APA/herwig g. hoeller

Seltene Aufführung von Schwerelosigkeitsstück in Slowenien

Heute, 07:46 · Lesedauer 3 min

Knapp 400 Personen sind am Ostersonntag in das Dorf Vitanje in Slowenien gepilgert, um ein dem Raumfahrtvisionär Hermann Potočnik Noordung gewidmetes Schauspielritual zu sehen: In Rahmen eines 1995 begonnenen und auf 50 Jahre ausgelegten Projekts, das nach ursprünglichen Plänen 2045 in der Erdumlaufbahn enden soll, zeigt der slowenische Theateravantgardist Dragan Živadinov mit identischer Besetzung alle zehn Jahre ein einziges Mal die Inszenierung "Noordung 1995-2045".

Das der Produktion zugrunde liegende Theaterstück "Liebe und Staat" des kroatischen Dramatikers Vladimir Stojsavljević, das von Intrigen im Schauspielermilieu des elisabethanischen England handelt, könnte dabei durchaus wie klassisches Sprechtheater auf die Bühne gebracht werden. Beim Regisseur Živadinov ist dies jedoch ganz und gar nicht der Fall: Der 1960 geborene Mitbegründer des legendären Kollektivs Neue Slowenische Kunst hat nicht nur ein Faible für klassische Avantgarde, sondern auch für Fragen der Schwerelosigkeit. Letzteres resultiert insbesondere auch aus seiner Beschäftigung mit dem slowenischstämmigen, 1929 in Wien verstorbenen Ingenieur Potočnik alias Noordung, dessen Buch "Das Problem der Befahrung des Weltraums. Der Raketen-Motor" maßgeblich die Entwicklung der Raumfahrt mitbeeinflusst hat.

Zweite Aufführung in Weltraumkulturzentrum in slowenischem Dorf

Nach der Uraufführung am 20. April 1995 im Mladinsko Theater war das Stück nur zwei weitere Male gezeigt worden - 2005 praktisch ohne Zuseher in einem Kosmonautentrainingsbecken außerhalb von Moskau und 2015 im 2.000-Einwohner-Dorf Vitanje, wo 2012 ein ebenso von Živadinov initiiertes und in Form einer Raumstation errichtetes Weltraumkulturzentrum eröffnet worden war. In Vitanje, ehemals das untersteirische Weitenstein, war ein Großvater von Potočnik im 19. Jahrhundert Bürgermeister gewesen.

Neben konstruktivistischen Bühnenelementen, die von Videoprojektionen zur Raumfahrtsthematik und Bewegungen à la Biomechanik des sowjetischen Theateravantgardisten Wsewolod Meyerhold reichen, verfügt Živadinovs Inszenierung über ein einzigartiges Merkmal: Der Regisseur arbeitet mit der ursprünglichen Besetzung von 1995 - verstorbene Darstellerinnen und Darsteller werden durch futuristisch designte Platzhalter ersetzt. Laut einer ursprünglichen und in Bezug auf die Lebenserwartung seines prominenten Ensembles durchaus pessimistischen Konzeption sollte dies das Stück 2045 derart in eine völlige Abstraktion verwandeln und die avantgardistischen Platzhalter abschließend in die Schwerelosigkeit befördert werden. Freilich müsste für dieses Finale in 20 Jahren noch ein Raumflug finanziert werden.

Drohnen für verstorbene Schauspielerinnen

2025 bedingte die Vergänglichkeit des Menschen und sein Altern auch einen der wichtigsten Unterschiede zur letzten Aufführung des Stücks vor genau zehn Jahren: War seinerzeit nur eine Darstellerin, die 2011 verstorbene Milena Grm, durch eine Abstraktion ersetzt worden, fehlte nunmehr auch die 2017 verstorbene Iva Zupančič. Ihre beiden Platzhalter hoben am Sonntag mit Drohnen ab und schwebten eine Zeit lang über der Bühne im Noordung-Zentrum.

Eine weitere Darstellerin war durch einen lebensnotwendigen Krankenhausaufenthalt entschuldigt, Živadinovs langjähriger Lieblingsschauspieler Marko Mlačnik kann sich mittlerweile nur noch im Rollstuhl bewegen und ist ein verbleichender Schatten seiner selbst. Mlačniks Rolle als William Shakespeare wurde deshalb reduziert und an das Ende des nur knapp einstündigen Spektakels gesetzt. Aber auch bei anderen Darstellern blieb am Sonntag offen, ob sie Altern nur gekonnt spielen oder ob begrenzte körperliche Möglichkeiten bereits Tribut fordern.

Überlegungen für nächste Aufführung im Jahr 2035

In dem bis auf den letzten Stehplatz völlig belegten Weltraumkulturzentrum wurde die dritte Reprise von "Noordung 1995-2045" begeistert aufgenommen, besonderen Applaus gab es für die Performance der Darsteller, insbesondere auch für Mlačnik, dessen Teilnahme noch wenige Tage vor der Aufführung als sehr unsicher gegolten hatte. Für die vorletzte Aufführung des Stücks im Jahr 2035 laufen bereits Überlegungen - dem Vernehmen nach denkt Regisseur Živadinov über Istanbul als Ort nach.

(Von Herwig G. Höller/APA)

Zusammenfassung
  • Knapp 400 Besucher pilgerten am Ostersonntag in das slowenische Dorf Vitanje, um die seltene Aufführung 'Noordung 1995-2045' zu sehen, die alle zehn Jahre von Dragan Živadinov inszeniert wird.
  • Das Projekt, das 1995 begann und 2045 in der Erdumlaufbahn enden soll, verwendet futuristische Platzhalter für verstorbene Schauspieler, die mit Drohnen über die Bühne schweben.
  • Die dritte Aufführung im Weltraumkulturzentrum Vitanje wurde begeistert aufgenommen, und es gibt bereits Überlegungen, die nächste Aufführung 2035 in Istanbul stattfinden zu lassen.