Sloweniens Präsidentin warnt Wien in Grenzkontrollstreit
Slowenien habe in den vergangenen Jahren gezeigt, "dass es geduldig sein kann und die Lösung von Problemen auf andere Art und Weise erreichen möchte", betonte Pirc Musar. "16 Mal wurde das verlängert, jedes halbe Jahr, und wir wissen alle, dass Österreich überhaupt kein Argument für die Verlängerung dieser Grenzkontrollen hat", kritisierte sie. "Als Juristin bin ich traurig, dass Österreich die europäische Rechtsordnung in diesem Punkt nicht respektiert", sagte die Rechtsanwältin. "Ich will keine weitere Sommersaison, in der die Menschen in der Blechschlange rösten, obwohl Slowenien und Österreich beide im Schengenraum sind und man über die Grenze brausen sollte", sagte die passionierte Motorradfahrerin. Den Kampf gegen illegale Migration könne man "mit weniger einschneidenden Maßnahmen" führen, beteuerte sie.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bekräftigte am Dienstag das Festhalten an den Grenzkontrollen. Obwohl die Geschleppten vor allem über Ungarn kommen, gebe es "einen Druck zunehmend auch auf dieser Seite", sagte Karner bei der Präsentation des Schlepperberichts 2022 mit Blick auf Slowenien. Daher "halte ich es für notwendig, weiter die Kontrollen aufrecht zu erhalten".
Pirc Musar betonte im APA-Interview, dass sie Österreich als "befreundetes Land" ansehe. Wie schon zuvor im Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen warb sie für eine Weiterentwicklung der Rechte der slowenischen Minderheit in Österreich. Als großes Anliegen hob sie Klimaschutz hervor. "Wir müssen jeden Tag aufs Neue und immer lauter auf die Klimaveränderungen hinweisen, weil es nicht gut um unseren Planeten steht, den einzigen, den wir haben."
Keine Alternative sieht Pirc Musar zur Nutzung der Atomkraft durch ihr Land. "Wir müssen realistisch sein. Derzeit kann Slowenien ohne Atomkraftwerk im Energiebereich nicht überleben und das ist ein Faktum", sagte sie. Das AKW Krško produziere nämlich ein Drittel des slowenischen Strombedarfs. Ein weiteres Drittel komme aus dem Kohlekraftwerk Šoštanj, das aus Klimaschutzgründen abgeschaltet werden müsse. Die Entscheidung über den Bau eines neuen Reaktorblocks in Krško werde wohl noch Jahre dauern, so Pirc Musar, die im Bereich der erneuerbaren Energien auch auf technologische Weiterentwicklung hofft. So könnten dezentrale Speicherlösungen die flächendeckende Versorgung von Privathaushalten mit Sonnenkraft ermöglichen.
Im russischen Aggressionskrieg warb Pirc Musar eindringlich für eine weitere Unterstützung Kiews. "Wenn wir jetzt damit aufhören, der Ukraine zu helfen, ist dies das Ende der Ukraine", sagte sie. Kreml-Chef Wladimir Putin wolle nämlich "mehr und das ist gefährlich". Sein nächstes Ziel nach der Ukraine sei Moldau. Gleichwohl zeigte sich Pirc Musar "etwas überrascht" über die Aussage von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, wonach die Ukraine Mitglied im Bündnis werden soll. "Die Entscheidung dafür ist noch nicht reif", so Pirc Musar unter Verweis auf die Skepsis mehrerer NATO-Staaten. "Und wenn Sie mich persönlich fragen, wäre ich dabei auch etwas zurückhaltend."
Das Kriegsende ist für Pirc Musar "leider noch nicht nahe". "Ich sage immer, dass ich noch keinen europäischen Staatsmann kennengelernt habe, der nicht für den Frieden wäre. Das Problem, das wir haben, ist, dass wir derzeit einfach nicht wissen, wie man den Frieden erreichen kann", sagte sie in Richtung ihrer beiden Vorgänger und Unterstützer Milan Kučan und Danilo Türk, die in einem offenen Brief an europäische Staatschefs die sofortige Beendigung des Krieges gefordert hatten.
Pirc Musar erteilte einer Lösung über den Kopf Kiews hinweg eine Absage, will aber möglichen chinesischen Vermittlungsbemühungen eine Chance geben. Beim chinesischen Präsidenten Xi Jinping habe sie "das Gefühl, dass es ihm nicht egal ist und er auf gewisse Art helfen will". Alle Spitzenpolitiker, die Kreml-Chef Putin aufgesucht haben, "sind enttäuscht zurückgekommen". "Wir brauchen jemand Dritten, der genug Macht und Glaubwürdigkeit auf beiden Seiten hat", so Pirc Musar. Auf Xi dürfte Putin "etwas mehr hören als auf jeden anderen in diesem Augenblick".
