APA/Filip Van Roe

Cherkaoui bei ImPulsTanz mit "3S" im intensiven Krisenmodus

Drei Soli, von aus drei Weltregionen stammenden Tänzern, die in diesen Regionen beheimatete Krisen thematisieren und der Einsamkeit in der Verbundenheit mit der Welt nachgehen: Mit "3S" zeigte der Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui Samstagabend im Rahmen von ImPulsTanz im Volkstheater ein hochintensives Stück, wobei auch das dicht gepackte Konglomerat aus Tanz, Gesang, Bewegtbild, Live-Video und -Musik das Seine dazu beiträgt. Am Ende: ein Appell zum Handeln - und Jubel.

Eine etwa fünfminütige Sequenz von Bewegtbildern eröffnet den Abend, darunter Aufnahmen von Wellen, Gewitter, EKG-Aufzeichnung, roten Blutkörperchen, atomarer Zerstörung, Strahlungsmessgeräten, Neugeborenen, tanzenden Paaren. Zu hören sind etwa musikalische Laute, ein EKG-Signal, ein Countdown. Dann kommt der aus Japan stammende Tänzer Kazutomi "Tsuki" Kozuki auf die Bühne, zunächst gekleidet in Anzug und an einem Schreibtisch Platz nehmend. In einem vorgelesenen Text des Autors Akutagawa Ryunosuke geht dieser - auf durchaus humoristische Weise - der Frage nach, wie man Suizid begehen kann (ihn beging er 1927). Dazu die veranschaulichenden Bewegungen des Tänzers (der später auch noch singt), die ihn alsbald vom Tisch wegbringen, vom Komischen unaufhaltsam ins Unheilvolle wechseln lassen.

Kazutomi wird in Folge über die traumatischen Folgen der US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki reflektieren. Er wankt als Verzweifelter, der sich mit dem Tod befasst, er schlüpft in die Rolle eines Reaktormitarbeiters, dann in jene eines Zeitzeugen der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011.

Über die kolumbianischen Guerilla-Kämpfer, die mit Schusswaffen und auch unter Einsatz von Kindern kämpfen, geht es in dem folgenden Solo des in Bogota geborene Tänzers Jean Michel Sinisterra Munoz, der dabei auch Bezüge zum Syrienkrieg aufstellt sowie Fluchtversuche und US-Migrationspolitik streift. Er nimmt ebenfalls verschiedene Rollen an, wechselt Perspektiven, in jene des Täters, des Opfers, auch wenn hier die Grenzen schnell einmal verschwimmen. Es sind starke Momente, bewegende Erzählungen - und am Ende der Tod.

Die neuseeländische Tänzerin Christina Guieb (die in Wien die Australierin Nicola Leahey vertritt) bringt mit ihren fließenden, weichen Bewegungen ein wenig Ruhe auf die Bühne - auch wenn das Leitthema, die Ausbeutung der australischen Natur, insbesondere Urwälder, durch Industriekonzerne - nichtsdestoweniger packend ist. Die gesprochenen Worte stammen dabei von der indigenen Umwelt- und Anti-Fracking-Aktivistin sowie Slam-Poetin Alice Eather. Sie, die im Alter von nur 28 Jahren Suizid beging, spricht in einer abgespielten Videoaufnahme im Hintergrund.

Dann ist da noch der traurig, tiefgründig anmutende Gesang der tunesisch-belgischen Künstlerin Ghalia Benali, der Italienerin Patrizia Bovi (auch an der Harfe) und der Japanerin Tsubasa Hori (u.a. Klavier), die die Soli immer wieder begleiten und damit auch verbinden. Im Hintergrund rauschen zeitgleich die Bewegtbilder der Filmemacherin Sabine Groenewegen über die Projektionsfläche, mit beklemmender Symbolkraft für Zerstörung, Gefahr, Unterdrückung, aber auch mit Ausdruck für Schönheit, Leben, ein steter Fluss von dokumentarischem Material und vereinzelt Gesprächsaufnahmen. Ergänzt um die Übersetzungen (im japanischen Teil unabdingbar) findet viel gleichzeitig auf der Bühne statt. Es fällt mitunter schwer zu entscheiden, wo man den Blick hinlenken soll. Aber das dient wohl nicht zuletzt der inhaltlich verkörperten Ohnmacht oder Überforderung angesichts der Krise(n).

