USA verloren vor 50 Jahren in Vietnam
Bereits seit Wochen wird die Metropole mit Plakaten, Schildern und Leuchttafeln gepflastert, die die Wiedervereinigung des Landes und den Frieden feiern. Vor dem Wiedervereinigungspalast - einem der Wahrzeichen der Stadt - werden in diesen Tagen aufwendig Besuchertribünen aufgebaut. Denn hier soll am Jahrestag eine riesige Militärparade mit 13.000 Teilnehmern und großer Flugshow stattfinden.
Heute ist das Land eine der Wachstumsmaschinen in Südostasien. Die "Preußen Asiens" nennt man die Vietnamesen wegen ihrer Arbeitsmoral. Im Vietnamkrieg lehrten sie die Amerikaner das Fürchten. Und siegten. Vietnams Kampf um die Selbstbestimmung war blutig.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts machen sich die französischen Kolonialherren in Vietnam breit. In den 1940er-Jahren formiert sich die Befreiungsbewegung Vietminh aus Kommunisten und Nationalisten unter Anführer Ho Chi Minh. Die Franzosen ziehen 1954 nach der Niederlage in der Schlacht von Dien Bien Phu ab. Das Land wird entlang des 17. Breitengrades geteilt. Die Kommunisten herrschen nur im Norden.
Vertragen sich die Bruderstaaten?
Nein, Vietnam wird zum Schauplatz des Kalten Krieges. Der Norden wird von der Sowjetunion und China unterstützt, der Süden von den USA. 1960 startet die kommunistische Guerilla-Bewegung Vietcong den bewaffneten Widerstand im Süden. 1961 schreibt US-Vize-Präsident Lyndon B. Johnson: "Der Kampf gegen den Kommunismus in Südostasien muss resolut und bestimmt unterstützt werden."
Wann bricht der Vietnamkrieg aus?
Es gibt keine Kriegserklärung. 1961 schickt US-Präsident John F. Kennedy 2.000 Militärberater nach Südvietnam. 1965 startet Johnson die Operation "Rollender Donner". Die USA setzen mehr Bomben ein, als im Zweiten Weltkrieg über Deutschland, Italien und Japan abgeworfen wurden. 1968 sind 500.000 US-Soldaten im Land.
Sind die USA den Nordvietnamesen nicht haushoch überlegen?
Waffentechnisch ja, aber sie sind der Guerilla-Taktik der Vietcong nicht gewachsen. Die Vietcong nutzen nachts Dschungelpfade. Sie transportieren Material durch kilometerlange Tunnel. Sie überfallen südvietnamesische Soldaten mit aus Holz geschnitzten Waffenattrappen. Sie tragen Sandalen aus Autoreifen mit "falscher" Sohle. Der Abdruck legte nahe, dass sie in die entgegengesetzte Richtung gelaufen waren.
Eine schlüssige und umfassende Erklärung, warum die Weltmacht USA damals im Sumpf des Krieges versank, warum die stärkste Armee der Welt von "Barfußkriegern" in die Knie gezwungen wurde, gibt es bis heute nicht. "Ich weigere mich zu glauben, dass eine viertklassige Macht wie Nordvietnam nicht an irgendeinem Punkt aufgeben muss", meinte der damalige US-Außenminister Henry Kissinger damals. Seine Worte sollten stark und überzeugend klingen - im Grunde belegten sie nur seine Ratlosigkeit.
Ironie der Geschichte: Es war ausgerechnet Kissinger, der zwei Jahre vor dem schmachvollen Ende eine Art Friedensvertrag mit Vietnam unterschrieb - und dafür gefeiert wurde. Kissinger und der nordvietnamesische Unterhändler Le Duc Tho bekamen dafür den Friedensnobelpreis zugesprochen. Kissinger nahm ihn an, sein Gegenüber lehnte ab - schließlich sei Friede noch nicht erreicht.
Wer erleidet höhere Verluste?
Auf US-Seite werden 58.000 Soldaten getötet, ebenso 500 australische Soldaten. Die Schätzungen über vietnamesische Opfer unter Kämpfern und Zivilisten liegen zwischen einer und drei Millionen.
Was bewegt die Amerikaner zur Aufgabe?
Der Vietnamkrieg ist der erste Krieg, der durch das neue Medium Fernsehen bis in die Wohnzimmer dringt. Gegen den Horror des Krieges gehen bald Millionen Menschen weltweit auf die Straßen. 1969 wird das Massaker von My Lai bekannt, wo US-Soldaten 1968 Hunderte Dorfbewohner getötet haben. 1972 geht das Foto eines weinenden Mädchens um die Welt, das bei einem US-Angriff schwere Napalm-Verbrennungen erlitten hat.
Wann ist der Krieg zu Ende?
1973 unterzeichnen Nord- und Südvietnam sowie die USA die Pariser Friedensverträge. Der Norden rückt weiter Richtung Süden vor. Am 30. April 1975 fällt die Hauptstadt des Südens, Saigon.