Slowenien habe der Ukraine im Rüstungsbereich bereits "alles gegeben, was es kann" und versuche nun humanitär oder mit zivilen Fahrzeugen zu helfen. Grundsätzlich gebe es auch Grenzen der militärischen Unterstützung. "Weder Slowenien noch irgendein anderes Mitglied der Europäischen Union oder des Bündnisses wird Soldaten in den Kampf für die Ukraine schicken wollen", sagte sie. "Solange wir mit Waffen helfen können, werden wir das tun und das scheint mir gut und richtig."
Kein Blatt vor den Mund nahm sich die seit Dezember amtierende slowenische Präsidentin, was ihr Leibthema politische Transparenz betrifft. So bekräftigte sie ihre vor Jahren geäußerte Einschätzung, dass Österreich diesbezüglich hinter Ländern wie dem Kosovo, Serbien, Indien oder der Dominikanischen Republik hinterherhinke und ein "schwarzer Fleck" auf der europäischen Landkarte sei. "So viel ich weiß, haben Sie immer noch kein modernisiertes Gesetz über den Zugang zu öffentlichen Informationen. Diesbezüglich kann ich meinen Standpunkt leider nicht ändern", sagte die langjährige slowenische Informationsbeauftragte.
Die frühere Journalistin hatte sich als beharrliche Kämpferin für die Durchsetzung des slowenischen Transparenzgesetzes große Anerkennung erworben und damit den Grundstein für ihre erfolgreiche Präsidentschaftskampagne als politische Quereinsteigerin gelegt. "Wir haben sehr viel auf Grundlage dieses Gesetzes entdeckt", verwies Pirc Musar auf Affären um den Ankauf von Impfstoffen oder Militärfahrzeugen. Nicht immer gehe es dabei um Steuergeld. "So manche Entscheidung ist nicht mit Geldeinsatz verbunden, kann aber auf Grundlage dieses Gesetzes ins Licht der Öffentlichkeit kommen. Dann wird darüber diskutiert, und daran ist überhaupt nichts falsch", sagte Pirc Musar mit Blick auf das seit 20 Jahren geltende Transparenzgesetz.
Selbst der im Mittelpunkt zahlreicher Affären stehende Ex-Premier Janez Janša habe niemals versucht, das Gesetz abzuschaffen. Er hätte als Regierungschef drei Mal die Gelegenheit dazu gehabt, aber "er wusste, wie recht ihm das Gesetz kommt, wenn er nicht an der Macht ist". Wie sehr der Standort den Standpunkt in Sachen Transparenz bestimmt, bekam Pirc Musar als Informationsbeauftragte hautnah mit. "Die Opposition hat mich gern gehabt, die Regierung nicht. Aber Regierung und Opposition wechseln sich alle vier Jahre ab."
Wichtiger als die parteipolitische Nutzung des Transparenzgesetzes sei jene durch die Bürger, "also dass jeder Bürger fragen kann, warum jemand eine Baubewilligung bekommen hat, ein anderer aber nicht, um es überspitzt zu formulieren", sagte Pirc Musar. Dabei handle es sich um ein Element "partizipativer Demokratie" und von "Laienkontrolle" über die Verwendung von Staatsmitteln. "Die Regierung und alle, die öffentliche Gelder verwenden, müssen jede Entscheidung erklären können. Darin ist auch ein wesentlicher Unterschied zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor. Wir müssen verantwortlich und transparent gegenüber den Leuten sein, die uns über Steuern bezahlen."
Ihre Arbeit als Informationsbeauftragte trug auch dazu bei, dass sie im Jahr 2015 ihren Doktortitel in Wien und nicht an der Universität Ljubljana machte. "Ich wollte weder Vorteile haben noch irgendwelche Behinderungen, weil ich damals schon bekannt war", erläuterte sie. Deshalb sei sie auf "neutrales Gebiet" gegangen. Auf das Wiener Juridicum sei die Wahl auch deshalb gefallen, weil sie das Studium in englischer Sprache absolvieren konnte. Eingeladen habe sie der Wiener Universitätsprofessor Hannes Tretter, mit dem sie zuvor an einem EU-Projekt zum Aufbau eines modernen Datenschutzrechts in Montenegro zusammengearbeitet habe. Die zwölf Prüfungen, das Schreiben der Arbeit und auch die Defensio "werden mir immer in sehr schöner Erinnerung bleiben als Abschluss meiner Bildungskarriere", sagte sie.
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)
Zusammenfassung
- Die slowenische Präsidentin Nataša Pirc Musar warnt Österreich davor, die Geduld ihres Landes im Grenzkontrollstreit weiter zu strapazieren.
- Nach acht Jahren wiederholter Verlängerungen habe Wien "überhaupt kein Argument" für die Grenzkontrollen.
- Im russischen Aggressionskrieg warb Pirc Musar eindringlich für eine weitere Unterstützung Kiews.
- "Wenn wir jetzt damit aufhören, der Ukraine zu helfen, ist dies das Ende der Ukraine", sagte sie.