Ischgl-Kommission sieht Fehleinschätzungen - Opposition fordert Konsequenzen
"Es kam in einem Bezirk zu folgenschweren Fehleinschätzungen", sagte Roland Rohrer, der Leiter der Expertenkommission "Covid-19-Pandemie Tirol" bei der Präsentation des Kommissionsberichts zum Corona-Krisenmanagement in Ischgl am Montag.
Demnach hätten die Behörden am 9. März 2020 das Ausmaß der Gefahr erkennen müssen und den Skibetrieb einstellen sollen, sagte Rohrer. Drei Tage vor dem Erlass der Skibus- und Seilbahnbenützung für die Gemeinde Ischgl. Umgesetzt wurde die Verordnung sogar erst am 14. März, da der Ischgler Bürgermeister sie erst am 14. März öffentlich aushängen ließ. Dieser Sachverhalt wurde der Staatsanwaltschaft zur Untersuchung weitergereicht. Außerdem seien Ermittlungen gegen drei weitere Beamte der Bezirkshauptmannschaft Landeck eingeleitet worden.
Ebenfalls falsch sei die Wiedereröffnung des Ischgler Lokals "Kitzloch" am 8. März 2020 gewesen nachdem dort ein Kellner positiv gestestet worden war. Im Zuge der folgenden Woche wurden insgesamt 16 Mitarbeiter positiv getestet. Sie hatten bereits eine Woche mit Grippesymptomen gearbeitet. Das "Kitzloch" sei ein Infektionsherd gewesen, sagte Rohrer.
Rohrer sprach bei der Pressekonferenz auch Medienberichte an, die von einer Einflussnahme von Seilbahn- und Tourismusunternehmern auf die Behörden berichtet hatten. Diese Berichte hätten sich als falsch herausgestellt. Die Bezirksbehörde hätte nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit agiert und sei deshalb schrittweise vorgegangen.
Kritik an Kanzleramt und Gesundheitsministerium
Die Ankündigung der Verhängung der Quarantäne über das Paznauntal sowie St. Anton "durch den österreichischen Bundeskanzler (sei) überraschend und ohne Bedachtnahme auf die notwendige substanzielle Vorbereitung" erfolgt, kritisiert der Bericht. Die Kommunikation mit den Bezirks- und Landesbehörden sei mangelhaft gewesen.
Kurz habe Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) am Vormittag zwar darüber informiert, der Landeshauptmann habe dabei aber darauf verwiesen, dass den Stäben noch viel Arbeit bevor stünde, weil noch nicht alle Details klar seien, schilderte der Kommissionsvorsitzende Ronald Rohrer. Kurz selbst habe dann in seiner Befragung jedoch angegeben, dass er davon ausgegangen sei, dass die Stäbe die notwendigen Vorbereitungen getroffen hätten.
Aufgrund der Kommunikationsprobleme sei zu chaotischen Szenen bei der Abreise von Touristen gekommen und das Abreise-Management erschwert bzw. verunmöglicht worden. Dieses hätte dennoch von den Behörden besser organisiert werden müssen, kritisierte Rohrer. Die Verantwortlichen der Bezirkshauptmannschaft Landeck hätten aber sofort mitteilten müssen, dass die Ausreise der ausländischen Gäste über das gesamte Wochenende kontrolliert erfolgen könne.
Keine Beeinflussung durch Politik
Entlastet wurde das Land Tirol bzw. Platter in anderer Hinsicht: Sämtliche Entscheidungen der Verantwortlichen der zuständigen Bezirkshauptmannschaften und die jeweilige zeitliche Abfolge sowie die Vorgangsweise des Landeshauptmannes sei "aus eigenem Entschluss und ohne Druckausübung von dritter Seite erfolgt".
Scharfe Kritik von Verbraucherschutz und Opposition
Verbraucherschutzobmann Peter Kolba sieht die eingebrachten Amtshaftungsklagen gegen die Republik Österreich durch die Erkenntnisse der Experten bestätigt - vor allem in puncto des "Verschweigens von Covid-19 Fällen bei isländischen Urlaubern in Ischgl in Pressemeldungen" und des "chaotische Abreisemanagements".
Der Verbraucherschutzobmann ging mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hart ins Gericht. Im Interview mit PULS 24 sagt er, die Fehler "liegen eindeutig bei Kanzler Kurz". Das Unter-Quarantäne-Stellen des Paznauntales und von St. Anton sei mit den Tiroler Behörden nicht abgestimmt gewesen. Die Polizei habe zunächst keine rechtliche Grundlage gehabt, Abreisende zu kontrollieren bzw. deren Daten aufzunehmen. Die entsprechende Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck sei erst später in Kraft getreten. "So kam es dazu, dass tausende infizierte Urlauber auf halb Europa verteilt wurden, ohne dass deren Heimatbehörden eine Heimquarantäne prüfen konnten", meinte Kolba.
Kolba zu Ischgl: "Die Fehler sind ganz eindeutig beim Bundeskanzler Kurz"
Die Tiroler SPÖ sah sich in ihrer Kritik bestätigt."Nach diesem Bericht dürfe in Tirol kein Stein auf dem anderen bleiben", meinte Dornauer, der sich überdies empört zeigte, dass Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) offenbar seine Verantwortung "unrechtmäßig und fälschlicher Weise völlig aus der Hand gegeben - und das unter den Augen und mit Duldung von Landeshauptmann Günther Platter".
