Probleme bei Gutachten bei PVA/ÖGK, Ruf nach Fortbildung
Es brauche eine "gute soziale Absicherung, dazu braucht es sehr kompetente Gutachterinnen und Gutachter", sagte im APA-Gespräch Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der nun beratend im Beirat der We&Me-Stiftung tätig ist. Die von der Wiener Bäckerei-Familie Ströck gegründete Initiative hat sich der Erforschung der schweren Multisystemerkrankung ME/CFS verschrieben, die als Folge von Infektionen auftreten kann und auch als schwerste Form von Post Covid gilt - zwei der Söhne der Familie Ströck sind schon lange von der Erkrankung betroffen.
Die Gutachter seien "ziemlich gefordert" und es gebe derzeit "sehr unterschiedliche Situationen" - von Gutachtern, die sich in die Thematik bereits gut eingearbeitet haben bis hin zu groben Problemen, stellte Anschober fest: "Nach Schilderung von Betroffenen gibt es Situationen, die nicht haltbar sind", verwies der Ex-Politiker auf oftmalige Berichte von Patienten, denen etwa trotz schwerer Symptomatik bis hin zur schweren körperlichen Belastungs-Erholungsstörung PEM (Post-Exertional Malaise) teils Arbeitsfähigkeit attestiert wird.
Wie auch ÖG ME/CFS-Obmann Kevin Thonhofer und die Ärztin und ME/CFS-Spezialistin Kathryn Hoffmann von der MedUni Wien betonte Anschober die Notwendigkeit einer besseren und umfassenderen Aus- und Fortbildung der Ärzteschaft - und damit auch der als Gutachter tätigen Ärztinnen und Ärzte. Gleichzeitig verwies Anschober darauf, dass es bereits jetzt Angebote zur Fortbildung gebe. "Wir sind mitten im Prozess drinnen. Wichtig ist, dass wir Tempo machen und eine Flächendeckung erreichen." Das gelte auch für die medizinische Betreuung der Erkrankten, forderte Anschober einmal mehr spezialisierte Anlaufstellen - und zwar in allen Bundesländern.
Nahezu wortgleich äußerte sich We&Me-Vorständin Gabriele Ströck Sie wies ebenfalls im APA-Gespräch auf die Notwendigkeit von verbesserter Ausbildung, aber auch auf flächendeckende spezialisierte Anlaufstellen hin. Ströck sieht zudem ein gesamtgesellschaftliches Problem: "Man spricht nicht über postinfektiöse Erkrankungen", die Betroffenen würden stigmatisiert, nur wenige Spezialisten würden sich in Österreich mit dem Thema auseinandersetzen.
Dabei gebe es bereits jetzt entsprechende Fortbildungs-Angebote, unterstrich die Expertin für postvirale Erkrankungen Kathryn Hoffmann, die auch Leiterin der Abteilung für Primary Care der MedUni Wien ist. Sie verwies auf eine entsprechende Vorlesung und Online-Seminare an der MedUni Wien. Darüber hinaus bietet Hoffmanns Abteilung in Kooperation mit der ÖG ME/CFS, der We&Me und dem Wiener Neurologen und ME/CFS-Spezialisten Michael Stingl regelmäßig kostenlose Fortbildungs-Webinare an (abrufbar unter https://go.apa.at/R7wSHKkf), bei denen auch internationale Experten referieren. Über die Webseite der ÖG ME/CFS kann man diese - und weitere - Fortbildungsangebote ebenfalls abrufen (https://mecfs.at/aerztinnen/#on-demand-fortbildungen), Ärzte und Ärztinnen können Fortbildungspunkte für die Teilnahme lukrieren. Auch an der MedUni Graz gibt es seit kurzem ein spezielles Seminar zum Thema ME/CFS, erinnerte Hoffmann.
Thonhofer betonte gegenüber der APA, dass die Frage der Gutachten nicht nur bei der PVA und bei der chefärztlichen Begutachtung von Bedeutung sei, sondern auch für die Feststellung des Grads der Behinderung, die durch das Sozialministeriumsservice stattfindet. In der sogenannten "Einschätzungsverordnung", die die Basis für diese Feststellungen liefert, wird ME/CFS aber gar nicht als Behinderungsgrund aufgelistet, so der selbst betroffene Patientenvertreter. Die ÖG ME/CFS habe deshalb bereits ein Ansuchen auf Änderung an das Gesundheitsministerium gestellt, bisher ohne Erfolg.
