Ukraine ist eines der größten Minenfelder der Welt
Beide Seiten verfügen über riesige Bestände an Sprengsätzen aus der Sowjetzeit. "Das Ausmaß dieser Plage kann man kaum erfassen", sagt Baptiste Chapuis von der Organisation Handicap International, der vor Kurzem in der Ukraine war.
"Der Krieg in der Ukraine markiert aus militärischer Sicht die große Rückkehr des Einsatzes von Minen", sagt Stéphane Audrand, Experte für internationale Risiken. "Sie sind sehr nützlich, um die Bewegungsmöglichkeiten des Gegners einzuschränken", erklärt Audrand. Zudem lassen sie sich einfach und schnell verlegen.
Russische Minengürtel in Verteidigungslinien
Die Sprengsätze würden massenhaft eingesetzt, überwiegend von den Russen und vor allem im Zuge der in den vergangenen Monaten errichteten Verteidigungslinien gegen die derzeit laufende ukrainische Offensive.
"Minenfelder sind ein Element der russischen Verteidigung", heißt es in einem Bericht des britischen Forschungszentrums RUSI vom Mai. Moskau setze sie "extensiv ein, indem es Panzerabwehrminen und Antipersonenminen mit mehreren Auslösemechanismen kombiniert". Mitten im Krieg ist es jedoch unmöglich, genaue Zahlen zu ermitteln oder betroffene Gebiete zu kartografieren.
Vor allem aber "sind sie über Jahrzehnte eine tödliche Gefahr für die Zivilbevölkerung und gefährden auf sehr lange Sicht die Wiederaufnahme des wirtschaftlichen und sozialen Lebens", sagt Chapuis. Experten schätzen, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis die Minen geräumt sein werden.
Zuletzt hat die Sprengung des Kachowka-Staudamms die Situation entlang des Dnipro verschlimmert. Durch die Überflutungen wurden viele der Minen der russischen Verteidigungslinien entlang des Stromes in andere Gebiete geschwemmt. Die Flut habe die Kunststoff-Minen an den Ufern des Dnipro fortgespült, warnt etwa das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). "Früher wussten wir, wo es gefährlich war", sagt Erik Tollefsen vom IKRK. "Heute wissen wir es nicht mehr."
Ukraine unterschrieb Anti-Minen-Abkommen, Russland nicht
Antifahrzeugminen gehören zur Kategorie der konventionellen Waffen. Antipersonenminen sind nach internationalem Recht verboten und durch das Ottawa-Übereinkommen von 1997 geächtet, das die Ukraine, nicht aber Russland, unterzeichnet hat.
Die Ukraine hatte gemäß dem Ottawa-Abkommen mit der Vernichtung seiner Minen-Bestände begonnen, stoppte diese aber mit Beginn des Krieges in der Ostukraine 2014. Im Jänner rügte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Kiew für den "offensichtlichen Einsatz" dieser verbotenen Waffen in der Region Isjum im Osten des Landes.
"Antipersonenminen werden von allen verwendet, aber nicht in vergleichbarem Ausmaß", sagt ein Vertreter einer Hilfsorganisation, der anonym bleiben möchte. Sie zielen darauf ab, zu töten oder zu verstümmeln. Einige sind so konzipiert, dass sie Gliedmaßen abtrennen, andere zerfetzen den Unterleib.
Streit um Entminungshilfe
In Österreich entbrannte zuletzt ein politischer Streit darüber, ob Entminungshilfe für die Ukraine mit der Neutralität vereinbar war. Der ukrainische Botschafter bat um Entminungsfahrzeuge, Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach sich dafür aus.
Kanzler Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) lehnten aber ab. Und das obwohl, Tanner selbst sich im Februar noch Hilfe bei der Entminung durch das Bundesheer ins Spiel brachte und laut Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bereits Entminungshilfe geleistet würde. Österreich schickte stattdessen aber zwei Millionen Euro an Entminungshilfe.
Streumunition und heimtückische Sprengfallen
Neben Antiperson- und Panzerabwehrminen setzen die Kriegsparteien auch massiv Streumunition ein, die oft unentdeckt bleibt und deshalb auch eine langfristige Bedrohung darstellt. Streumunition ist durch das Osloer Übereinkommen von 2008 verboten, weder Moskau noch Kiew haben die Vereinbarung ratifiziert.
Hinzu kommen selbstgebaute Sprengfallen: "Die russischen Truppen sind bekanntlich kreativ, sie versehen Tiere und Leichen mit Sprengsätzen, stellen Doppel- und Dreifachfallen auf Straßen, Feldern und in Wäldern auf", heißt es in einem Bericht der Denkfabrik Globsec aus Bratislava.
Nicht nur das Land, auch das Meer wird vermint. "Zu Beginn des Konflikts haben die Ukrainer wahrscheinlich eine Landung der Russen an ihrer Küste durch die im Schwarzen Meer verlegten Minen verhindert", sagt Audrand. Seeminen seien im Krieg sehr effizient und billig, legten aber auch den Handelsverkehr lahm.
Zusammenfassung
- 30 Prozent der Fläche sind inzwischen nach Angaben Kiews vermint - sowohl von der russischen als auch von der ukrainischen Armee.
- Beide Seiten verfügen über riesige Bestände an Sprengsätzen aus der Sowjetzeit.
- Die Sprengsätze würden massenhaft eingesetzt, überwiegend von den Russen und vor allem im Zuge der in den vergangenen Monaten errichteten Verteidigungslinien gegen die ukrainische Offensive.
- Die Minen "sind sie über Jahrzehnte eine tödliche Gefahr für die Zivilbevölkerung", sagt Baptiste Chapuis von der Organisation Handicap International.
- Zuletzt hat die Sprengung des Kachowka-Staudamms die Situation entlang des Dnipro verschlimmert.
- Die Flut habe die Kunststoff-Minen an den Ufern des Dnipro fortgespült, warnt etwa das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).