Van der Bellen: Kopfwäsche für Mikl-Leitners "Normaldenkende"-Sager

In seiner Eröffnungsrede bei den Bregenzer Festspielen hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen scharfe Kritik an der zunehmenden Polarisierung in der politischen Debatte geübt. Er erwähnte dabei indirekt die Aussage der niederösterreichischen ÖVP-Landeshauptfrau Mikl-Leitner, dass sie für "Normaldenkende" spreche und Bablers "unsere Leute"-Sujet.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Mittwoch die Bregenzer Festspiele eröffnet. In seiner Eröffnungsrede spart er - wie bereits vergangenes Jahr - nicht mit Kritik.

Diesmal kritisiert der Bundespräsident die immer größere Polarisierung im politischen Diskurs. "Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird", warnt er.

Kritik an Mikl-Leitner und Babler

Man dürfe sich nicht daran gewöhnen, dass wieder von einem "wir" und "den anderen" gesprochen werde. Eine klare Anspielung sowohl auf die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) als auch auf SPÖ-Chef Andreas Babler.

"Wir, das sind die 'normalen', das sind 'unsere Leute', das ist 'das Volk'. Wer oder was sind dann 'die anderen'?", fasst Van der Bellen kritisierend zusammen. Wer sage, "wer dazu gehört und wer nicht? Wer bestimmt, wer "'normal' ist und wer nicht?", fragt der Präsident.

"Populismus will trennen, will ausgrenzen"

Parteien würden sich zusehends dem Populismus zuwenden. "Aber Populismus ist nicht daran interessiert, Lösungen zu finden. Populismus will trennen, will ausgrenzen", warnt Van der Bellen. "Populismus will Probleme finden und vergrößern", sagt er.

Er rufe deshalb alle Parteien auf: "Hören Sie auf mit dem Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten und Deutungshoheiten. Kämpfen Sie lieber um die besten Lösungen."

Die gesamte Rede im Wortlaut:

Meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute hier stehen zu können. Die Bregenzer Festspiele sind eine wunderbare österreichische Institution.

Und glauben Sie mir, ich würde gerne über die Bedeutung und den Wert dessen sprechen, was unsere Heimat so schön macht – die Bregenzer Festspiele gehören zweifellos dazu – aber es ist wieder einmal Zeit, auch anzusprechen, was angesprochen werden muss.

Es scheint so, als ob sich manche Dinge in unserem Land nicht in die richtige Richtung entwickeln. Und dabei ist es so, dass wir vor großen Aufgaben stehen.

Meine Damen und Herren, Sie kennen vielleicht die "Theorie der zerbrochenen Fenster"? Das ist eine US-amerikanische Sozialtheorie aus den frühen 1980er Jahren, die im Wesentlichen besagt, dass dann, wenn in einem Stadtteil eine zerbrochene Scheibe nicht umgehend repariert wird, schnell alle Fensterscheiben zerbrochen sind. Weil dann der Eindruck entsteht, dass es egal ist, dass sich niemand um diesen Stadtteil kümmert, was dann wiederum äußerst schnell zu Vandalismus und Verfall führt. Ein kleiner Anlass, der übersehen oder übergangen und nicht korrigiert wird, kann schnell als Freibrief verstanden werden, mehr und mehr zu zerstören.

Warum ich diese Theorie erwähne? Weil in unserem Land gerade einige Fenster zerbrochen werden. Und das muss aufhören. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird.

Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass wieder von einem "wir" und "den anderen" gesprochen wird. Wir, das sind die "normalen", das sind "unsere Leute", das ist "das Volk". Wer oder was sind dann "die anderen"? Das Volk, sind das alle Österreicherinnen und Österreicher? Die Einwohner anderer Herkunft, sind das "die anderen"? Wer sind "unsere Leut"? Sind uns "die anderen" dann egal? Wer sagt, wer dazu gehört und wer nicht? Wer bestimmt, wer "normal" ist und wer nicht?

War Mozart "normal"? Sicher nicht! Derart außergewöhnliche Begabungen sind nicht "normal". Es ist brandgefährlich, solche Begriffe so absolut zu verwenden, denn sie werden sehr schnell gedankenlos wiedergegeben und tragen so mehr und mehr zum Zerbrechen unserer Gemeinschaft bei.

Und diese Zitate werden nicht nur von den üblichen Verdächtigen verwendet. Es scheint so, als würden sich verschiedene Parteien mittlerweile ein Vorbild aneinander nehmen. Ich fühle mich manchmal wie im Hochwahlkampf. Kein schönes Gefühl. Manche politischen Akteure, so scheint es, haben die Hoffnung verloren, dass man mit sachbezogenen Argumenten und inhaltlichen Konzepten durchkommt. Dass man mit Ernsthaftigkeit ernstgenommen wird.

Weil sie lieber an die Wirksamkeit von Populismus glauben.

Aber Populismus ist nicht daran interessiert, Lösungen zu finden. Populismus will trennen, will ausgrenzen. "Die da oben" - "wir da unten". Populismus will Probleme finden und vergrößern. Und er will, dass sie bleiben. Weil diese Probleme den Populisten dabei helfen, Emotionen zu schüren und, so die Hoffnung, Wahlen zu gewinnen.

Ich appelliere an alle im politischen Stadtviertel: Hören Sie auf damit, mehr und mehr Fenster zu zerbrechen. Hören Sie auf mit dem Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten und Deutungshoheiten. Kämpfen Sie lieber um die besten Lösungen. Und kämpfen Sie darum, diese Lösungen den Menschen dann auch so zu vermitteln, dass sie verstehen, was ihr persönlicher Nutzen ist.

