Kerzen für KellermayrAPA/FOTOKERSCHI.AT/HANNES DRAXLER

Opfer unter der Lupe

Täter-Opfer-Umkehr im Fall Kellermayr?

11. Apr. 2025 · Lesedauer 4 min

Ein 61-jähriger Deutscher wurde am Mittwoch vom Vorwurf freigesprochen, mit seinen Hass-Botschaften den Suizid von Dr. Lisa-Maria Kellermayr mitverursacht zu haben. Der Prozess beschäftigte sich fast ausschließlich mit der Geschichte des Opfers, was nun für Kritik sorgt. Ob die dafür verantwortlichen Gesetze gerecht sind, darüber diskutieren nun sogar Experten.

Die Psyche, Kindheit, familiäre Geschichte, ihre Krankheiten, ihre finanzielle Lage, ihre Persönlichkeit: Bis ins privateste Detail wurde das Leben von Dr. Lisa-Maria Kellermayr am Welser Landesgericht an vier Prozesstagen aufgearbeitet. 

Doch die oberösterreichische Ärztin, die im Juli 2022 Suizid beging, war das Opfer. Weil sie sich öffentlich für die Corona-Impfung einsetzte, wegen ihrer Expertise zu zahlreichen Interviews eingeladen wurde, wurde sie Zielscheibe von Corona-Leugner:innen und Impfgegner:innen.

Über den Angeklagten, einen 61-jährigen Bayer, erfuhr man hingegen fast nichts. Die geladenen Zeug:innen, Gutachter Peter Hofmann, Staatsanwaltschaft und Verteidigung sprachen fast ausschließlich über Dr. Kellermayr. Sogar über ihre Glaubwürdigkeit wurde debattiert.

Der Verfasser der Nachrichten, in welchen er der Ärztin mit einem "noch einzurichtenden Volkstribunal" drohte, verweigerte die Aussage. Er äußerte sich nur am letzten Prozesstag, wurde von seiner Anwältin aber unterbrochen. Aus seinem Umfeld gab es keine Zeug:innen, die etwas über seine Geschichte, sein mögliches Motiv aussagen hätten können. 

Der Angeklagte im Fall KellermayrKonstantin Auer / PULS 24

Schuld daran sind österreichische Gesetze: Das Gericht konnte die mutmaßliche gefährliche Drohung an sich in Österreich nicht verhandeln, da der 'Tatort', der Ort, an dem der Mann seine Nachrichten verfasste, in Deutschland liegt. 

Warum wurde der Mann freigesprochen?

Verhandelt wurde in diesem Prozess der sogenannte Qualifikationstatbestand. Dabei geht es im juristischen Sinne um den 'Erfolg' einer Drohung. Das wäre in diesem Fall der Suizid von Dr. Kellermayr gewesen. Es ging also nur um die Frage, ob die Nachrichten des Angeklagten, den Suizid kausal (mit-) verursacht haben.

Vor Gericht konnte das nicht "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" bewiesen werden. Schließlich gab es gegen Kellermayr auch noch viel explizitere Morddrohungen von bisher nicht ausgeforschten Verfassern. Sie hatte psychische Vorerkrankungen, ihre finanzielle Lage verschlechterte sich wegen ihrer Ausgaben für die Sicherheit ihrer Ordination. 

Außerdem, so die Begründung des Schöffengerichts, habe der Angeklagte über die Suizidalität der Ärztin nichts wissen können. Der Mann wurde nicht rechtskräftig freigesprochenOb die Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegt, ist noch nicht entschieden. 

Video: Freispruch für Angeklagten

Der Freispruch sorgt nun sogar unter Strafrechtsexperten für Debatten: Robert Kert von der Wirtschaftsuniversität Wien sagt etwa gegenüber PULS 24, dass er "durchaus der Meinung" sei, dass man die Frage nach dem Ausgangspunkt, nach dem Tatort "ein bisschen ausweiten könnte".

Sollen Gesetze geändert werden?

Vor allem bei Internetdelikten sei eine solche Gesetzesänderung "überlegenswert", denn wenn die Täter über die ganze Welt verstreut sind, könnten sonst "Strafbarkeitslücken" auftreten. Man könne sich nicht sicher sein, dass andere Staaten eine Verfolgung aufnehmen würden.

Anders sieht das hingegen Andreas Venier, Strafrechtsprofessor an der Uni Innsbruck. Im Fall von Deutschland könne Österreich darauf vertrauen, dass dort ein Strafverfahren stattfinde. Österreich verfolge ohnehin "sehr viele Delikte mit Auslandsbezug". 

Venier warnt im Gespräch mit PULS 24 vor "Schnellschüssen": Wenn Österreich in allen Fällen von Hass im Netz zuständig wäre - etwa beispielsweise auch bei Drohungen aus Übersee - dann werde das die Ermittlungsbehörden und die Gerichte überfordern. Das Problem bei Internetdelikten sei auch die Masse, und dass man die Täter oft nicht ermitteln könne, so Venier. 

"Keine Täter-Opfer-Umkehr"

Da es nun nur um die Frage ging, ob man dem Mann aus Bayern den Suizid wirklich zurechnen könne, sei es nötig gewesen, die Vorgeschichte und die Lebensumstände von Frau Kellermayr zu beleuchten, "auch wenn das vielleicht auf den ersten Blick nicht pietätvoll erscheint", so der Strafrechtsexperte.

Um eine Täter-Opfer-Umkehr handle es sich dabei nicht, auch sei der Freispruch kein Freibrief für andere Hassposter. "Soweit man solche Fälle verfolgen kann, wird das geschehen, entweder in Österreich oder auf Ersuchen Österreichs im Heimatstaat des Täters", sagt Venier. 

In Deutschland wurde das Verfahren gegen den 61-Jährigen vorläufig ausgesetzt. Nun warte man auf eine rechtskräftige Entscheidung aus Österreich und prüfe dann, ob man das Verfahren wieder aufnehme, so die Generalstaatsanwaltschaft München. 

contact Hilfe in Krisensituationen

Sind Sie in einer Krisensituation? Hier finden Sie Hilfe:

Zusammenfassung
  • Ein 61-jähriger Deutscher wurde am Mittwoch vom Vorwurf freigesprochen, mit seinen Hass-Botschaften den Suizid von Dr. Lisa-Maria Kellermayr mitverursacht zu haben.
  • Der Prozess beschäftigte sich fast ausschließlich mit der Geschichte des Opfers, was nun für Kritik sorgt.
  • Ob die dafür verantwortlichen Gesetze gerecht sind, darüber diskutieren nun sogar Experten.
  • Robert Kert von der Wirtschaftsuniversität Wien sagt etwa gegenüber PULS 24, dass er "durchaus der Meinung" sei, dass man die Frage nach dem Ausgangspunkt, nach dem Tatort "ein bisschen ausweiten könnte".
  • Anders sieht das hingegen Andreas Venier, Strafrechtsprofessor an der Uni Innsbruck. Im Fall von Deutschland könne Österreich darauf vertrauen, dass dort ein Strafverfahren stattfinde.