen Saison am Haus arbeitende Ensemble-Mitglied, das unter anderem seiner "Lieblings-Kneipe" dankte. Durchgesetzt hatte sich der junge Deutsche gegen Florian Köhler als Frau Zittel in Thomas Bernhards "Heldenplatz" am Schauspielhaus Graz und Johannes Krisch als Weinberl in Nestroys "Einen Jux will er sich machen" am Theater in der Josefstadt.
Bei der Verleihung des Preises für den "Besten Nachwuchs" setzte man - ganz den Umständen entsprechend - auf Skype. Während eines Online-Interviews wurden Bérénice Hebenstreit für ihre Inszenierung von "Urfaust/FaustIn and out" von Johann Wolfgang Goethe/Elfriede Jelinek am Volkstheater und Mathias Spaan für die Regie bei Hebbels "Die Nibelungen" am Landestheater Niederösterreich zu Gast in der Bühne im Hof überrascht. Um die Spannung zu steigern, zog sich Fässlacher während des Skype-Interviews dezent um, um die gute Nachricht in Sakko und Krawatte verkünden zu können.
Dass die Ausstattung in Theaterkritiken oft nur eine Randnotiz bleibt, monierte Hochmair, bevor er sich im Prater ins All schießen ließ, worauf eine Video-Botschaft der beiden Preisträger Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo folgte, die für "Meister und Margarita" nach Michail Bulgakow im Akademietheater verantwortlich zeichneten. Laut Jury-Vorsitzender Ulli Stepan haben die beiden eine "ganz spezielle Zeit- und Raumlösung" gefunden, die Preisträger dankten jenen, die in der Öffentlichkeit oft zu kurz kommen - von der Assistenz bis zu den Werkstätten und Technikern. Apropos zu kurz: "Im Off-Theater zu arbeiten, ist eine sprichwörtliche Berg- und Talfahrt", ließ Hochmair anschließend wissen, während Reinsperger sich eine Riesen-Rutsche hinunterstürzte. Und so meldete sich die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) mit einer Videobotschaft aus dem Theater der Jugend zu Wort: Off-Theater hätten es in den vergangenen Monaten coronabedingt besonders schwer gehabt. Dennoch hätten sie "unter schwierigsten Bedingungen daran geglaubt, dass es weitergeht", so die Stadträtin, bevor die Werk X-Produktion "Dunkel lockende Welt" von Händl Klaus (Regie: Nurkan Erpulat) ausgezeichnet wurde. Das arglos beim Interview sitzende Ensemble fühlte sich "wie bei der 'Versteckten Kamera' und beklagte, keine Dankesrede vorbereitet zu haben." Den Part der Mahnerin übernahm daher im Anschluss Reinsperger: "Vergessen Sie bitte auch die kleinen Theater in der nächsten Spielzeit nicht!"
Für aktuelle politische Töne sorgte schließlich der Einspieler vor der U-Bahn-Station am Nestroyplatz, in dem Florian Teichtmeister das Nestroy-Couplet "Da hab i scho gnua" mit aktuellen Themen wie der Maskenpflicht, Abstandsregeln und damit einhergehenden Demonstrationen besang: "Steig ma lieber in Flieger, weil die Theater ham zua", hieß es da auch ernüchtert. Vor der "Wilden Maus" im Prater gab es dann die Einleitung zur Vergabe des Nestroy-Preises für die beste Nebenrolle. Diese sei "oft aufregender und bunter als ihre großen Geschwister", so Reinsperger. Das Überraschungs-Interview gab schließlich Alexander Absenger, der die Jury als Charlotta Iwanowna in Tschechows "Der Kirschgarten" im Theater in der Josefstadt überzeugt hatte und von Sona MacDonald auf der Galerie des Zuschauerraums mit der Trophäe überrascht wurde. Durchgesetzt hatte er sich gegen Sabine Haupt als Norah in "Vögel" von Wajdi Mouawad (Akademietheater) und Markus Hering als Gottfried in "The Party" von Sally Potter (Burgtheater). "Man erlebt mich selten sprachlos. Ich freu mich total", so Absenger.
Eine Doppelauszeichnung gab es beim "Bühne"-Sonderpreis, der vom Wiener Bühnenverein und Red Bull Media House Publishing vergeben wurde: Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele, und Herbert Föttinger, Direktor des Theaters in der Josefstadt, wurden für ihre Aktivitäten während der vergangenen Monate ausgezeichnet. Beide hätten "ihre Stimme erhoben", um nicht übersehen zu werden (Hochmair). Für Rabl-Stadler bedeutete der Preis "Energie für neue Taten", der Josefstadt-Direktor bekräftigte: "Es ist wichtig, eine laute Stimme zu haben, wenn die Politik die Stimme der Kultur einfach nicht erhört hat. Wir kämpfen weiter!"