Hoffmann kann sich betreffend der Fortbildungen - die in Österreich derzeit auf rein freiwilliger Basis erfolgen - in bestimmten Fällen auch eine Verpflichtung vorstellen. Man stehe vor dem Problem, dass eine Krankheit begutachtet wird, "die nie bzw. nie ausführlich und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft in der Aus- oder Weiterbildung vorgekommen ist", so die Expertin. "Das ist etwas anderes als wenn man jemanden wegen Diabetes oder chronischen Rückenschmerzen begutachtet." Darüber hinaus gebe es veraltete Lehrbücher, in denen ME/CFS noch falsch und ohne medizinische Begründung als psychiatrische Erkrankung eingeordnet würde - das sei schlicht veraltet und nicht mehr gültig. "Gerade bei Gutachtern ist es meiner Meinung nach extrem wichtig, dass diese jetzt dieses aktuelle Wissen nachholen müssen."
Insbesondere bei (neuen) Krankheiten wie Post Covid oder Krankheiten wie ME/CFS, die in der Ausbildung bisher nicht oder nicht korrekt vorkamen, sehe sie es durchaus als eine "ethische und moralische Pflicht" für Ärztinnen und Ärzte sowie Gutachterinnen und Gutachter, auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft zu sein.
Anschober verwies auf die hohe Zahl an ME/CFS-Betroffenen - Schätzungen gehen von rund 80.000 Betroffenen alleine in Österreich aus. "Nachdem die Pandemie formal teils, aber gesundheitlich nicht vorbei ist und zusätzlich Menschen erkranken werden", werde es auch zu weiteren Fällen an ME/CFS kommen, so Anschober. "Solange wir Prävention so wenig in den Fokus stellen, wird sich die Zahl der Betroffenen weiter erhöhen" - wenn auch in unterschiedlichen Schweregraden.
Auf das Präventionsthema verwies auch We&Me-Vorständin Ströck, damit müsse man sich auseinandersetzen und ebenfalls damit, dass die Zahl der Folgeschäden ansteigen wird: "Es werden jedes Mal (nach jeder Welle, Anm.) ein paar Prozent übrigbleiben, die Langzeitfolgen haben, die bis zur Bettlägrigkeit führen kann."
Seitens der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) zeigte man sich am Mittwoch am Rande einer Pressekonferenz zurückhaltend: "Diese Anschuldigungen, dass es einige (Gutachter, Anm.) gibt, die keine Ahnung von Post Covid haben, das hören wir schon seit Covid aufgekommen ist", sagte dazu der ÖÄK-Vizepräsident und Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, Edgar Wutscher. Man müsse "differenzieren", meinte er. Er müsse "eine Lanze brechen für unsere Gutachter", diese würden das gut machen. Gerade Covid und Post-Covid sei "ein Krankheitsbild, das extrem schwierig zu beurteilen ist", sagte er.
Auch äußerte er Unverständnis für die Kritik: Manche Patienten und Patientinnen würden "mit einer Erwartungshaltung daherkommen, dass ihnen ohne jeglichem Hintergrund in allen Dingen Recht gegeben wird", sagte er. Gleichzeitig betonte er die Komplexität: Gerade im Post-Covid-Bereich, "nicht nur in der Begutachtung, sondern in der langfristigen Behandlung, das ist ein Lernprozess, da müssen wir als Ärzte wirklich aufpassen, da müssen wir die Leute begleiten und betreuen - und nicht sagen, 'dieses und jenes Symptom kann es nicht geben'".
(S E R V I C E - Informationen zu Diagnose und Behandlung: D-A-CH Konsensus-Statement abrufbar unter: https://go.apa.at/x1pM5aw8; Praxisleitfaden "Care for ME/CFS": https://go.apa.at/YbAe2YSb S1-Leitlinie zu postviralen Zuständen: https://go.apa.at/yfiyICVB, dazugehöriges "Webtool": https://go.apa.at/mq1Y7gox)
Zusammenfassung
- Die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS und die We&Me-Stiftung machen auf Probleme bei der sozialen Absicherung von Post Covid- und ME/CFS-Patienten aufmerksam.
- Rudolf Anschober fordert verstärkte Fortbildung für Gutachter, um fehlerhafte Gutachten zu vermeiden.
- Es gibt bereits Fortbildungsangebote, darunter kostenlose Webinare und Vorlesungen an der MedUni Wien.
- ME/CFS wird in der Einschätzungsverordnung des Sozialministeriums nicht als Behinderungsgrund aufgeführt.
- Schätzungen zufolge gibt es rund 80.000 ME/CFS-Betroffene in Österreich.