Karners Weltblick: Chinas "ideologische Wagenburg"
Manche Beobachter sprechen bereits von einer "ideologischen Wagenburg". Die von dort zu vernehmende Rhetorik klingt jedenfalls zunehmend aggressiv. Waren bei ähnlichen Gelegenheiten äußere Bedrohungen Chinas zumeist in allgemeiner Form angesprochen worden, bezeichnete Xi diesmal die Gegner sehr klar: "Der Westen" unter Führung der USA habe China "rundum abgeschottet, eingekreist und unterdrückt". Die Metapher der Einkreisung kennt man sonst aus Sowjetzeiten und von Wladimir Putin. Andere Äußerungen aus der chinesischen Regierung klingen nach kaum verhohlenen Drohungen.
China hat seinen beispiellosen wirtschaftlichen Aufholprozess der letzten Jahrzehnte, der es von einem Entwicklungsland zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt führte, einem staatlich gelenkten Kapitalismus zu verdanken, der es verstand, im Verhältnis billige Arbeitskräfte mit – zum Teil mit problematischen Methoden erworbenem - Know-how zusammenzuführen und so Produkte am globalisierten Markt anzubieten, deren Preis trotz mancher Qualitätsmängel ein entscheidender Wettbewerbsvorteil war. In der Konkurrenz mit den USA um die Spitzenposition wird die Luft allerdings dünn, und das, was bei (wirtschafts-)politischem Schönwetter Rückenwind bildete, bläst im Lichte der Folgen einer Pandemie, der Immobilienkrise und des Ukraine-Krieges dem Land als kalter Sturm ins Gesicht.
Die aggressive Rhetorik aus Peking mag somit auch Ausdruck einer zunehmenden Nervosität der politischen Führung sein, die sich besonders angesichts der Entwicklungen in der Ukraine in einem strategischen Dilemma sieht: Reüssiert dort eine westorientierte Ukraine, stärkt dies die Konkurrenten USA und EU. Umgekehrt würde ein russischer Erfolg einen Nachbarn schaffen, der potenziell auch gegenüber China wieder jene Großmachtattitüden an den Tag legen könnte, die die beiden Länder bereits in der Vergangenheit an den Rand kriegerischer Auseinandersetzung geführt hatte. Für die meisten Beobachter läge eine Lösung der aktuellen Probleme Chinas neben einer Beruhigung der sicherheitspolitischen Lage vor allem in stabilen Handelsbeziehungen zu den USA und der EU. Kriegsrhetorik wird dazu wohl ebensowenig beitragen können wie halbherzige "Friedenspläne".
Putin versucht es weiter
Unterdessen lässt das Putin-Regime nichts unversucht, seine Absicht zu verwirklichen, eine Westorientierung seines geopolitischen Umfelds zu hintertreiben und zumindest die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion wieder fest in seine eigene Einflusssphäre zu bringen. Neben dem Krieg gegen die Ukraine gelten die jüngsten Anstrengungen dem Nachbarstaat Georgien: Am Dienstag dieser Woche hatte das georgische Parlament den Entwurf eines Gesetzes "Über die Transparenz ausländischen Einflusses", der offiziell auf die Offenlegung von Geldflüssen aus dem Ausland abzielt, in erster Lesung mehrheitlich verabschiedet. Nach diesem hätten sich georgische Organisationen – vorwiegend Medien und Nichtregierungsorganisationen –, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, als "ausländische Agenten" deklarieren müssen und würden der Aufsicht durch das Justizministerium unterstellt.
Der Gesetzesentwurf war wohl von einem ähnlichen russischen Gesetz inspiriert. In Russland dient dieses der Schikanierung von Kritikern des Putin-Regimes und der Ausschaltung regierungskritischer Medien und NGOs. Eingebracht wurde der Entwurf von der Regierungspartei "Georgischer Traum", hinter der nach wie vor der schillernde Milliardär Bidsina Iwanischwili, deren Gründer und Premierminister Georgiens von Oktober 2012 bis November 2013, zu stehen scheint. Iwanischwili hatte sein Vermögen, das nach Insiderinformationen größer als das Bruttoinlandsprodukt Georgiens sein soll, in Russland gemacht und gilt als der russischen Führung nahestehend. Die mehrheitlich proeuropäisch eingestellte georgische Bevölkerung sieht – wohl zurecht – in dem Gesetzesentwurf den Versuch einer autoritären, prorussischen Wende. Weil naheliegender Weise auch die EU das Gesetz kritisch sieht, fürchten viele außerdem um die Chance ihres Landes, EU-Beitrittskandidat zu werden. Nach zweitägigen massiven Protesten zehntausender Menschen sah sich die Regierung, die einen russlandfreundlichen Kurs steuert, schließlich gezwungen, den Gesetzesentwurf zurückzuziehen.
Georgien unter Druck
Diese Ereignisse in Georgien zeigen, unter welchem Druck aus Moskau das Land steht. Darüber hinaus weisen sie Parallelen zur Maidan-Revolution in der Ukraine 2013/2014 auf. Russland unterstützt bekanntlich auch die von Georgien abgespaltenen Gebiete Südossetien und Abchasien. Es wäre kaum verwunderlich, würden sich von dort aus gegen Georgien gerichtete Aktivitäten neuerlich verstärken. Im Interesse Moskaus wäre dies allemal. Ob dieses auch in der Lage wäre, die abgespalteten Teilrepubliken auch militärisch massiver zu unterstützen, darf angesichts der Lage in der Ukraine allerdings bezweifelt werden. Was bleibt, ist Instabilität in einer angespannten Lage in Georgien, zumindest eine weitere Verzögerung georgischer Bemühungen einer Annäherung an Westeuropa und eine weitere Erfahrung der immer wütender werdenden Gegnerschaft Russlands zu einer Westorientierung seiner Nachbarn. Und vielleicht auch – in Hinblick auf die Rolle des Milliardärs Iwanischwili u. a. – die Erkenntnis, dass nicht nur Autokratie, sondern auch Plutokratie kein Ersatz für liberale Demokratie sein darf.
Zusammenfassung
- Der chinesische Präsident Xi Jinping nützt die aktuelle Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses Chinas vor allem zur Festigung seiner persönlichen Macht durch Umbau der Regierung.
- Die letzten "Technokraten" wurden abgelöst, alle Schlüsselpositionen vom Ministerpräsidenten abwärts sind nunmehr durch enge Vertraute Xis besetzt.