"Bulgarisierung" - Wie Instabilität zum Markenzeichen wurde
Dafür gibt es zweifellos Gründe. Acht Parteien sind seit der jüngsten Wahl am 27. Oktober im bulgarischen Parlament vertreten. Doch die zwei größten pro-westlichen Parteibündnisse, GERB-SDS (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens/EVP) und PP-DB (Wir setzen den Wandel fort - Demokratisches Bulgarien/Renew), sind tief zerstritten. Die konservative GERB von Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow erreichte bei der jüngsten Parlamentswahl 26,4 Prozent der Stimmen. Eine Koalition mit der liberalen Allianz PP-DB, die auf 14,2 Prozent kam, scheint nicht möglich.
Die PP-DB lehnt Borissow, dem sie Korruption in seinen drei Amtszeiten als Ministerpräsident bis 2021 vorwirft, als Regierungschef ab. Zudem wäre mindestens ein weiterer Koalitionspartner notwendig, um auf eine Mehrheit von 121 Abgeordneten im 240 Mitglieder umfassenden Parlament zu kommen.
Zwar zog Borissow am Dienstag seine Bewerbung als Ministerpräsident zurück und am Mittwoch zeigte er sich schließlich offen für die Bedingung von PP-DB einen Cordon Sanitaire gegenüber der Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) zu bilden, die in erster Linie die Interessen der türkischen Minderheit vertritt. Deren Co-Vorsitzender, Deljan Peewski, ist der einflussreichste Medienunternehmer des Landes und verfügt über dementsprechenden Einfluss. Großbritannien und die USA werfen ihm aber Korruption vor. Bei der PP-DB ist Peewski verhasst, mit deren Chef, Ex-Premier Kiril Petkow, lieferte er sich Schreiduelle im Parlament.
Eine Lösung der Krise ist also noch immer keine in Sicht, am Freitag scheiterte die Wahl eines Parlamentspräsidenten zum insgesamt achten Mal. "Mich besorgt, dass mit jedem erfolglosen Versuch einen Parlamentspräsidenten zu finden, das Parlament insgesamt an Vertrauen verliert", sagt die bulgarische Vize-Außenministerin Elena Schekerletowa in Sofia. Zwar gebe es generell die Tendenz, dass Parlamente immer fragmentierter würden. Doch in Bulgarien sei es ein Problem, dass die Verfassung relativ kurze Fristen für gewisse Prozesse habe, erklärt die ehemalige Botschafterin in Wien.
Machtpolitisch profitieren von der Unfähigkeit eine stabile Regierung zu bilden konnte Präsident Rumen Radew, obwohl das Präsidentenamt laut Verfassung eher nur repräsentative Aufgaben vorsieht. Radew, der als Parteiloser von der Sozialistischen Partei zur Wahl aufgestellt worden war, sei in erster Linie ein Populist sagt der Journalist Milkow, aber auch der Chef der Nachrichtenagentur BGNES, Ljubcho Neschkow. Die große Gefahr sei aber, dass Radew von den radikalen Gruppierungen unterstützt werde, hinter denen wiederum Netzwerke aus dem Ausland stünden, so Neschkow.
Den Hauptakteur hinter all diesen Versuchen, die bulgarische Politik zu beeinflussen, orten alle Gesprächspartner der APA in Sofia in Russland. "Der russische Einfluss ist wie Krebs, man merkt es erst, wenn es bereits zu spät ist und er sich überall ausgebreitet hat", sagt eine hohe bulgarische Beamtin etwa. Moskau versuche über soziale Medien, Influencer, aber auch über Journalisten Einfluss zu nehmen. So gebe es etwa eine Kampagne gegen den Euro-Beitritt Bulgariens, was insofern absurd sei, weil die bulgarische Lewa ohnehin in einem fixen Wechselkursverhältnis an den Euro gebunden ist. Auch Schekerletowa bestätigt: "Jeden Tag ist Bulgarien Opfer solcher hybrider Attacken."
Zwei Parlamentsparteien vertreten ganz offen russische Narrative, sagt die ehemalige Europaministerin Gergana Passy. Zum einen die extrem nationalistische Wasraschdane (Wiedergeburt), die mit der deutschen AfD in der EU-Fraktion Europa der Souveränen Fraktionen (ESN) sitzt, aber auch die Sozialisten. Eine dritte pro-russische Partei, Welitschie (Bulgarisch für Herrlichkeit, Größe), scheiterte, äußerst knapp, am Parlamentseinzug. Aufgrund der historischen Verbundenheit zu Russland sei Bulgarien ein besonders leichtes Opfer für russische Propaganda, so Passy.
Ein großes Thema in der bulgarischen Außenpolitik ist Nordmazedonien, blockiert doch Bulgarien die EU-Beitrittsgespräche, weil es eine Verfassungsreform von Skopje verlangt, durch die die bulgarische Minderheit offiziell anerkannt werden soll. Dies sei eigentlich vertraglich zwischen Sofia und Skopje seit 2017 vereinbart, erzählt Neschkow. Der Konflikt mit dem Nachbarland sei eigentlich auch kein bilateraler, sondern vielmehr eine geopolitische Auseinandersetzung zwischen der EU und Russland bzw. China, erzählt er. So sei Nordmazedonien in riesigem Ausmaß bei China verschuldet und Russland versuche direkt über Serbien und Ungarn, die Sanktionen gegenüber Moskau wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ablehnen, Einfluss zu nehmen.
Außenpolitisch sei die euro-atlantische Orientierung Sofias aber stabil, auch wenn der Versuch der Einflussnahme von außen wachse, sagt Vize-Außenministerin Schekerletowa. Auch der Journalist Milkow ist diesbezüglich entspannt. Denn eines sei klar: "Wir wollen nicht hinter den Eisernen Vorhang zurück."
(Von Martin Hanser/APA)
Zusammenfassung
- Nach der siebten Parlamentswahl in dreieinhalb Jahren konnte Bulgarien erneut keine Regierung bilden.
- Die Parteien GERB-SDS und PP-DB, die größten pro-westlichen Bündnisse, sind tief zerstritten, was eine Koalition verhindert.
- Präsident Rumen Radew gewinnt an Einfluss inmitten der politischen Instabilität, obwohl seine Rolle laut Verfassung repräsentativ ist.
- Russland wird als Hauptakteur hinter den Versuchen gesehen, die bulgarische Politik durch hybride Angriffe zu beeinflussen.
- Bulgarien blockiert weiterhin die EU-Beitrittsgespräche Nordmazedoniens aufgrund ungelöster bilateraler Konflikte.