Stephens untersucht in "Am Ende Licht" den Moment des Todes
Die deutsche Regisseurin hat die Figuren des 2019 uraufgeführten Stücks in groteske Strumpfmasken gesteckt, die nach obenhin gepolstert sind und den Akteuren so eine Art Wasserkopf verpassen, auf deren Scheitelpunkt wilde Perücken baumeln. Sie alle gehören zur Familie von Christine, die gleich zu Beginn des zweieinviertelstündigen Abends vor einem Supermarktregal an einer Gehirnblutung stirbt. Auch wenn die erwachsenen Kinder Jess, Ashe und Steven sowie ihr Vater Bernard in verschiedenen Städten in Nordengland leben, sind sie immer alle gleichzeitig auf der Bühne. Holger Pohl teilt den Raum dafür in mehrere Zonen ein: ein großes Bett, ein überdimensionaler Elefant ohne Rüssel und Ohren und eine Greenscreen-Videostation.
Simon Stephens beobachtet die Familie bei dem, was sie im Moment des Todes der Mutter gerade so treibt und porträtiert so eine dysfunktionale englische Mittelklassefamilie: Der Vater vergnügt sich mit zwei jungen Frauen in einem Hotelzimmer, Jess wacht neben einem fremden Mann auf, Steven trifft seinen älteren Liebhaber und Ashe bricht endgültig mit dem Vater ihres kleinen Sohnes. Und Christine? Taucht an den jeweiligen Schauplätzen - verkleidet als Kellnerin - auf und nimmt stumm Abschied.
"Der Tod hat mich bereits mein ganzes Leben lang fasziniert, ich hatte immer große Angst davor", erzählte der 51-jährige Dramatiker im Vorfeld im APA-Interview. "Ich wollte einmal ein Stück schreiben, das sich um diesen einzigen Moment kristallisiert." Nachsatz: "Ich bin eine hoffnungsvolle Person und daher ist es auch ein hoffnungsvolles Stück." Was genau es mit der - im wahrsten Sinne - aufgesetzten Verfremdung der Figuren auf sich hat, wird im Laufe dieser pausenlosen Inszenierung, die durch ihre straffe Taktung den Spannungsbogen halten kann, nicht wirklich klar. Rupprecht arbeitet mit hübsch komponierten Live-Videosequenzen und setzt auch einen Live-Musiker auf die Bühne, der das Geschehen am Klavier und an der E-Gitarre sphärisch untermalt.
Dorothee Hartinger verströmt als gebrochene, aber im Moment des Todes versöhnliche Ex-Alkoholikerin die Energie des allerletzten Moments, Marie-Luise Stockinger, Max Gindorff und Maresi Riegner unterhalten als ziemlich schräge Kinderschar mit jeweils einem unübersehbaren Tick. Herrlich legt Norman Hacker die Rolle des untreuen Ehemanns an, der sich vor seinen Geliebten (exaltiert: Dunja Sowinetz und Stefanie Dvorak) zum Affen macht. Bardo Böhlefeld, Sebastian Klein und Philipp Hauß sind jene Partner, die mit Christines und Bernards Kindern mal mehr, mal weniger liebevoll zurecht kommen müssen.
Wie sehr eine Mutter selbst im Moment ihres Todes noch das Wohl ihrer Kinder im Sinn hat, bringt Stephens liebevoll auf den Punkt. Trotz der traurigen Umstände vermag er es, mithilfe wohldosierter Situationskomik zum Lachen zu bringen, ohne das Nachdenken hintanzustellen. Ganz zum Schluss holt Rupprecht dann noch das Universum ins Akademietheater. Und das Publikum setzt die 3D-Brille auf die bemaskte Nase. Lang anhaltender, herzlicher Applaus.
(S E R V I C E - "Am Ende Licht" von Simon Stephens im Akademietheater, Regie: Lilja Rupprecht, mit Dorothee Hartinger, Norman Hacker, Marie-Luise Stockinger, Maresi Riegner, Max Gindorff, Philipp Hauss, Bardo Böhlefeld, Sebastian Klein, Dunja Sowinetz, Stefanie Dworak und Philipp Rohmer. Bühne: Holger Pohl, Kostüme: Annelies Vanlaere. Weitere Termine am 26. Februar, 5., 12., 15. und 17. März. Infos und Tickets unter Tel. (01) 51444 4545 oder www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Das Gesicht spielt bei Lilja Rupprechts Inszenierung von Simon Stephens' "Am Ende Licht" eine große Rolle - nicht nur auf der Bühne.
- Schon vor Beginn der österreichischen Erstaufführung des Stücks des britischen Autors am Donnerstagabend verteilt der Publikumsdienst 3D-Brillen an die Premierengäste, die im Laufe des Abends noch zum Einsatz kommen werden.
- "Ich wollte einmal ein Stück schreiben, das sich um diesen einzigen Moment kristallisiert."