Demokratisches Problem
Jeder Dritte in Wien darf nicht wählen
Mehr als 35 Prozent der Wienerinnen und Wiener im Wahlalter verfügen mangels österreichischer Staatsbürgerschaft über kein Wahlrecht. Der seit Jahren steigende Anteil der Nicht-Wahlberechtigten hat damit ein neues Rekordhoch erreicht.
Anteil der Nicht-Wahlberechtigten steigt seit Jahren
In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Wahlberechtigten an der Wohnbevölkerung kontinuierlich gesunken. Waren in den 1980er Jahren noch mehr als 90 Prozent der Volljährigen in Wien wahlberechtigt, sank der Anteil trotz Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei der Wahl 2010 erstmals unter 80 Prozent. Bei der Gemeinderatswahl 2015 waren bereits mehr als ein Viertel der Wienerinnen und Wiener im Wahlalter vom Wahlrecht ausgeschlossen.
Nur noch rund 70 Prozent der in Wien lebenden Menschen waren bei der Wiener Gemeinderatswahl vor fünf Jahren zur Stimmabgabe aufgerufen. Bei der Nationalratswahl im vergangenen Herbst sank der Anteil der Wahlberechtigten in Wien erstmals unter die Zwei-Drittel-Marke, seitdem ist der Anteil noch weiter gesunken auf nun unter 65 Prozent.
Den rund 1,1 Millionen Wahlberechtigten stehen laut Daten der Statistik Austria rund 610.000 Nicht-Österreicher im Wahlalter mit Hauptwohnsitz in der Bundeshauptstadt gegenüber. Das entspricht einem Anteil von 35,4 Prozent, österreichweit waren zum 1. Jänner 19,7 Prozent der Über-16-Jährigen nicht wahlberechtigt.
Pro und Contra: Österreichische Staatsbürgerschaft – Lohn oder Motivation?
Ein demokratisches Problem
Mehr als ein Drittel der Nicht-Stimmberechtigten stammen aus der Europäischen Union. Die rund 260.000 in Wien lebenden EU-Bürgerinnen und -Bürger dürfen zwar an den Bezirksvertretungswahlen teilnehmen, aber anders als in anderen Gemeinden nicht für den Gemeinderat stimmen, weil dieser in Wien gleichzeitig der Landtag ist und die Teilnahme an Landtagswahlen gemäß Verfassung österreichischen Staatsbürgern vorbehalten ist.
Zwar wächst die Zahl der auf Bezirksebene wahlberechtigten EU-Ausländer seit Jahren, ihre Wahlbeteiligung ist aber traditionell gering. 2020 gaben nur 20,4 Prozent der Wahlberechtigten aus anderen EU-Staaten ihre Stimme ab - bei einer Gesamtwahlbeteiligung von 57,7 Prozent.
Warnungen, dass der steigende Anteil der Nicht-Wahlberechtigten ein demokratiepolitisches Problem darstellt, gibt es seit Jahren. Die Organisation SOS Mitmensch spricht davon, dass sich Wien auf dem Weg zu einer "halben Demokratie" befinde, weil laut ihrer Prognose im Jahr 2050 nur noch jede zweite Person wahlberechtigt sein werde.
Das Problem sieht die NGO, die im Vorfeld der Wien-Wahl erneut eine symbolische "Pass Egal Wahl" veranstalten wird, nicht nur in der Einwanderung, sondern auch im restriktiven Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft. Daran dürfte auch die neue Dreierkoalition wenig ändern, laut Regierungsprogramm sollen die Anforderungen bei Deutschkenntnissen noch verschärft werden. Nur für Personen mit dringend benötigten Berufen soll es Erleichterungen bei den finanziellen Anforderungen geben.
Staatsbürgerschaft: Forderung nach einfacheren Verfahren
In Zentralfavoriten haben mehr als die Hälfte kein Wahlrecht
Innerhalb Wiens ist der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten ungleich verteilt: Im Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus ist er mit 45,9 Prozent am höchsten, dahinter folgen Favoriten (44,2) und die Brigittenau (44,4). Am anderen Ende des Spektrums liegt Wien-Hietzing mit 24,5 Prozent.
Auf Grätzelebene zeigt eine APA-Auswertung aus Daten der Wiener Landesstatistik, dass der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten in Gürtelnähe am höchsten ist. So haben in Zentralfavoriten mehr als die Hälfte der Über-16-Jährigen kein Wahlrecht (53,1), dagegen sind in den Stadtvierteln im Süden des 10. Bezirks (Laaer Berg und Siedlung Südost sowie Ober- und Unterlaa) nur 17,1 bzw. 19,8 Prozent nicht wahlberechtigt.
Zusammenfassung
- Wenn am 27. April der Wiener Gemeinderat neu gewählt wird, kann mehr als ein Drittel der Einwohner der Bundeshauptstadt nicht daran teilnehmen.
- Mehr als 35 Prozent der Wienerinnen und Wiener im Wahlalter verfügen mangels österreichischer Staatsbürgerschaft über kein Wahlrecht.
- Der seit Jahren steigende Anteil der Nicht-Wahlberechtigten hat damit ein neues Rekordhoch erreicht.
- In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Wahlberechtigten an der Wohnbevölkerung kontinuierlich gesunken.