Was sind die Kriegsfolgen?
In Vietnam leiden drei Millionen Menschen an den Spätfolgen, darunter Krebserkrankungen durch Vergiftung mit Entlaubungsmitteln wie Agent Orange. Bis in die 3. Generation kommen Kinder mit Missbildungen auf die Welt. Eineinhalb Millionen Amerikaner waren im Vietnam-Einsatz. Sie werden zu Hause nicht als Helden gefeiert. Ein Drittel leidet unter Stress-Traumata. "Der Krieg hat den Mythos der Unverwundbarkeit durchbohrt", formuliert der TV-Kanal History Channel.
Was bleibt, ist das "Vietnam Syndrom", das Zögern, sich abermals schlecht vorbereitet in militärische Abenteuer zu stürzen. "Wir haben das Vietnam-Syndrom ein für alle Mal verscheucht", jubelte Präsident George Bush Senior nach der Befreiung Kuwaits im Februar 1991 - doch er jubelte zu früh. Die Kriege im Irak und in Afghanistan haben die Furcht vor dem "Mission Creep", dem schleichende Abgleiten in einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist, wieder lebendig werden lassen.
Wie erinnern sich die US-Amerikaner an den Krieg?
Es waren die Bilder, die schockierten. Die Fotos der letzten Hubschrauber, die vom Dach der US-Botschaft in Saigon abhoben. Die Menschen, die sich in irrer Verzweiflung an die Kufen der Helikopter klammerten. Es war die Schmach einer Weltmacht, die vor aller Augen offenbar wurde. Vietnam besiegt Amerika, David bezwingt Goliath. Vor 50 Jahren.
Es war fast surreal, was sich an diesem 30. April 1975 in Saigon abspielte. Der Schock sollte Jahrzehnte andauern - bis heute noch. Fünf Jahrzehnte nach Ende des Vietnamkrieges: Schwarz wie die Nacht und schwarz wie die Trauer erhebt sich das Vietnam Denkmal in Washington in den Himmel. Eine dunkle Wand, die drohend über die Köpfe der Besucher wächst. Die Namen aller 58.000 toten amerikanischen Soldaten sind hier eingraviert. "Boys" wurden die blutjungen Kerle damals genannt, oft waren sie gerade mal 20 Jahre alt, als sie in den Krieg geschickt wurden.
Wie beurteilen Experten den Krieg?
"Unter Historikern herrscht allgemein die Meinung, dass der Krieg ein Fehler war", sagte Prof. Philip Catton von der Ohio University der Deutschen Presse-Agentur. Zwei Lager beherrschten die gegenwärtige Debatte. Einerseits die "Orthodoxen": Sie meinen, dass der Krieg für die USA im Kern nicht zu gewinnen war, ein Krieg gegen Guerillakämpfer, die nichts zu verlieren hatten, gegen ein "bewaffnetes Volk", das mit dem Willen der Verzweifelten gegen die Invasoren kämpften.
Washington habe damals den Krieg allzu sehr als Teil der globalen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus gesehen. Doch der legendäre nordvietnamischer Führer "Ho Chi Minh war mehr ein Nationalist als ein Kommunist gewesen", so Catton.
Anderseits meldeten sich heute die "Revisionisten" zu Wort, die meinen, der Krieg wäre sehr wohl zu gewinnen gewesen. Die USA hätten Nordvietnam nur sehr viel mehr bombardieren, mehr Truppen in die Nachbarländer Kambodscha und Laos schicken müssen.
Wie stehen die USA und Vietnam heute zueinander?
1995 haben sie diplomatische Beziehungen aufgenommen. Für junge Vietnamesen sind die USA das gelobte Land, Zehntausende studieren dort. US-Firmen haben in Vietnam Milliarden investiert. Nach den von US-Präsident Donald Trump verhängten Zöllen in Höhe von 46 Prozent, die jedoch wieder ausgesetzt wurden, verhandeln die beiden Länder derzeit über ein Handelsabkommen.
Zusammenfassung
- Am 30. April 1975 endete der Vietnamkrieg mit der Eroberung Saigons durch nordvietnamesische Truppen, ein Ereignis, das in Vietnam als 'Amerikanischer Krieg' bekannt ist.
- Vietnam feiert den 50. Jahrestag des Kriegsendes mit einer großen Militärparade mit 13.000 Teilnehmern und einer beeindruckenden Flugshow.
- Der Krieg forderte auf US-Seite 58.000 Tote und zwischen einer und drei Millionen vietnamesische Opfer, wobei die USA trotz technischer Überlegenheit der Guerilla-Taktik der Vietcong unterlagen.
- Die Pariser Friedensverträge von 1973 markierten das Ende des Krieges, doch die Folgen sind bis heute spürbar, mit Millionen von Menschen, die unter den Nachwirkungen leiden.
- Heute haben die USA und Vietnam diplomatische Beziehungen aufgenommen, und US-Firmen haben Milliarden in Vietnam investiert.