Armenier fliehen aus Berg-Karabach - Staus auf den Straßen
Immer mehr ethnische Armenier verlassen die Kaukasus-Region Berg-Karabach. Alle, die nach dem Militäreinsatz Aserbaidschans in der vergangenen Woche nach Armenien ausreisen wollten, könnten dies tun, teilte die Führung von Berg-Karabach am Montag mit. Es gebe bereits Staus auf den Straßen, die von Bergkarabach, das inmitten Aserbaidschans liegt, nach Armenien führen.
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Denjenigen, die ausreisen wollten, werde kostenloser Treibstoff zur Verfügung gestellt, teilten die Behörden der selbst ernannten "Republik Arzach" mit. In deren Hauptstadt Stepanakert waren zahlreiche Menschen zu sehen, die ihre Habseligkeiten in Busse und auf Laster luden. Männer und Frauen standen Schlange, um in Busse nach Armenien zu steigen. Viele hatten Kinder dabei. Nach Angaben der armenischen Regierung in Jerewan sind bisher bereits fast 5.000 Menschen aus Berg-Karabach in Armenien angekommen.
Furcht vor Unterdrückung
Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, wird aber überwiegend von ethnischen Armeniern bewohnt, die die Region mit Hilfe der armenischen Regierung drei Jahrzehnte lang weitgehend kontrollierten. Am Dienstag vergangener Woche hatte Aserbaidschans Militär das Gebiet angegriffen. Einen Tag später stimmten die ethnischen Armenier in Bergkarabach notgedrungen einer Feuerpause zu. Aserbaidschan sagte zu, die Rechte der etwa 120.000 ethnischen Armenier in dem Gebiet zu respektieren. Diese befürchten jedoch, unterdrückt zu werden.
Erdoğan sieht "historischen Erfolg"
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev zu der Eroberung Berg-Karabachs gratuliert. Der aserbaidschanischen Armee sei ein "historischer Erfolg" gelungen, sagte Erdogan am Montag in der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. Mit der Unterstützung der Türkei leite man die regionalen Entwicklungen in die richtige Richtung, sagte Aliyev.
Nach kurzen heftigen Angriffen des aserbaidschanischen Militärs vergangene Woche hatten die Verteidiger der international nicht anerkannten "Republik Arzach" die Waffen strecken müssen. Die Türkei ist enger Verbündeter Aserbaidschans, das das Gebiet wieder eingliedern will. Die Karabach-Armenier befürchten eine Vertreibung oder nach Jahrzehnten des Konflikts die Rache des autoritär geführten Aserbaidschans.
Erdogan und Aliyev wollten am Nachmittag auch an der Grundsteinlegung für eine neue Erdgaspipeline zwischen der Türkei und der daran angrenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan teilnehmen. Aserbaidschan macht zunehmend Druck auch auf Gebiete im Südosten Armeniens, um einen Korridor nach Nachitschewan zu schaffen, das zum Großteil von Armenien und dem Iran umschlossen wird.
Russland begrüßte das Treffen zwischen Erdogan und Aliyev. "Wir hoffen stets, dass alle Treffen, die der Präsident Aserbaidschans abhält, darunter auch die mit dem türkischen Präsidenten, der Normalisierung des Lebens in Karabach nach dem Vorgefallenen dienen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Russland unterhält in Berg-Karabach ein militärisches Kontingent, das eigentlich einen 2020 zwischen Armenien und Aserbaidschan geschlossenen Waffenstillstand überwachen sollte.
Die SPÖ forderte indes eine UNO-Mission zum Schutz der armenischen Bevölkerung in Berg-Karabach. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) solle sich dafür einsetzen, teilte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Nationalrat, Christoph Matznetter, am Montag in einer Aussendung mit.
"Die Befürchtung Armeniens und der armenischen Bevölkerung Berg-Karabachs über ethnische Säuberungen dürfen von der Staatengemeinschaft nicht ignoriert werden. Eine UN-Friedensmission, die die Einhaltung Menschenrechte in Berg-Karabach sicherstellt, ist das Gebot der Stunde. Ich fordere den Außenminister auf, sich in den UN dafür einzusetzen", so Matznetter. Weiters sei zu prüfen, ob die Bevölkerung aus dem österreichischen Auslandskatastrophenfonds unterstützt werden könne, um die humanitäre Notlage dort zu beenden.
"Der Zweite Völkermord ist bereits im Gang"
Grüne, ÖVP, SPÖ und Neos sowie die armenische Gemeinde haben am Montag auf die katastrophale humanitäre Lage in Berg-Karabach aufmerksam gemacht und internationalen Druck auf Aserbaidschan gefordert. "Der Zweite Völkermord an den Armeniern ist bereits im Gang und ohne Intervention droht der gesamten armenischen Bevölkerung eine tödliche Zukunft", warnte eine Vertreterin der armenischen Gemeinde.
"Viele sagen, es darf nicht zur Vertreibung kommen. Fakt ist: Die Vertreibung ist bereits im Gange", sagte die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic. Gemeinsam mit den anderen Parlamentsparteien mit Ausnahme der FPÖ fordern die Grünen ein Ende des militärischen Einsatzes in Berg-Karabach, die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und den Schutz der Zivilbevölkerung sowie den uneingeschränkten Personen- und Warenverkehr über den Latschin-Korridor.
Zusammenfassung
- Immer mehr ethnische Armenier verlassen die Kaukasus-Region Bergkarabach.
- Nach Angaben der armenischen Regierung in Jerewan sind bisher bereits fast 5.000 Menschen aus Berg-Karabach in Armenien angekommen.
- Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev zu der Eroberung Berg-Karabachs gratuliert.
- Russland begrüßte das Treffen zwischen Erdogan und Aliyev.
- Die SPÖ forderte indes eine UNO-Mission zum Schutz der armenischen Bevölkerung in Berg-Karabach.