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Idles-Sänger Talbot: "Es ist der beste Job der Welt"

Seit ihr Debüt "Brutalism" 2017 erschienen ist, hat die britische Rockband Idles eine steile Karriere hingelegt. Alben im Jahrestakt, ausverkaufte Shows, intensive Darbietungen: Die Gruppe um den charismatischen Sänger Joe Talbot konnte sich mit ihrer sozialkritischen Ader bei Fans wie Kritikern gleichermaßen einen Platz im Herzen sichern. Vor ihrem Auftritt in der Wiener Arena Mittwochabend sprach Talbot mit der APA über Regeln, Ehrlichkeit und das alltägliche Chaos.

APA: Sie haben eine Bilderbuchkarriere hingelegt und dabei viele Regeln des Musikbusiness gebrochen. Wie sehen Sie die Position Ihrer Band aktuell?

Joe Talbot: Es ist eine glückliche Position. Wir haben die richtigen Türen geöffnet und die richtigen Türen geschlossen. Wir spielen durchaus nach Regeln, aber wir spielen sie mit Liebe und Dankbarkeit und mit harter, harter Arbeit. Wir kommen früh, wir versuchen uns an die Namen der Leute zu erinnern, und wir wissen, wie wichtig und verdammt wunderbar unser Publikum ist. Wir spüren diese Loyalität. Wir haben gewartet, wir haben nichts überstürzt, sind nicht in Panik geraten. Wir haben sehr lange live gespielt, bevor wir unsere erste Platte gemacht haben. Und wir haben sehr lange geübt, bevor wir das erste Mal live gespielt haben. Ich weiß, dass ich nicht der beste Sänger bin. Aber ich bin der beste Cheerleader auf dem Planeten. Wer das nicht glaubt, hat uns noch nie live gesehen.

APA: Wie sehen Ihre Regeln aus?

Talbot: Kreatives Denken bedeutet immer auch Problemlösung. Je erfolgreicher du wirst, je größer die Venues werden, umso mehr Problemen siehst du dich ausgesetzt. Das sind Parameter, nach denen du dich richten musst. Um kreativ zu sein, brauchst du ein Gefühl für Pragmatismus, aber auch für Freiheit. Die wirkliche Herausforderung liegt genau in der Mitte. Wir feiern, dass wir die Underdogs sind und dass wir eine Noiserockband sind, der Hip-Hop und Techno gefällt. Wir sind fünf weiße Typen mit Gitarren, davon gibt es viele. Aber das verstehen wir, und wir sind dankbar, dass die Leute das durchschauen. All diese Parameter sind dazu da, besser zu werden. Ohne Wände könnte man auch nicht klettern.

APA: In der Musik wie in der Kunst generell spielt immer auch Authentizität eine Rolle. Ihre Texte sind sehr persönlich, gleichzeitig für viele nachvollziehbar. Welchen Zugang haben Sie zu diesem Thema?

Talbot: Jeder Künstler aus jeder Generation strebt nach Authentizität. Sie erscheint aber in unterschiedlichen Formen. Die Leute haben beispielsweise Kurt Cobain und Nirvana als etwas gesehen, das der Suche nach Wahrheit entspricht. Oder davor die Pixies oder Punk oder den Hip-Hop in den frühen 1990ern. Aber als Performer wählst du entweder die Method-Acting-Schiene oder bist ein Charakterdarsteller. Method Acting wird von vielen als zutiefst emotional und transparent angesehen - aber es ist letztlich trotzdem eine Performance. Andererseits kannst du ein Charakterdarsteller wie David Bowie, Prince oder Madonna sein und dennoch authentisch bleiben. Manchmal musst du, um Unsicherheiten zu kaschieren, eine Maske aufsetzen - oder längere Wimpern auftragen. Alle Künstler, egal in welchem Medium sie tätig sind, wollen sich als Teil des Universums fühlen. Also legen sie sich selbst in ihre Kunst, ihre Wünsche, Bedürfnisse und Ängste. Aber wenn du auf einer Bühne stehst und nicht authentisch bist, dann merken das die Menschen. Du kannst das nicht verstecken. Wenn du voller Scheiße bist, kommt das raus!

APA: Wie wählen Sie aus, was in einen Song kommt und was zu intim ist?

Talbot: Ich schreibe ehrlich, werde aber poetischer. Einfach weil ich mich verändern und weiterentwickeln will. Ich schreibe immer noch über Schmerz, Liebe und Verlust, aber ich fordere mich die ganze Zeit heraus. Wer interessiert bleibt, bleibt auch interessant. Und wer gelangweilt ist, wird langweilig. Also bleibe ich interessiert. Das bedeutet für mich kreative Entwicklung. Ich kümmere mich nicht darum, was die Leute von mir erwarten. Es ist meine Entscheidung. Wenn es dir nicht gefällt, dann kauf die Platte eben nicht. Und wenn schon: Dann kauf verdammt nochmal die Platte! (lacht)

APA: Seit 2017 hat Ihre Band beinahe jedes Jahr eine Platte veröffentlicht. Wie halten Sie dieses Tempo durch?

Talbot: Weil ich es liebe! Es ist der beste Job in der Welt. Ich gehe heute Abend da raus und sehe 3.000 fremde Gesichter. Und sie geben uns das Gefühl, Teil von etwas zu sein, das viel größer ist als wir selbst. Deshalb habe ich diese Band gegründet. Dieses Gefühl vermittelt mir eine Sicherheit, die ich früher nicht hatte. Andererseits kann ich diesen Menschen Stärke vermitteln durch unsere Musik, sie ist die Verbindung zum Universum. Es gibt kein besseres Gefühl. Ich sterbe glücklich, ganz egal, was passiert.

APA: Ihre Shows sind ein Drahtseilakt zwischen Präzision und Chaos. Wie halten Sie die Balance?

Talbot: Das kommt vom Üben. Du übst bestimmt 10.000 Stunden, bis diese Maschine reibungslos und wie von selbst läuft. Dann kannst du die Maschine vergessen und wirklich du selbst sein auf der Bühne. Wenn du zu viel denkst, hast du schon verloren. Ich will mich nicht ablenken lassen von einem Licht oder jemandes T-Shirt. Da oben will ich nicht denken, da muss ich fühlen! Es herrscht zwar Chaos, aber für uns ist es letztlich Freiheit. Jemanden zu sehen, der tanzt, als ob ihm niemand zuschaut, ist eine wunderschöne Sache, die dich immer zum Lächeln bringen wird. Ganz egal, wie gut oder schlecht der Tag war.

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

(S E R V I C E - www.idlesband.com)

ribbon Zusammenfassung
  • Seit ihr Debüt "Brutalism" 2017 erschienen ist, hat die britische Rockband Idles eine steile Karriere hingelegt.
  • Vor ihrem Auftritt in der Wiener Arena Mittwochabend sprach Talbot mit der APA über Regeln, Ehrlichkeit und das alltägliche Chaos.