Und immer wieder stellen sich Momente der stillen Nähe ein, wenn die Live-Kamera übernimmt und die Tanzenden heranzoomt, um das einsame Ich in Ausdruck und Bewegung festzuhalten. Es sind kurze Auszeiten vor dem mitnehmenden Rausch, den Erzählungen folgen zu wollen und Zusammenhänge herzustellen, die sich nicht immer gleich erschließen.

Sidi Larbi Cherkaoui, Belgier mit marokkanischen und flämischen Wurzeln und u.a. Leiter der Kompanie Eastman in Antwerpen, der mit seinen Stücken auch immer wieder am Festspielhaus in St. Pölten vertreten war und dort im Jänner 2025 mit "Ihsane (à moi)" und dem Ballett du Grand Théâtre de Genève gastiert, seziert mit "3S" die Wucht von Krisen. Das Stück entstand zu Zeiten der Corona-Pandemie in engem Austausch mit den Tänzern. Es geht - im Kontrast zu seinem früheren Stück "4D" (angelegt als vier Duette und rund um die Beziehungen von Menschen) - nicht um das Miteinander, sondern um den Menschen und seine enge Beziehung zur Welt.

Bei der geballten Ladung an Krise bleibt neben der kraftvollen Performance auch der mehrfach wiederholte Satz von Alice Eather hängen: "My story is your story" - und am Ende: "Turn it into a good thing and fight", also ein Appell, zu handeln. Man kann nicht anders als hoffen, dass das gelingt.

(Von Lena Yadlapalli/APA)

(S E R V I C E - ImPulsTanz: Sidi Larbi Cherkaoui / Eastman, "3S", Konzept, Regie und Choreografie: Sidi Larbi Cherkaoui. Performance: Kazutomi "Tsuki" Kozuki, Jean Michel Sinisterra Munoz und Christina Guieb. Bewegtbild: Sabine Groenewegen. Komposition: Ghalia Benali, Patrizia Bovi, Sidi Larbi Cherkaoui, Karsten Fundal und Tsubasa Hori. Live-Musik: Ghalia Benali, Patrizia Bovi, Tsubasa Hori und Kazutomi "Tsuki" Kozuki. Live-Kamera: Shawn Fitzgerald Ahern. Text: Akutagawa Ryunosuke, Arwa Damon (CNN) und Alice Eather. Licht: Krispijn Schuyesmans. Kostüme: Veerle Van den Wouwer. Beleuchtung: Krispijn Schuyesmans. Video: Maxime Guislain. Volkstheater, Arthur-Schnitzler-Platz 1 1070 Wien. Weiterer Termin am 22.7. um 21.00 Uhr; Infos und Tickets unter www.impulstanz.com)

ribbon Zusammenfassung
  • Drei Tänzer aus Japan, Kolumbien und Neuseeland thematisieren in '3S' von Sidi Larbi Cherkaoui Krisen in ihren Heimatregionen.
  • Kazutomi 'Tsuki' Kozuki reflektiert die traumatischen Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki sowie die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011.
  • Jean Michel Sinisterra Munoz thematisiert den Guerillakrieg in Kolumbien, den Syrienkrieg und die US-Migrationspolitik.
  • Christina Guieb behandelt die Ausbeutung der australischen Natur durch Industriekonzerne.
  • Das Stück kombiniert Tanz, Gesang, Bewegtbild, Live-Video und -Musik und endet mit einem Appell zum Handeln.