Ausgerechnet auf einem Ringelspiel präsentierte Reinsperger schließlich die Auszeichnungen für die beste Bundesländer-Aufführung ("Unsere besten Pferde im Stall in den Bundesländern"). Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) hob in der Vorstellung der Nominierten die Rolle der regionalen Theater hervor, die mit "viel Leidenschaft und Innovation" auch die Bühnen jenseits von Wien bespielen würden. "Bühnen sind zentrale soziale Räume des öffentlichen Diskurses. Diese Vielfalt gilt es trotz der Corona-Pandemie zu erhalten und zu stärken", so Mayer, bevor schließlich die "Familienaufstellung" (Jury-Vorsitzende Stepan) von Rikki Henry gekürt wurde, der "Hamlet" von an Landestheater Niederösterreich inszenierte. Per Video-Botschaft bedankte er sich aus London bei seinem Team.
Die mit dem Autoren-Preis für das beste Stück prämierte Elfriede Jelinek ("Schwarzwasser" am Akademietheater) schickte eine Audio-Botschaft, die Nikolaus Habjan mit seiner Jelinek-Puppe zum Leben erweckte. Eine besondere Rolle kam in diesem Jahr der Publikumspreis zu: "Wir brauchen Sie mehr denn je", rief Reinsperger direkt in die Kamera. Dass Michael Niavarani künftig nicht "als Gespenst in der Geisterbahn arbeiten muss", erfuhr dieser während des Schlussapplauses eines Abends mit Helmut Schmidt im Theater im Park. Seinen Humor verlor er angesichts der Überraschung nicht: Als Peter Fässlacher mit dem Nestroy-Preis auf die Bühne kam, meinte Niavarani salopp: "Ah, der Otto Schenk hat gewonnen und ich soll ihn ihm den Preis bringen...."
Im Zeichen der Frage, ob ein grenzenloses Europa "überhaupt noch möglich ist" (Reinsperger), wurde schließlich die beste deutschsprachige Aufführung gekürt. Als Sieger wurde "Der Mensch erscheint im Holozän" von Alexander Giesche am Schauspielhaus Zürich gekürt. Giesche habe es geschafft, "das Thema Klimawandel auf die Bühne zu bringen, ohne dass er nur mit einem Wort benannt wird", so Stepan, bevor den verstorbenen Kollegen des vergangenen Jahres zu "You'll never walk alone", interpretiert von Ana Milva Gomez, gedacht wurde. Der Corona-Spezialpreis der Jury ging schließlich an "Der Kreisky-Test", der Online-Produktion von Nesterval. Regisseur Herr Finnland freute sich inmitten seines von Ingrid Thurnher überraschten Ensembles: "Ich bin unglaublich glücklich, dass das anerkannt wird."
Staatstragend vor der Weltkugel vor dem Planetarium moderierte Reinsperger schließlich die Vergabe des Preises für die beste Regie. "Damit sich diese Welt zu drehen beginnt, braucht es Regisseure", so die Schauspielerin, bevor schließlich die Choreografin Florentina Holzinger ("TANZ. Eine sylphidische Träumerei in Stunts", Tanzquartier Wien) beim Interview überrascht wurde. "Ich würde mich selbst nie als Regisseurin verstehen", gab sie zu Protokoll, bevor Fässlacher den Nestroy aus der Tasche zog. "Oh mein Gott, deshalb muss ich JETZT diese Rede halten?", zeigte sich Holzinger überrumpelt und dankte "den leiwanden Frauen, mit denen ich diese Arbeit gemacht habe". Direkt aus dem Autodrom moderierte schließlich Hochmair die Verleihung des Nestroy für die "Beste Schauspielerin". Caroline Peters durfte ihre Trophäe dafür im Rahmen eines Überraschungs-Interviews selbst aus einem Safe im Spionage-Museum in Berlin holen. "Ich bin kurz vorm Herzinfarkt, ich hab ja noch gar nicht gefrühstückt", so die Schauspielerin, die für ihre Rolle in Jelineks "Schwarzwasser" ausgezeichnet wurde.
Christoph Marthaler, der für sein Lebenswerk geehrt wurde, war schließlich im Skype-Interview zu sehen. "'Murx' wäre ideale Corona-Inszenierung: Jeder hat seinen eigenen Tisch und steht auf, um sich die Hände zu waschen", scherzte er über seine Inszenierung "Murx den Europäer!" aus dem Jahr 1993 an der Berliner Volksbühne. Und mit dieser Würdigung endete auch ein kurzweiliger Fernsehabend, mit dem man "Lust auf das neue Theaterjahr" machen wollte, "das alles andere wird als normal", so Hochmair. Aber: "Nach jeder Talfahrt geht es auch bergauf!" Passend endete die Übertragung schließlich mit "Den Wurschtl kaun kana daschlogn".
Zusammenfassung
- Dass das vergangene Jahr für Theaterschaffende "wie eine Achterbahn war", dürfte niemanden überraschen.