Retro: Volksoper hat ihre alte "Fledermaus" sanft aufpoliert
Die "Neueinstudierung" der Strauß-Operette, des meistgespielten Werks der Volksoper Wien, ist Teil des Eröffnungs-Stakkatos der neuen Direktion. Umstürzlerisches war für die gestrige Premiere nicht zu erwarten. Denn das Haus bietet neuerdings auf der Website seinem Publikum schon vorab eine "Orientierung mit Augenzwinkern" und kategorisiert diese Aufpolierung ihres "Familiensilbers" mit den Labels "Wie's g'hört" ("'Regietheater' ist hier Fehlanzeige."), "Oldies but Goldies" und "Zum Tränen Lachen". Klare Botschaft: Die Revolution findet anderswo statt.
Aber in Wien gehen die Uhren ohnedies anders. Während die Staatsoper krankheitsbedingt statt mit einer Wiederaufnahme einer aus 1999 stammenden "La Juive"-Produktion mit umjubelten Vorstellungen der aus 1963 stammenden Zeffirelli-Inszenierung von "La Bohème" startete, setzt die Volksoper bei der "Fledermaus" weiter auf Robert Herzls Inszenierung aus dem Jahr 1993. Nicht nur die Dekoration von Pantelis Dessyllas, auch das Familiensilber hat also ordentlich Patina angesetzt. Die für Neueinstudierung und Frosch-Rolle vorgesehene Maria Happel musste allerdings absagen. Ensemblemitglied Carsten Süss, auf der antiquierten Bühne als Eisenstein routiniertes Zentrum der nächtlichen Turbulenzen zwischen Wohnung, Fest und Gefängnis, sprang als Regisseur für die Proben ein.
Durchaus erfolgreich bemüht sich Alexander Joel am Pult um frische, forcierte Klänge aus dem Orchestergraben. Dass der erste Akt weiterhin gefühlt im Paläozoikum angesiedelt ist, dafür kann er am wenigsten. Immerhin sorgen Daniel Schmutzhard als die Rache der Fledermaus einfädelnder Falke und Ensemble-Neuzugang Hedwig Ritter als Adele mit starken stimmlichen Argumenten dafür, dass sich das Fremdschämen im Rahmen hält. Mehr ironische Distanz zum eigenen Tun erhält der über dreistündige Abend erst im zweiten Akt im Palais von Prinz Orlofsky, den Annelie Sophie Müller als genderfluiden Geheimnisvollen anlegt, und im Gefängnisakt, in dem Marco Di Sapia als Direktor Frank seine komischen Talente ausleben darf. Vor allem aber zeigen Julia Edtmeier, die Prinzipalin des kleinen, auf frechen Boulevard und schräge Klassiker-Neubearbeitungen spezialisierten Bronski und Grünberg Theaters, als Adeles Schwester Ida und Sigrid Hauser als mehr gschnappiger denn giftiger Frosch, wohin die Reise eigentlich hätte gehen können.
Hauser hat auch selbst für neue, griffige Frosch-Texte gesorgt, in denen der "alte, weiße Mann" nicht gut wegkommt. Dabei verweist sie auch auf ihre eigene berufliche Karriere: Auf einem Amt sei sie auf einen Mag. Schmid gestoßen, der ihr mit einigen Kurznachrichten gleich unter die Arme gegriffen habe. "Er hat gesagt, ich komm' in den Aufsichtsrat." Der Rat ist verloren gegangen, geworden ist es bloß die Aufsicht, die sie nun im Gefängnis hat. Doch auch am Gürtel bleibt die Zeit nicht stehen - wenngleich hier, Hausers Abreißen des Wandkalenders beweist es, auf den 31. Dezember der 32. folgt. Die "Fledermaus" darf jedenfalls weiter flattern. Und wenn uns ihr Flügelschlag schon etwas träge vorkommt? Auch dafür hat man hier eine gute Ausrede parat: "Der Champagner war an allem schuld."
(S E R V I C E - "Die Fledermaus" von Johann Strauß, Nächste Aufführungen an der Volksoper Wien: 28.9., 6.10., 10., 23.11., www.volksoper.at)
Zusammenfassung
- Lieselotte Frosch, schnippisches Sicherheitswacheorgan im fidelen Gürtel-Gefängnis, konstatiert: "In letzter Zeit is do de Beer los!"
- Sigrid Hauser ist der erste weibliche "Fledermaus"-Frosch in der Geschichte der Volksoper.
- Dass der erste Akt weiterhin gefühlt im Paläozoikum angesiedelt ist, dafür kann er am wenigsten.
- Hauser hat auch selbst für neue, griffige Frosch-Texte gesorgt, in denen der "alte, weiße Mann" nicht gut wegkommt.