Iran: "Westen muss weg von Obsession mit der Nuklearfrage"
Seit dem Erscheinen des Buches hat Donald Trump seine zweite Amtszeit als US-Präsident angetreten. Fathollah-Nejad sieht in Trumps ersten Aussagen im Hinblick die Rückkehr zu "Sanktionen des maximalen Drucks" auf den Iran einerseits die Demonstration von Härte, in dessen Andeutung von Gesprächsbereitschaft für einen neuen Atomdeal aber auch eine große Ungewissheit über den künftigen Kurs der US-Regierung, auch bei der Frage, wie es zwischen Trump und Putin in Bezug auf die Ukraine weitergeht und was für eine Rolle dabei Iran spielen mag oder nicht.
"Die große Frage aber ist: Was für ein Atomdeal schwebt ihm vor? Die Teheraner Machtelite befürchtet eher, dass es Trump um weit mehr also die Atomfrage geht - und zwar um eine 'Entwaffnung' des Regimes, also eine maßgebliche Beschneidung seiner militärischen Macht, vom Raketenprogramm bis hin zur Unterstützung pro-iranischer Milizen im Nahen und Mittleren Osten", sagt Fathollah-Nejad.
"Man begibt sich durch die Obsession mit der Nuklearfrage auf iranisches Terrain, denn die islamische Republik weiß sehr gut, ihr Atomprogramm als Verhandlungs- und Druckmittel gegenüber dem Westen zu nutzen, indem man diese Strategie der sogenannten nuklearen Eskalation betreibt. Das Ziel dieser Strategie ist es, einen Alarmismus in westlichen Hauptstädten zu generieren, damit der Westen und auch Europa an den Verhandlungstisch kommen und den iranischen Machthabern politische und ökonomische Zugeständnisse machen. Das hat bisher erstaunlich gut funktioniert."
Historische Zäsur
Andererseits stecke der Iran, beziehungsweise seine jetzigen Machthaber, in einer veritablen Krise, so Fathollah-Nejad. "Wir haben letztes Jahr eine historische Zäsur erfahren, als das 'Kronjuwel' der Iraner in der Region, die Hisbollah, immens geschwächt wurde. Seit Dezember ist zudem das Assad-Regime in Syrien Teil der Vergangenheit, das für die Waffenlieferungen an die Hisbollah wichtig war. Es gibt zwar noch pro-iranische Milizen im Irak und es gibt noch die Huthis im Jemen, aber auch die sind relativ geschwächt, also sieht es mit den Machtmitteln der Iraner gar nicht mehr so gut aus."
Dazu komme eine massive Währungs- und Wirtschaftskrise, die die Islamische Republik zu einschneidenden Maßnahmen zwingen könnten, die schon wie 2019 landesweite Proteste gegen das Regime hervorrufen könnten. Auch sei die Frage der Nachfolge des Obersten Führers der Islamischen Republik, des bald 86-jährigen Ali Khamenei, nach wie vor ungelöst. Fazit: "Es brodelt sehr unter der Oberfläche". Dieses Jahr werde wahrscheinlich "das schwierigste für die Islamische Republik seit ihrem Bestehen", ist sich Fathollah-Nejad ziemlich sicher.
Zeitpunkt für entschlossenen gegenüber Teheran Kurs günstig
Der Zeitpunkt, für einen neuen, entschlossenen politischen Kurs des Westens gegenüber den Machthabern in Teheran sei daher günstig. Fathollah-Nejad skizziert in seinem Buch elf zentrale Eckpfeiler einer solchen, "entschlossenen" Politik, darunter "Die Aufgabe der Obsession der Atomfrage" und eine Hinwendung zu einem breiteren sicherheitspolitischen Konzept, ein geschlossenes Auftreten Europas und der USA, bessere gezielte Sanktionen und eine Stärkung der iranischen Zivilgesellschaft inklusive eines glaubhaften Einsatzes für westliche Grundprinzipien wie den Menschenrechten.
"Es gibt kein anderes Regime auf dem Planeten, das mehr Menschen pro Bevölkerung exekutiert als das iranische Regime. Die Menschenrechtsfrage ist nicht nur eine wertegebundene, sondern auch eine interessengebundene Frage. Sie ist ein großer Destabilisierungsfaktor in Bezug auf den Iran. Es ist etwas, was man daher auch auf der sicherheitspolitischen Agenda haben sollte."
Europa hat noch weitere Druckmittel
Es gebe eine Reihe von weiteren Druckmittel, die die Europäer gegen den Iran einsetzen könnten, unabhängig der Trump'schen Iran-Politik und einem neuen Atom-Deal. "Die Iraner sind durchaus bereit und willens über die Atomfrage zu verhandeln. Aber sie wollen ungern über andere Faktoren verhandeln." Europa müsse aber seine eigene Sicherheit im Auge behalten: "Es geht da auch um die Frage der Reichweite iranischer Raketen, die auch Europa treffen können." Europa solle weiters gezielte Sanktionen gegen die iranische Machtelite implementieren. Ein fortgesetztes diplomatisches Hofieren Teherans würde hingegen dort ein "Weiter so" signalisieren, mahnt der Politologe.
(Das Gespräch führte Andreas Stangl/APA)
(S E R V I C E - Ali Fathollah-Nejad: "Iran. Wie der Westen seine Werte und Interessen verrät", Mit einem Vorwort von Natalie Amiri. Aufbau-Verlag, Berlin 20025. 456 Seiten; 22,70 Euro. ISBN: 978-3-351-04249 )
Zusammenfassung
- Ali Fathollah-Nejad kritisiert in seinem Buch die Iran-Politik des Westens und beschreibt die Nutzung der Nuklearfrage als Druckmittel.
- Seit Trumps Amtsantritt gibt es Unsicherheit über die US-Politik gegenüber dem Iran, insbesondere bezüglich eines neuen Atomdeals.
- Der Iran steht vor einer wirtschaftlichen Krise und einer ungelösten Nachfolgefrage des 86-jährigen Ali Khamenei.
- Fathollah-Nejad schlägt elf Eckpfeiler für eine neue westliche Politik vor, darunter die Aufgabe der Obsession mit der Atomfrage.
- Europa hat unabhängige Druckmittel gegen den Iran, darunter gezielte Sanktionen und die Berücksichtigung der Menschenrechtslage.