"Personelle Konsequenzen auf allen Ebenen" forderte FPÖ-Obmann Markus Abwerzger. Der Bericht sei eine "wahre Politbombe". NEOS-Landessprecher Dominik Oberhofer geißelte seinerseits ein "erschreckendes Ausmaß von Politikversagen auf allen Ebenen".
Naturgemäß weniger kritisch fiel die Beurteilung des Berichts durch die Regierungspartei ÖVP aus. Die Experten würden "mit kursierenden Verschwörungstheorien aufräumen", befand der schwarze Klubobmann Jakob Wolf. Etwas kritischer sah das Wolfs grünes Pendant, Gebi Mair. "Dieser Bericht ist ein herausragendes Beispiel, wie man Fehlermanagement im 21. Jahrhundert betreibt. Denn der Bericht legt die Schwächen und zahllosen Fehleinschätzungen von Anfang März schonungslos offen."
Platter: Bericht zeige auch "mutige und richtige Entscheidungen"
Der Tiroler Landeshauptmann Platter hat einigermaßen erleichtert auf die Präsentation des Berichts der Expertenkommission zum Corona-Krisenmanagement des Landes reagiert. Aus heutiger Sicht seien zwar - "insbesondere am Beginn der Pandemie" - auch fachliche Fehleinschätzungen getroffen worden, aber der Bericht zeige auch auf, dass "viele Dinge gut gelaufen sind", erklärte Platter gegenüber der "APA".
Es seien "mutige und richtige Entscheidungen" getroffen worden - wie etwa die Beendigung der Wintersaison, womit ein Gästewechsel verhindert haben werden können. Die Behörden hätten bei einer "noch nie da gewesenen Krisensituation ein enormes Arbeitspensum" bewältigt - dies zeige der Bericht gut auf, meinte Platter.
Winter: "Positiv überrascht" vom Bericht zum Krisenmanagement in Ischgl
Platter kündigte an, dass man die richtigen Schlüsse für die Zukunft aus dem Bericht ziehen werde. Die schwarz-grüne Landesregierung werde in ihrer Sitzung am Dienstag den Bericht und die Empfehlungen der Kommission diskutieren und "einen Grundsatzbeschluss fassen, dass die zuständigen Abteilungen unverzüglich mit der Umsetzung der Empfehlungen beginnen".
Für Tilg ist Bericht "wertvoll"
Der wegen des Tiroler Corona-Krisenmanagements schwer unter Beschuss geratene Gesundheitslandesrat Tilg hält den Bericht der Expertenkommission für "wertvoll". Er gebe den Verantwortlichen die Möglichkeit, "bei der Bekämpfung des Coronavirus besser und noch effizienter zu werden", erklärte Tilg auf APA-Anfrage. "Kritikpunkte" nehme sich der Krisenstab "zu Herzen", sagte Tilg, der die Übertragung seiner Zuständigkeit für den Epidemiegesetz-Vollzug verteidigte.
Diese war laut Expertenkommission an Landesamtsdirektor Herbert Forster übertragen worden. Tilg beschäftigte sich stattdessen als Leiter des Sonderstabes Gesundheit mit Fragen der Hospitalisierung und Beschaffung von medizinischen Geräten. Der Stab sei "integraler Bestandteil des Krisenmanagements" gewesen, betonte der Landesrat nunmehr. "Gemeinsam konnten wir verhindern, dass es zu einer Überforderung der heimischen Krankenhaus- und Spitalslandschaft gekommen ist. Im Zuge der Stabsarbeit hat es zu jedem Zeitpunkt eine enge und umfassende Zusammenarbeit mit allen verantwortlichen Stellen gegeben", betonte der ÖVP-Politiker.
Der Artikel wurde am 12.10.2020 um 14:45 Uhr aktualisiert. Die Stellungnahme Platters wurde hinzugefügt.
Der Artikel wurde am 12.10.2020 um 16:35 Uhr aktualisiert. Die Stellungnahmen der Opposition und VSV wurden hinzugefügt.
Der Artikel wurde am 12.10.2020 um 18:48 Uhr aktualisiert. Die Stellungnahmen von Tilg wurde hinzugefügt.
Zusammenfassung
- Roland Rohrer, der Leiter der Expertenkommission "Covid-19-Pandemie Tirol", präsentierte am Montag den Kommissionsbericht zum Corona-Krisenmanagement in Ischgl.
- Die unabhängige Expertenkommission sieht in ihrem Bericht Fehleinschätzungen der Bezirksbehörden in Landeck beim Umgang mit dem Ausbruch des Coronavirus in Ischgl.
- Demnach hätten die Behörden bereits am 9. März 2020 das Ausmaß der Gefahr erkennen müssen und den Skibetrieb einstellen sollen.
- Kritisiert wurde auch die mangelhafte Kommunikation des Bundeskanzleramts und des Gesundheitsministeriums mit den lokalen Behörden.
- Das Abreise-Management sei darüber hinaus unkontrolliert und ungeplant gewesen.
- Die Opposition fordert personelle Konsequenzen.