Es gibt so viele Themen, die diskutiert und gelöst und vermittelt werden müssen. Wie können wir unseren Wohlstand ausbauen und dabei Klima und Umwelt berücksichtigen? Kann es so etwas wie eine "Klimasoziale Marktwirtschaft" geben und wie sieht sie aus?

Wie schaffen wir wieder mehr sozialen Zusammenhalt? Die Menschen müssen gut und gerne miteinander leben können.

Wie schaffen wir ein Sozialsystem, das für Zufriedenheit sorgt und echte Armut verhindert? Wie bilden wir unsere Kinder, wie vermitteln wir ihnen den Glauben, dass ihre Leistung, ihr Beitrag zur Gesellschaft, einen Unterschied macht und gebraucht und gewollt ist?

Wenn junge Menschen in Befragungen angeben, dass sie sich in unserer Gesellschaft einsam fühlen. Wie lösen wir das? Sicher nicht mit Populismus. Sicher nicht mit Gerede von "wir" und "die anderen".

Wie findet Österreich seinen Platz in Europa, und wie findet Europa seinen Platz in der Welt?

Diese Themen müssen angegangen werden, glaubhaft angegangen werden. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Es gibt noch viele andere, genauso drängende. Meine Damen und Herren, ich glaube an unsere liberale Demokratie. Ich weiß, dass wir die Lösungen haben. Aber sie werden teilweise diffamiert.

Das ist die Art des Populismus.

Populismus holt nicht das Beste aus den Menschen hervor, sondern das Niedrigste. Das Trennende, Ausgrenzende. Populismus richtet den Scheinwerfer darauf, was nicht funktioniert. Aber es gibt so vieles, das funktioniert.

Überlegen wir doch einmal, ganz egoistisch: What’s in it for me? Was ist für mich drinnen im Klimaschutz, beispielsweise?

Umweltschutz ist eigentlich ein sehr egoistischer Vorgang. Wir brauchen doch intakte Natur für uns. Und weil wir Touristen wollen. Weil wir es lieben, gute Gastgeber zu sein.

Was ist drin für uns in der liberalen Demokratie?

Sie regelt unser Zusammenleben. Sie regelt, dass die Mehrheiten bestimmen und dabei die Minderheiten geachtet werden. Sie lässt uns in Freiheit leben, so wie wir sind und sein wollen. Wir müssen auf die liberale Demokratie achten und in ihr die konstruktive Kritik und den konstruktiven Streit pflegen, sonst steuern wir auf eine Autokratie zu, in der es nur denen gut geht, die zum "wir" gehören, und es denen schlecht geht, die zu "den anderen" gehören. Liberale Demokratie gehört allen. Nicht nur den Populisten. Nicht nur den sogenannten Eliten. Nie nur einer Gruppe. Liberale Demokratie gehört allen.

Was ist drin für uns in der Migration?

Wir stehen vor einer massiven Herausforderung für das gute Leben in unserer Heimat, es gibt einen massiven Fachkräftemangel in Österreich. Wir benötigen zehntausende Menschen im Gesundheitsbereich, im Pflegebereich, in der Infrastruktur für Kinderbetreuung. Unser Land kommt ohne Migration in schlimme Schwierigkeiten. Und umgekehrt kann unser Land massiv profitieren von Migration. So wie es in der Vergangenheit schon der Fall war.

Was ist drin für uns in der Integration?

Wir haben uns die Menschenrechte hart erkämpft. Und mit ihnen gehen auch Menschenpflichten einher. Auch diese sind zu achten. Menschen, die zu uns kommen und dies akzeptieren, werden davon profitieren. Davon, unsere Sprache zu lernen. Von unseren Gebräuchen und Sitten. Von der absoluten Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die wir noch immer nicht erreicht haben, aber nach der wir streben. Von unserer Offenheit sexueller Orientierung gegenüber.

Wir können hier in Freiheit und Gleichberechtigung leben, in gegenseitiger Offenheit. Das ist für jeden und von jedem, der in unsere Gesellschaft kommt, anzuerkennen. Und jede und jeder, der dies tut, wird davon profitieren.

Lassen Sie uns über die Herausforderungen reden. Lassen Sie uns das lösungsorientiert tun. Lassen Sie uns ruhig streiten. Konstruktiv streiten. Bringen wir das Beste in uns und an Österreich zum Vorschein und nicht das Niedrigste. Lassen Sie uns daran glauben, dass wir durch alle Herausforderungen kommen, wenn wir nicht aufgeben.

Denn es gibt das Gute, das Schöne, das Gemeinsame. Und die Bregenzer Festspiele zeigen das. Ich erkläre sie hiermit für eröffnet.

ribbon Zusammenfassung
  • In seiner Eröffnungsrede bei den Bregenzer Festspielen hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen scharfe Kritik an der zunehmenden Polarisierung in der politischen Debatte geübt.
  • Er erwähnte dabei indirekt die Aussage der niederösterreichischen ÖVP-Landeshauptfrau Mikl-Leitner, dass sie für "Normaldenkende" spreche und Bablers "unsere Leute"-Sujet.
  • Er rufe deshalb alle Parteien auf: "Hören Sie auf mit dem Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten und Deutungshoheiten. Kämpfen Sie lieber um die besten Lösungen."