Nachbeben in Istanbul versetzen Bevölkerung weiter in Unruhe
Am Mittwoch registrierte Afad kurz vor 13.00 Uhr Ortszeit das bisher stärkste Beben der Stärke 6,2 mit einem Epizentrum im vor der Stadt gelegenen Marmarameer. Zahlreiche weitere Erdstöße folgten. Bisher habe es rund 300 Nachbeben gegeben. Diese können auch in den kommenden paar Wochen noch anhalten.
Die Türkei liegt in einer der seismisch aktivsten Gegenden der Welt. Mehr als eine Million Gebäude in Istanbul gelten als nicht erdbebensicher. Laut Experten gilt zudem ein Beben der Stärke 7 als überfällig. Das Beben von Mittwoch habe ein solch starkes Beben nun noch mal wahrscheinlicher gemacht, denn damit sei ein Teil der ohnehin schon kritisch geladenen Verwerfung vor Istanbul aktiviert worden, sagte Marco Bohnhoff vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam.
Im vor der 16-Millionen-Stadt gelegenen Marmarameer verläuft eine aktive Plattengrenze, die Nordanatolischen Verwerfung. Istanbul selbst gilt als besonders gefährdet, da sich die Verwerfung nur etwa 15 bis 20 Kilometer südlich der Stadt entlangzieht.
Nicht nur Gebäudesubstanz macht Erdbeben so gefährlich
Istanbulerinnen und Istanbuler machen fast 20 Prozent der türkischen Bevölkerung aus. Um die Metropole dauerhaft sicher zu machen, fordern zahlreiche Stimmen aus der Politik mehr Maßnahmen - und prangern fehlende Bemühungen vonseiten der Regierung an. Ein Politiker der nationalkonservativen Oppositionspartei Iyi sagte im Parlament mit Blick auf die schlechte Vorbereitung der Stadt, die Menschen würden "in Särgen und nicht in Wohnungen" leben. Der politische Analyst Levent Gültekin kritisierte in einem Video: "Wir warten auf das Erdbeben wie die Schafe auf die Schlacht."
Nicht nur die Gebäudesubstanz ist ein großes Risiko in der Metropole. In der Stadt fehlt es etwa auch an Evakuierungsplanung und -infrastruktur sowie an Aufklärung der Öffentlichkeit. Auch Mängel bei der Bauaufsicht und Korruption sind weit verbreitet. Zudem wurden in der Vergangenheit immer wieder - und nicht nur in Istanbul - Tausende illegal errichtete Gebäude nachträglich über Baumamnestien legalisiert.
Zahlreiche Menschen verließen wegen der Erdbeben und der Angst vor weiteren zumindest vorübergehend die Stadt. Doch die Option haben nicht alle. Das Land plagt eine starke Wirtschaftskrise, der starke Anstieg der Preise etwa von Lebensmitteln hat viele Menschen nicht nur in Istanbul in die Armut gedrängt.
Erdbeben konkurriert mit anderen Krisen im Land
Für viele in der Stadt rückt die Erdbebengefahr auch wegen zahlreicher anderer politischer Krisen im Land in den Hintergrund - etwa das Verfahren gegen den inhaftierten und abgesetzten Istanbuler Bürgermeister, Prozesse gegen protestierende Studierende oder gesellschaftlich umstrittene Regelungen wie die teilweise Einführung eines Kaiserschnittverbots.
Zusammenfassung
- Zwei Tage nach einem starken Erdbeben in Istanbul wurden weitere Nachbeben mit einer Stärke von bis zu 3,6 registriert, was die Bevölkerung in Unruhe versetzt. Insgesamt gab es rund 300 Nachbeben, die noch mehrere Wochen anhalten können.
- Ein Beben der Stärke 6,2 im Marmarameer hat die Gefahr eines noch stärkeren Bebens der Stärke 7, das als überfällig gilt, erhöht. Mehr als eine Million Gebäude in Istanbul sind nicht erdbebensicher, was die Situation verschärft.
- Die politische Opposition kritisiert die Regierung für mangelnde Erdbebenvorbereitungen und Korruption. Die wirtschaftliche Krise und andere politische Probleme lenken die Aufmerksamkeit von der Erdbebengefahr ab.