AFP

Milliarden-Überschuss: Warum die Griechen dennoch nicht jubeln

Entgegen der Entwicklung in den meisten anderen EU-Ländern meldet das einstige Sorgenkind Griechenland für 2025 einen enormen Budgetüberschuss. Dem Mittelmeerstaat steht plötzlich mehr als doppelt so viel Geld zur Verfügung als vorhergesehen, Schulden sollen früher zurückgezahlt werden als geplant. Doch für viele Griech:innen stellt sich die Frage: Ist Aufschwung um jeden Preis gut?

Von einem "Luxusproblem" schrieben Nachrichtenagenturen am Montag: Das einstige Sorgenkind Griechenland, das in der Finanzkrise ab 2008 nahe an die Staatspleite rückte und am Ausschluss aus der Währungsunion schrammte, meldete für 2025 einen Budgetüberschuss

Dem Staat steht plötzlich mehr als doppelt so viel Geld zur Verfügung, als vorhergesagt: Mit einem Budgetüberschuss von 6,1 Milliarden Euro wurde gerechnet. Nun sind es 13,5 Milliarden

Doch nicht nur beim Staatshaushalt läuft Griechenland anderen EU-Staaten derzeit den Rang ab - auch die Konjunkturzahlen deuten auf eine positive Entwicklung des krisengebeutelten Landes hin: Während der EU-Durchschnitt bei 0,9 Prozent Wachstum liegt, rechnet die Kommission für Griechenland mit 2,3 Prozent Wachstum 2025 nach 2,1 Prozent in diesem Jahr. 

Krisenkredit vorzeitig getilgt

Internationale Rating-Agentur befinden das Land wieder für investitionswürdig. Microsoft, Google, Pfizer haben sich in den letzten Jahren angesiedelt, auch deutsche Firmen wie Fraport, RWE, Boehringer Ingelheim und Teamviewer sind in Griechenland aktiv. 

Die Arbeitslosigkeit soll im kommenden Jahr auf unter 10 Prozent sinken - nach mehr als 40 Prozent zu Hochzeiten der Krise. Die Kredite an die internationalen Gläubiger werden bedient, den Krisen-Kredit beim Internationalen Währungsfonds (IWF) hat Athen sogar vorzeitig getilgt. Die Staatsschuldenquote soll 2025 auf 147 Prozent sinken - vor zwei Jahren waren es noch 164 Prozent.

Kein Grund zum Jubeln

Grund zum Jubeln gibt es für viele Griech:innen dennoch nicht, was landesweite Streiks und Proteste in den vergangenen Wochen zeigten. Denn die positiven Zahlen aus Griechenland sind nicht nur auf boomenden Tourismus, Bauwirtschaft, Rüstungs- und Pharmaindustrie sowie Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit zurückzuführen. Die positiven Zahlen gehen auch auf drastische Sparmaßnahmen und Privatisierungen zurück, die die Lebensumstände vieler Griech:innen erschweren. 

Demonstration in Athen am 20. November.Aris MESSINIS / AFP

Demonstration in Athen am 20. November.

Löhne und Renten sind während der Finanzkrise radikal gekürzt worden und haben das Vorkrisenniveau noch lange nicht wieder erreicht - während die Preise etwa für Lebensmittel und Wohnraum stark zugelegt haben.

Einsparungen gab es auch im Gesundheitssystem oder beim öffentlichen Verkehr. Der Eisenbahnunfall von Tembi mit mindestens 57 Toten im vergangenen Jahr wird schreiben viele im Land der Sparpolitik zu. Autobahnen, Häfen und Flughäfen wurden verkauft - ihre Nutzung dadurch teurer. 

Die Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung erfreuen sich ebenfalls nicht gerade großer Beliebtheit: Beträge über 500 Euro dürfen nicht mehr bar bezahlt werden. Griech:innen müssen einen Teil seines Einkommens - etwa ein Drittel - nachweislich wieder ausgeben. Der Nachweis erfolgt automatisch, wenn man mit Karte bezahlt, weil diese Informationen direkt von der Bank an die Steuerbehörden weitergeleitet werden.

Zusagen in der Sozialpolitik

Der Zuspruch für die konservative Regierung sinkt laut Umfragen - und das weiß auch Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Je mehr er die guten Zahlen feiert, desto ungeduldiger werden die Menschen. Zuletzt machte er einige Versprechungen in der Sozialpolitik.

Ministerpräsident Kyriakos MitsotakisAFP

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis

Der Mindestlohn von 830 Euro im Monat soll bis 2027 schrittweise auf 950 Euro steigen. Die Pensionen sollen 2025 um 2,4 Prozent steigen. Und Arbeitnehmer:innen und -geber:innen müssen künftig jeweils 0,5 Prozentpunkte weniger Sozialabgaben zahlen.

Zudem sollen bestimmte Bankgebühren wegfallen. Griechenland werde eine Obergrenze von 0,50 Euro für Überweisungen bis 5.000 Euro einführen. Ab 2026 soll zudem die Grundsteuer für rund 25.000 ungenutzte Immobilien im Besitz von Banken verdoppelt werden, um den Wohnungsmarkt anzukurbeln und die Mietpreise zu senken. Außerdem sollen Gebühren für Transaktionen mit dem Staat und Versorgungsunternehmen abgeschafft werden und zusätzliche 100 Millionen Euro aus dem Bankensektor in die Renovierung und den Bau von Schulen fließen.

Enorme Ausgaben für Verteidigung

Gleichzeitig wird Griechenland im kommenden Jahr fast doppelt so viel wie noch 2019 für die Landesverteidigung ausgeben -  6,1 Milliarden Euro. Neben Investitionen in Kampfjets, Fregatten, U-Boote und intelligente Waffen soll auch ein Schutzschild zur Abwehr von Drohnen und Raketen aufgebaut werden, ein eigener "Iron Dome". Hintergrund ist der Zypern-Konflikt mit der Türkei

Landesweiter Streik

Mitte November äußerte sich der Unmut der Bevölkerung in einem 24 Stunden langen Streik:  Fähren blieben in den Häfen vertäut, der öffentliche Nahverkehr setzte seinen Betrieb zu den Stoßzeiten aus und nahm die Arbeit nur wieder auf, um Demonstranten in die Stadtzentren zu bringen. Schulen und Kindergärten blieben ebenso geschlossen wie Ämter, Behörden und Banken, die staatlichen Krankenhäuser stellten lediglich einen Dienst für Notfälle bereit.

Lebensmittelpreise und auch Mieten seien explodiert, während die Löhne und Gehälter stagnierten, kritisierte die Gewerkschaft. Vertreter des öffentlichen Dienstes forderten eine sofortige Lohnerhöhung um zehn Prozent sowie die Wiedereinführung des 13. und 14. Monatsgehalts.

"Bank Austria"-Ökonom Stefan Bruckbauer im Interview.

ribbon Zusammenfassung
  • Entgegen der Entwicklung in den meisten anderen EU-Ländern, meldet das einstige Sorgenkind Griechenland für 2025 einen enormen Budgetüberschuss.
  • Dem Mittelmeerstaat steht plötzlich mehr als doppelt so viel Geld zur Verfügung als vorhergesehen, Schulden sollen früher zurückgezahlt werden als geplant.
  • Doch für viele Griech:innen stellt sich die Frage: Ist Aufschwung um jeden Preis gut?
  • Pensionen und Löhne wurden radikal gekürzt, es wird gespart und privatisiert. Zuletzt äußerte sich der Unmut in einem landesweiten Streik.