Karners Weltblick: Was für eine Woche!
Gleichzeitig scheint die fortgesetzte Missachtung der Menschenrechte durch einen Verbündeten Russlands auf immer massivere interne Widerstände zu stoßen und das Land tendenziell zu destabilisieren.
Aber eins nach dem anderen:
Wladimir Putin hat durch die Anordnung einer Mobilmachung faktisch das Scheitern seiner bisherigen Strategie eingestanden. Seine ursprünglich deklarierten Ziele, die "Entnazifizierung" der Ukraine – soll heißen: Einsetzung eines ihm genehmen Regimes in Kiew – und eine "Demilitarisierung" des Nachbarstaates, musste er fallen lassen. Ersteres schon recht früh zu Beginn des Krieges, als klar wurde, dass ein Sturz der ukrainischen Regierung mit den eingesetzten russischen Mitteln nicht möglich war, letzteres spätestens dann, als die ukrainische Gegenoffensive um Charkiv die dort eingesetzten russischen Truppen zur Flucht zwang.
"Retten, was zu retten ist"?
Nun versucht das russische Regime zu retten, was zu retten ist: Weil die bisher eingesetzten Vertragssoldaten nach schrecklichen Verlusten zur Verteidigung der eroberten Gebiete nicht ausreichen, werden im Rahmen einer sogenannten Teilmobilmachung Reservisten einberufen. Gleichzeitig setzte Russland – obwohl eben noch Ähnliches im Oblast Cherson auf Grund der ukrainischen Gegenangriffe auf November verschoben worden war – in vier süd- und ostukrainischen Regionen, inklusive Cherson, sogenannte Referenden über einen Beitritt zur Russischen Föderation an. Das Ziel ist klar: eine Annexion dieser Gebiete durch Russland über Volksabstimmungen zu legitimieren und diese dann durch die, über die Mobilmachung verstärkten, militärischen Kräfte gegen ukrainische Angriffe zu verteidigen.
Erste Erkenntnisse aus beiden Ereignissen offenbaren allerdings erhebliche Schwächen der Umsetzung und lassen daher auch an der Zielerreichung zweifeln.
Dass die "Referenden" unter demokratierechtlich einwandfreien Bedingungen stattfinden würden, hat niemand wirklich erwartet. Hatte man bereits davor viele Russland-kritische Menschen aus diesen Regionen zum Teil deportiert, hat man jetzt die Stimmabgabe klar gepresst bzw. manipuliert. Die Referenden sind völkerrechtlich wertlos. Außer Nordkorea und Syrien wird kein Land die Ergebnisse anerkennen. Sogar China, das sich Russland gegenüber bisher weitgehend neutral verhalten hat, sieht sich nunmehr veranlasst, auf die Notwendigkeit hinzuweisen, die territoriale Unversehrtheit aller Länder zu gewährleisten. Bemerkenswert ist aber vor allem, dass Russland damit supranationale Organisationen ignoriert, auf die es sich ansonsten immer beruft: OSZE-Beobachter waren erst gar nicht eingeladen.
Innenpolitische Desaster
Die "Mobilmachung" verläuft indes nachgerade katastrophal: Offenbar wird schwergewichtsmäßig in Regionen rekrutiert, in denen ethnische bzw. religiöse Minderheiten leben. Dies stößt auf schwere Widerstände und Proteste. Gleichzeitig versuchen offenbar zehntausende junge Russen, eine Einberufung durch Ausreise zu vermeiden. Die Anzeichen, dass den Eingezogenen keine gediegene Auffrischungsausbildung zuteilwird, sondern diese einfach nach sehr kurzer Instruktion als Ergänzung für ausgefallene Soldaten an der Front eingesetzt werden, mehren sich. Und mit welchen Waffensystemen? Eines scheint damit aber klar zu sein: Die Fortsetzung einer Offensive kann Putin sich von diesen Strukturen nicht mehr erwarten.
Eine Sabotage der Gaspipelines in der Ostsee passt da durchaus in das nervöse und erratische russische Vorgehen. Die EU macht sich zunehmend von russischem Erdgas unabhängig, Nord Stream 1 ist nach russischen Ausflüchten zur Wartung von Turbinen ohnehin lahmgelegt, Nord Stream 2 nicht in Betrieb. Da kann man schon mal die eigenen maritimen Kapazitäten nutzen, um den Druck auf die Europäer zu erhöhen und die europäischen Bevölkerungen weiterhin zu verunsichern.
Auch bei Putins Verbündetem Iran brodelt es
Der Iran ist einer der wichtigsten Unterstützer Russlands. Eines der im Moment effektivsten Waffensysteme Russlands – Angriffsdrohnen – kommt aus dem Iran. Putin hat die Lieferung erst unlängst vereinbart. Das Land droht allerdings eben in einer Protestwelle zu versinken. Anlass ist die Ermordung der 22-jährigen Mahsa Amini durch "Revolutionswächter", weil sie ihr Kopftuch nicht korrekt getragen hätte. Die Unterdrückung der Proteste gegen das Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte dürften mittlerweile mehr als 100 Tote gefordert haben.
Wir erleben möglicher Weise eben den Beginn einer Art Showdown zwischen der liberalen Staatenwelt und autoritären Systemen. Es wird wichtig sein, klar zu stellen, wozu man gehören will. Dies gilt auch für europäische Staaten.
Zusammenfassung
- Was für eine weltpolitisch dramatische Woche! Eine weitere Zuspitzung der Ereignisse im Krieg Russlands gegen die Ukraine geht Hand in Hand mit gewaltsamen Beeinträchtigungen der Energieversorgung Westeuropas, dem Versuch Russlands, durch die Annexion von vier Regionen in der Ukraine vollendete Tatsachen zu schaffen sowie zunehmend verstörten Reaktionen der Staatengemeinschaft.